Anna Bolena, B

von Gaetano Donizetti (1797- 1648)

Tragedia lirica in zwei Akten; Libretto von Felice Roman nach “Henri VIII” (1791)
von Marie-Joseph de Chénier und von Alessandro Pèpoli. Uraufführung am 26. Dezember 1830 im Teatro Carcano in Mailand.

Deutsche Oper Berlin, 2024,
6. Vorstellung nach der Premiere am 5.12.2023

Musikalische Leitung: Daniele Squeo; Inszenierung David Alden, Spielleitung Eva-Maria Abelein, Ausstattung Gideon Davey, Lichtdesign Elfried Roller, Video Robi Voigt, Dramaturgie MichaelKüster, Jörg Königsdorf, Chor: Jeremy Bines; eine Produktion der Oper Zürich, Premiere am 5.12.2021

mit: Riccardo Fassi als Enrico VIII., Federica Lombardi als Anna Bolena, Jana Kurucová als Giovanna Seymour, Christian Simmona als Lord Rochefort, Xabier Anduaga als Lord Riccardo Percy, Arianna Manganello als Smeton, Kangyoon Shine Lee als Sir Harvey und als Kleine Elisabeth: Mirabelle Heymann
Mit dem Orchester, dem Chor und der Statisterie der Deutschen Oper Berlin.

Despoten – wie es ihnen gefällt

Es geht um Mord, Liebe und falsche Geständnisse, um Verrat, Willkür und immer wieder Mord! König Heinrich VIII. (1491 bis 1547) ist in die Geschichte eingegangen als Frauenvielfraß und Mörder. Sechs Ehefrauen hat er ge- und verbraucht,  um einen männlichen Erben zu  bekommen – was er erhalten hat: zwei Töchter, eine davon hat wahren Ruhm geerntet. Elisabeth I. Deren Mutter, Anne Boleign (1507 bis 1536)  aber hat er aufs Schafott geschickt, weil sie keinenm männlichen Erben gebar. Die dritte Frau, die Hofdame Giovanna Seymour, saß bereits in der Warteschlange und hoffte ihrerseits auf Macht und Ansehen, bevor sie dem König ihre Unschuld schenken würde. Der wurde fast wahnsinnig vor Begierde und geschickter weiblicher Hinhaltetaktik, in der Oper als gefährliches Kräftemessen grandios dargeboten, bis er die Fäden zusammen hat, um den Schuldspruch von den königstreuen Richtern zu erhalten: Anna, seine rechtmäßige Ehefrau, habe ihn betrogen, belogen, mit Henry Percy, dem 6. Earl of Northumberland. (Historie: Die fünfte Ehefrau, Annes Cousine Catherine Howard, wurde ebenfalls wegen Ehebruchs hingerichtet)

Bis die schöne, aber auch als hochmütig verrufene, doch gewitzte und sehr gebildete Mutter Elisabeth I. als Anna Bolenain der Geschichte als Märtyrerin und in der Musik wieder auferstehen konnte, vergingen dreihundert Jahre, und alle großen Sängerinnen, die sie darstellen durften, setzten bleibende Akzente.

Auch an der Deutschen Oper besticht vor allem das Bildnis einer großen, stattlich-stolzen, schlanken Frau in der Persönlichkeit einer großartigen italienischen Sängerin: Federica Lombardi, wie alle bedeutenden Sopranistinnen unserer Zeit in allen Städten und auf allen Bühnen der Erde zuhause. Ihre  Strahlkraft übt eine bis zum bitteren Ende erschütternde Faszination aus. Sie leidet unaufhörlich, bittet, fleht, widersetzt sich den falschen Anschuldigungen des Königs wie auch dem drängenden Liebeswerben und Drängen ihrer im Herzen immer lebendig  gebliebenen großen Liebe zu Riccardo Perci bis sie ihm am Ende völlig aufgelöst in die Arme sinkt. Gar nicht rührselig, sondern ergreifend kunstvoll. Der König ließ diese frühre Liaison von Kardinal Wolsey beenden, der auch später hingerichtet wurde. Heinrich schicke den Nebenbuhler flugs in die Verbannung. Nun ist Percy wieder da, Gerüchte um die Not Annas riefen ihn wohl wieder in die Höhle des Löwen, wo der baskische Tenorbariton Xabier Anduaga nun mit strahlend ausschwingender Stimmführung hingebungsvoll, verführerisch, betörend, für seine Anna zu jedem Opfer bereit ist und nicht nur diese bezaubert, sondern das gesamte Publikum.

