Der Menschenfeind, B

 

von Jean Baptiste Molière
Deutsch von Hans Weigel

 Schaubühne am Lehniner Platz.Berlin

Regie: Ivo van Hove, Bühne und Licht: Jan Versweyveld, Kostüme: An d’Huys; Video: Tal Yarden; Dramaturgie: Maja Zade; Mitarbeit Musik und Komposition: Daniel Freitag

mit: Lea Draeger, Lars Eidinger, Franz Hartwig, Corinna Kirchhoff, Judith Rosmair, David Ruland, Sebastian Schwarz, Nico Selbach

 

Molière in Matsch und Müll

Das sei eine Warnung für alle Miesepeter und Misanthropen! Wenn sie mit den Unzulänglichkeiten ihrer Mitmenschen derart hadern wie Molières eloquenter, geistreicher und zutiefst verzweifelter Alceste, enden sie unweigerlich in Matsch und Müll und werden den Rest ihrer armseligen Tage wie Penner im Unrat verbringen. Denn die anfangs schneeweiße, klinisch-reine Bühne verwandelt sich in dieser  Inszenierung zuerst in ein matschiges Allerlei aus Partyresten und dann zur Müllhalde, auf der im Abfall aus der Schaubühnenkantine wie Salat, Dosen, Pappbecher und Zigarettenreste die Schauspieler mehr glitschen und rutschen, und die letzten verzweifelten Liebes-an-sätze des blindwütigen Alceste und seiner nicht minder verrückten Célimène absolut lächerlich wirken. Die Tragik dieser einmaligen Komödie wird in den Abfall gekehrt.

Lars Eidingers Misanthrop ist entweder Pubertist oder Psychopath, aber bestimmt kein Philosoph, eher ein zunächst depressiver Weltschmerzler denn die Welt Durchdringender; doch mit fortschreitend  resignierender Deklamation der in äußerst schlichte Reimversion übersetzten französischen Verse entwickelt er sich zum jähzornigen, unberechenbaren Amokläufer, der Freund wie Feind gewalttätig angreift und auch die Geliebte abwechselnd würgt und schlägt, um sie dann wieder mit gleicher unkontrollierter Heftigkeit zu lieben. Das ist nicht nur für die sexy naive Célimène (Judith Rosmair) schwer zu ertragen, die sich als kokette Verführerin im dünnen, durchsichtigen Kleidchen anbietet, die mit ihren Verehrern Katze und Maus spielt, liebreizend tändelt und doch höchst zerflattert und unglücklich bei all dieser Liebelei ist – wohl in realistischer Zukunftsangst, die ihr ganz gewiss nicht ewige Schönheit garantiert. Mal Hexe, mal Schlange, gurrt und beißt sie je nach Lust und Laune jeden, der ihr in die Quere kommt und verschlingt die ältere Konkurrentin mit hassgetränkten Giftpfeilen, wobei ihr die großartige Corinna Kirchhoff als gouvernantenhafte Arsinoe nicht nur in der Kunst des Intrigierens haushoch überlegen bleibt.
Kirchhoffs darstellerischen Facetten retten den übel riechenden und arg verdreckten Abend und erinnern an glücklichere Zeiten der Schaubühne. Und auch Franz Hartwig als Philinte, der den gütigen, glaubhaft aufrichtigen Freund des ausgeflippten Alceste mit glaubhaftem Schmerz spielt, sich allerdings auch als Opportunist der Gesellschaft anzupassen versteht, erinnert uns an richtiges Theater; selbst ist er unglücklich verliebt in die brave Eliante (stimmlich sehr zurückgenommen Lea Draeger – warum muss sie denn als einzige ohne aufgeklebtes Mikro sprechen?), die tragischerweise und völlig unverständlich den unansehnlichen Alceste liebt, denn der ist in zwei pausenlosen langen Stunden über und über mit Unrat bekleckert, und überhaupt ein absolut unansehnlicher Chaot und zudem ziemlich charakterlos.
Die Herren Orionte, Clitandre und Acaste sind nach Jungmanagerart adrett hergerichtet, eitel und selbstgefällig und somit ebenfalls äußerst zeitlos. Wie überhaupt jedes Wort des brillanten Molière – würde es einfach nur hergesagt, etwa in einem schwach beleuchtenden dunklen Bühnenraum am Pult oder auch frei im Raum, von großer Brillanz, Treffsicherheit und ewiger Wahrheit wäre. Doch in dieser Schlammschlacht, die dann auch noch von zwei Kameramännern permanent auf die Videowand übertragen wird, damit auch ja jeder Gesichtsmuskel der Darsteller großformatig als Selbstreflektion zu sehen ist,  gibt es nicht mehr nicht mehr als ein großes Gaudi.
Schon im Deutschen Theater ersann man sich übrigens dieser List, die Mienen der Darsteller überdimensional per Videoübertragung zu zeigen, um bedeutungsschwere Effekte zu erzielen, die aber den meisten Zuschauern wohl verborgen blieben. Auch die möglicherweise witzige, aber überwiegend widerliche Demontage von Célimènes Partybuffet und ihrer feinen Gesellschaft, die nichts anderes im Sinn hat, als handysüchtig nebenher zu tratschen, zu klatschen und Abwesende zu verhöhnen, wird durch  Gemüse-, Nudel- und  Soßenragout, mit dem Alceste seinen Körper übergießt und ausstaffiert, eher in das Genre der TV-Comics abgeleitet. Wie überhaupt der so offensichtliche Verweis auf die Degenerierung sämtlicher Typen, auf die Hohlheit ihrer Köpfe und ihres gesamten Lebens so dick aufgetragen ist, dass der ganze Salat ziemlich abgeschmackt erscheint.
Auch die Metapher der im Müll ihres faden Daseins herumtapsenden “Eliten” der Gesellschaft, von denen sich der Menschenverächter Alceste übrigens kaum unterscheidet, befinden sich in bester Gesellschaft mit “Don Juan” und seinen Mitstreitern, die sich auf der Bühne des Hans-Otto-Theaters in Potsdam in tiefstem Schweinedreck suhlen. Zwei Plagiate also, da bleibt nur noch wenig eigene Originalität des belgischen Regisseurs Ivo van Hove, der zum ersten Mal in Berlin an der Schaubühne Regie führte. Hoffen wir, dass es auch das letzte Mal war. A.C.

Wer sich einmal im Schlossparktheater in Steglitz umsieht, wird das Porträt von Bernhard Minetti als Molières Menschenfeind erblicken. In diesem Gesicht spiegelt sich ein lebendes Drama. 

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