Category Archives: Regietheater

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Bad Kingdom, B

Es geht vorwiegend um zerbrochene Illusionen, vereinsamte Menschen, die sich nicht lieben und nicht trennen können, es geht um Paare verschiedener Konstellationen. Es geht um Egoismus und Anspruchshaltung, um Lethargie und fehlende Empathie. es geht um das Leben an sich, um Männer und Frauen der Moderne. Szenenbilder, in denen sich „71 Fragmente der Einsamkeit“ entfalten sollen, versprechen einen langen mühevollen Theaterabend, der bereits in der Pause einige Konsequenzen zeigt, nämlich große Betroffenheit unter vielen Zuschauerinnen, die sich enttäuscht der weiteren Handlung verweigern. Für die Wackeren, die durchhalten, gibt es sogar noch einige schauspielerische Bonbons, so mit Jule Böwe als coole Redakteurin des Films, an dem der Regisseur genervt arbeitet, unübertroffen in ihrer aufreizend stoischen Präsenz, indem sie Konflikte sarkastisch auf den Punkt bringt, zugleich die ermüdende Selbstdarstellung der Gesellschaft entlarvend und entwaffend.

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Der Fall McNeal, B

Eigentlich ist dieser Jacob McNeal ein armer Tropf – trotz literarischer Meriten und nun gar auch noch Nobelpreisträger – denn als arroganter, von allen Menschen um ihn herum als sarkastisch und egozentrisch verschriener Alkoholiker kann Ulrich Matthes einfach kein Monster sein. Hier irrt der Regisseur, der sich nicht nach der rigiden Wut des amerikanischen Superautors richtet, sondern Matthes inmitten einer ebenso theatralischen auf sich bezogenen Umgebung auf die schwere Ausformung eines übersensiblen Schrifttellers einerseits und eines schon fast dem Tode geweihten Suchtkranken ansetzt.
In einem Gespräch anschließend mit dem zur Zeit in Berlin weilenden Autor geht es – ausschließlich in amerikanischem Englisch – leider nicht um die Inszenierung, sondern vorwiegend, wie meistens, um die Person des Autors, aber auch um die Endlichkeit der KI: sie wird vieles kopieren, ersetzen, und erledigen können. Aber sie stößt noch immer an ihre Grenzen, wenn es darum geht, menschliche Gefühle und Gedanken zu erfassen und aufzugreifen. Gott sei Dank!

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Forever Yin forever Young, B

Eine reine Spaß- und Spielgesellschatft, die von einem Event zum nächsten jagd, wäre das wirklich so begehrenswert. Und die Partnerproble, die Alterssorgen, die Kinder und beruflichen Chancen – was ist wichtig, Kleingärtneridylle oder Fortschritt. Aber dann fährt man auf dem Gleis des Kapitalismus, den man doch eigentlich seit jeher ablehnte. Und was ist mit der neuen Einsamkeit, der Arbeitslsosigkeit, der Welt an sich? Wo steht man selbst, was erinnert man in sanfter und verschleierter Nostalgie und wie wechselhaft ist das Leben mit dem Einzelnen umgegangen… Fragen über Fragen, zum Teil mit einer Anit-Poesie persifliert, aber auch kritisch und berührend, wenn es um die Sensibilit einer neuen gesamtdeutschen Verinnerlichung geht.
Eine seit Jahren im Programm gefeierte Kuttner-Insszenierung mit viel Musik, Gesang, Drive, Humor und Hintersinn.

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Vanya, B

Oliver Mommsen gibt allen ihre Individualität, formt ihre Persönlichkeit aus wenigen Worten und Gesprächen, durchleuchtet ihr Schicksal, ohne zu urteilen. Keiner ist lächerlich, alle hinderte eine eigentümliche Entschlussfähigkeit und innere Migration daran, ein neues Leben zu wagen, das Vanya in jahrzehntelanger Selbstaufopferung für den von ihm blind verehrten Schwager Alexander, (der in erster Ehe mit Vanyas Schwester, Sonjas Mutter, verheiratet war) vergeudete. In einer verzweifelten großen Aufbegehren brechen alle Enttäuschung, alle Wut, alle Sehnsucht und verlorene Lebensfreude aus ihm heraus, als der Schwager der Familie einen ungeheuren Vorschlag unterbreitet, dessen Ausführung ihm weiterhin ein nobles Leben bescheren, alle anderen aber brot- und heimatlos machen würde. Da endlich, viel zu spät, wehrt sich der ohne Visionen zurückgelassene Vanya gegen ein Leben, das er nicht gewollt hat und das ihm seine Fähigkeiten, seinen Geist, seinen Besitz und sein Seele genommen hat.
Natürlich – riesige Ovationen für den beliebten Schauspieler, dessen Freunde und Verehrer ihn an allen Abenden feiern werden. A.C.

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1984, B

Dass die Inszenierung im Berliner Ensemble die Gefühle auf Abstand und die Betroffenheit zur intellektuellen Aufgabe macht, ist eine große Regieleistung, denn sonst könnte man die Folter dieses Paares nicht lange ertragen, das hier als Protagonisten für eine total bewachte Gesellschaft ebenso mutig wie blind an eine gemeinsame Zukunft glaubt. Winston und Julia versuchen auch nach allem Schmerz und allem Verrat aneinander, das zurückzuerobern, was von ihren Körpern und Herzen übriggebleiben ist. Da ist wenig heil gebleiben, aber es gleicht einem Funken, der sich von Neuem entzünden kann. Aber wie sieht es aus in China, in Russland, in Lateinamerika, in vielen afrikanischen Ländern und asiatischen Staaten wie Nordkorea, wo eine mächtige Clique den Staat beherrscht, wo junge Männer als Kanononopfer verkauft werden und Hunger und Elend der Bevölkerung mit dem Bau von Atomwaffen ausgeglichen werden. Es gibt keine Hoffnung, wenn auch noch die Gedanken überwacht und getötet werden. Veränderung könnte nur wirklich von außen mit Hilfe der starken, noch auf ihre Demokratie gestützten Länder gedacht und verwirklicht werden. Ein auf die totale Vernichtung des freien Individuums bedachtes Regime kann sich sonst nur noch selbst auslöschen, wenn es keinen Menschen mehr hat, den es beherrschen kann.

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The Silence, B

Das Bühnenbild zeigt eine kleine Schneelandschaft inmitten der Lüneburger Heide, denn in Buchholz ist Falk Richter als Kind und junger Heranwachsender zuhause. Der Ort ist beschaulich und übersichtlich, jeder kennt jeden, und für Teens geradezu ein Albtraum. Idylle ist das Allerletzte, was der junge Falk wünscht, er will gehört, gesehen, akzeptiert werden in seinem Sosein und vor allem in seinem Anderssein. Die Eltern haben mit ihrer Vergangenheit seit langem abgeschlossen und sind nicht in der Lage, ihr Leben, ihre Verantwortung, ihre Einstellung zu den immerwährenden bohrenden Fragen ihres Sohnes nach ihrer Lebensgeschichte Antwort zu geben. Das treibt ihn um bis er, längst erfolgreich und angesehen in seinem Theatermetier, eine autofiiktives Stück schreibt und einen großartigen Darsteller für sich selbst findet: Dimitrij Schaad.

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