Das ist nun keine düstere Oper, wie sie das Thema eigentlich gebieten würde, aber das Belcanto hat sich stets schaurigen Geschichten gewidmet und diese in so schöne Musik umgesetzt, dass man, ohne auf die Bühne zu schauen, eigentlich nur wohlig entzückt sein dürfte, wären da nicht dann doch die unendlich heftigen, tieftraurigen, schluchzenden Passagen, die auf das üble Ende hinsteuern.

Auch Annas Vertraute, die Hofdame Giovanna Seymour, Nachfolgerin in den königlichen Gemächern und auf dem Thron, der zu Beginn ungemütlich im leeren kaltgrauen Saal prangt, ist mit der slowakischen Mezzosopranistin Jana Kurucová  als  leidenschaftliche Kämpferin, die den König auf die Knie zwingt und zur Verzweiflung bringt, damit  er sie zur rechtmäßigen Gattin kürt, stimmgewaltig besetzt. Gesangsbetont sind die Frauen hier übermächtig, aber seit Shakespeare wissen wir, wie gnadenlos es im Mittelalter und späterhin zuging, wo Despoten das Volks beherrschten und sich nahmen, was sie in ihrem Wahn als rechtmäßig erachteten. Und sonst bogen sie das Recht zu ihren Zwecken  passend hin. Parallelen zur heutigen Zeit bieten sich in  grausamer Weise an.

Aber bleiben wir im 19. Jahrhundert, bei Anna und ihrem entsetzlichen Schicksal, das Gaetano Donizetti so dramatisch mit brillanter vokaler Vielfalt und immer neuen furiosen wie auch zärtlichen Arien und Duetten versah, einen Chor als Volk hilflos kommentierend an die Wand stellte, das zugleich aber auch den Hofstaat vorzeigt, der das intrigante Geschehen leise betratscht und still beäugt, selbst ohne Mitleid und Möglichkeiten, dem Unrecht Einhalt zu gebieten, dankbar, selbst in Lohn und Brot zu sein und nicht zu den Ärmsten auf die Straße verbannt zu werden. Denn was kosteten die vielen Kriege und Schlachten, die außerhalb der festen Mauern geführt wurden an Menschenleben! Wie ist der Boden aller Länder von Blut getränkt, von Knochen durchädert. Und dann wieder bleibt die letzte Würde für all die Opfer der Jahrtausende in so wunderbaren Kunstwerken erhalten. Welch ein seltsames Spiel!

Aber die Menschen, nicht nur zu damaligen Zeiten, liebten blutige historische Dramen, empfanden sie vor allem sehr als dankenswerte Ablenkung von den Kriegen im eigenen Land. Dagegen waren England und Schottland weitab als alte Feinde bestens geeignet, an den Pranger gestellt zu werden, und das in allerhöchsten Tönen. Denn was die Komponisten von ihren Sängerinnen und Sängern erwarteten und forderten, drei und mehr Stunden den vollen Klang in atemberaubenden langen Kaskaden von vollen Emotionen auszusingen!  Sie waren natürlich wie stets die Göttinnen des männlichen und Götter des weiblichen Publikums und ihrer Komponisten! Sie durften mit Grenzen sprengender Leidenschaft in vollster Sicherheit ihrer großen Gabe alles geben, was in ihrer Persönlichkeit lag.

So ist natürlich auch hier der Opernbösewicht kein wirklicher Feind des Publikums. Dazu ist der kräftige, biegsame Bass von Riccardo Fassi viel zu eindrucksvoll und seine schlanke jugendliche Figur kann den massigen echten Heinrich glücklicherweise nicht erreichen, der der Völlerei und dem Alkohol frönte,  den Papst verärgerte und seine eigene, anglikanische Kirche  gründete und alle Katholiken gnadenlos verfolgte. In seiner Rolle allerdings lässt Enrico natürlich auch einen Verehrer von Anna aus ihrem Gefolge hinrichten, der leider seine Liebe, wenn auch unerwidert, zu der schönen Königin gesteht, und  damit auch diese belastet. Für den sanften Smeton spielt Arianna Manganello die traurig-schöne Partie mit inniger Hingabe.

Es singen und spielen ferner, ein bisschen diabolisch, Kangyoon Shine Lee als Scharfrichter am Ende, halb streng, halb mitleidsvoll ihre historische Rolle und in der allerliebste Szene, die ganz am Anfang steht: die Kleine Mirabelle Heymann als zartes Kind Elisabeth im dunkelroten Kleidchen, das sich schläfrig  und sehr allein und einsam in die Ecke des großen Thrones schmiegt. Der Kammerdiener nähert sich, hebt die Kleine aus dem Thron und setzt ihr eine Krone auf. Elisabeth schaut, dreht sich um sich selbst, breitet die Arme aus, aber dann zieht sie die Krone vom roten Haarschopf, zerreißt sie wütend und läuft davon. Das ist stark!!! A.C.

 

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