La Traviata,B

von Guiseppe Verdi

Komische Oper Berlin

Regie: Hans Neuenfels, Musikalische Leitung: Carl St. Clair; