Pique Dame, B

Pikowaja Dama von Pjotr.I. Tschaikoswskij (1840-1893)
Oper in drei Akten; Libretto von Modest Tschaikopwskij nach der gleichnamigen Erzählung von Alexander Puschkin, Uraufführung 1890 in Pertersburg

Deutsche Oper Berlin, 2024

Musikalische Leitung Sebastian Weigle, Inszenierung Sam BRown, Ausstattung Stuart Nunn, Choreografie Ron Howell, Video Martin Eidenberger, Dramaturgie Konstantin Parnian, Licht Linus Fellborn, Spielleitung Constnaze Weodknecht, SilkeSense, ChorJeremy Bindes, Kinderchor Christian Lindhorst

mit: Hermann Muehle, Lucio Gallo, Dean Murphy, Chance Jonas-O’Toole, Kyle Miller, Andrew Dickinson, Michael Bachtadze, Jörg Schörner, Nicole Piccolomini, Sondra Radvanovsky, Karis Tucker, Maria Berezovsaka, Oleksandra Diachenko
Kinder: Nickolay Garkun (Kinderkommandant), Aleksandr Sher (kleiner Hermann), Alma Kraushaar (kleine Lisa), Jisu Park (Bühnenklavier), Gerd Klaus (alter Bediensteter)

Wenn Liebe und Armut zum Wahn  mutieren

Eigentlich dachte sich Peter Tschaikowski diese gruselige Liebes-und Kartenspielgeschichte als „merkwürdiges Drama aus einer alten Welt“, nämlich im Sinne des Rokoko a la Mozart. Liebe- und Schäferidylle, große Kostümromantik des späten 18. Jahrhunderts und selige Sequenzen an untergegangene, erdachte Paradiese…. Nichts von alledem, was bleibt hier ist der heißblütige Auftakt einer Romanze zwischen einem ungleichen Paar, überquellender, innigster Gesang von Sondra Radvanossky –  zunächst als beinahe unsichtbar bebrillte Gouvernante, später als gleißende Ballschönheit), aufregende, verheißungsvolle Erwartung und spannend durch die noch unsichtbare geheimnisvolle Gräfin mit ihren Zauberkarten–  doch allmählich dann zeigt die Eintracht erste Risse durch die sozialen Differenzen und Ängste, die keiner offenbart. Und es kommt es zur Katastrophe, die  wie hier, ja nun wirklich von vornherein zu erwarten war.

Und es ist zugleich ein Spiel mit einer tragischen Utopie, nicht so gänzlich frei erfunden: denn der mit Reisen der inneren Unruhe entfliehende Komponist befand sich, als er in Florenz diese, seine vorletzte Oper schrieb, in einer schweren Depression, weil ihn seine Frau wegen seiner Homosexualität erpresste. Er griff  zu einer großen glühenden Leidenschaft, um deren Verletzbarkeit als Gleichnis für Maßlosigkeit und der Gefahr von unerfüllbaren Wünschen zu demonstrieren: in schönsten poetischen Versen und schwelgender Musik, zartesten, aber auch glühenden Phrasen verankerte  er die Ohnmacht seines seelischen Zustandes und gestaltete im Kontrast zu Text und romantischen Klängen –   bis auf wenige militärische Realitätszulagen – ein stark gefühlsbetonte Opernwerk mit gegensätzlicher Dynamik (Musik contra  Handlung).

Die Inszenierung zeigt ein historisch verbrämtes, naturalistisches Ambiente wie im italienischen Realismus, mit ausgesprochenem sozialpolitischen Bildern, deutlich spür- und sichtbar bezogen auf die russische, antisoziale, degenerierte, verschwenderische Zarengesellschaft, die den leibeigenen Bauern und geschundenen einfachen Bürgern, wenn überhaupt Interesse, dann nur Verachtung zeigte  ist das lebende und leidende Beispiel:  Er wird seine Soldatenkleider nicht einmal ablegen, sondern in hohen Schaftstiefeln und mit  Revolutionsmütze durch Festsäle und Schlafzimmer schleichen. Er ist der lebendig gewordene gesellschaftliche Makel und Ankläger, der hässlich gegen den höfischen Prunk hervorsticht wie auch  die Tänzer in der degenerierten Welt des Wohlstands in eher geschmacklosen, wenn auch äußerst akrobatischer Version auftreten (von Martin Muehle mit leidenschaftlicher Vitalität und großartiger Identifikation verkörpert)…

In der fest gemauerten Welt gesellschaftlicher unverrückbarer Zustände zeigt sich das Bühnenbild so kalt und abweisend, wie es nur in einer von Polizei und Gewalt beherrschten Stadt sein kann. Hohe Torbögen und uniformierte Wächter geben Obacht, das niemand aus der besseren Gesellschaft belästigt wird. Der kleine, schäbig gekleidete Junge vor dem abgeschirmten Platz birgt ein kleines Plüschtier in seinen Händen und  äugt sehnsuchtsvoll über die Barriere, wo kleine, fein gekleidete hübsche Mädchen spielen und ihn zunächst gar nicht beachten. Doch sobald sie ihn entdeckt haben, werden sie ein bösartiges Spiel mit dem Außenseiter treiben, genauso wie ihre halbwüchsigen Brüder, die mit Gewehren und Uniformen sich ebenso rüde wie erwachsene Soldaten präsentieren und den kleinen Jungen aus der Arme-leute-Schicht schlagen und treten. Dann, als alle fort sind, die Gouvernanten  ihre Kinder eingesammelt haben, um sich in die häusliche Obhut zu begeben, läuft der kleine Junge an das riesige Tor und schlüpft hindurch.

Man weiß sogleich. Er wird später zum Militär gehen, um eine existenzielle Sicherheit zu erhalten und vor allem, um dazuzugehören. (Wobei es in Russland bereits Kindersoldaten gibt!) Aber dieser Hermann wird nicht und niemals zu irgendetwas oder irgendwem gehören, und deshalb wird auch die heimliche  Romanze mit der schönen fürstlichen Lisa, in der er die große Liebe weckt, obwohl sie bereits mit dem freundlich-perfekten und kühlen  Fürsten Jeletzkij (Dean Murphy mit vornehmer Eleganz) verlobt ist, als absolute Tragödie enden.

Und was hat das nun mit der Pique Dame zu tun? Das ist die gleichermaßen entscheidende, wenn auch eigentlich nur am Rande spielende Geschichte, die die abergläubische Seele der armen und leichtgläubigen Menschen beherrscht und ihren gefährlichen Mystizismus, der wiederum in Trunk- und Spielsucht die Erlösung sucht so wie in der Geschichte einer schönen Spielerin (die die armen Soldaten in die unerreichbare Welt der Reichen und Schönen versetzt), in der in jungen Jahren ((Horrorvideos  wie in alten Lang-Filmen!) Lisas Großmutter (Nicole Piccolomini als attraktive, aber herrisch unbeugsame Gräfin, die immer noch auf einen Liebhaber hofft!) einst die reichen Männer massenhaft bezauberte und von ihnen Spieltechnik und Kartentricks erlernte, die sie zu einer reichen Frau machten. Das war einmal. Aber noch lebt die alte Dame und kennt dieses große Geheimnis, das sie, so geht die Mär, eines Tages an ihren letzten Liebhaber verraten und diesen Verrat mit dem Leben bezahlen muss. Für Hermann ist der Weg über die Großmutter die endgültige und einzige Lösung, um mit Lisa ein für sie standesgemäßes Leben führen zu können. Das Geheimnis muss her, denn das Geld am Spieltisch lockt über alle Maßen, so sehr, dass Hermann den Verstand verliert und die Gräfin einem Herzschlag erliegt als Hermann sie erpresst, um  ihr Geheimnis zu erfahren. In seiner nächtlicher Vision erscheint sie ihm und nennt ihm drei Karten…

Die Inszenierung ist sachlich, ein paar verrückbare Wände und sparsamem Interieur auf der kargen Bühne verwandeln  sich in abgeschirmte Kammern und Räumlichkeiten, die mehr als Illustrationen zu gelten haben. Das Gewicht liegt auf den hochrangigen Sängern und dem kommentierenden, Affektmalendem und theatralisch mitlenkendem  Orchester unter der gefeierten Leitung von Sebastian Weigle sowie dem stimmschönen Chor, die die aufgewühlten Emotionen mit fantastischer Stringenz behutsam führen. Denn wo der Wahnsinn sich eingenistet hat, kann Vernunft nicht mehr durchdringen. Lisa weint und fleht und zweifelt und weiß doch, wie endlich ihre Liebe sein wird, wohl auch, weil sie selbst glaubt, ihr Geliebter sei lediglich auf den Gewinn aus,  weil er die Karten nun zu kennen glaubt  und sie nun einsetzen wird, koste es, was es wolle – ja, auch das Leben. Aber Lisa hätte ihn nicht von diesem Schicksalsweg abbringen können. Zu groß wirkte das Gift des Reichtums. Und die Liebe als tödliche, blindwütige Kraft kommt dazu.

Brausender Beifall an diesem Abend! A.C.

 

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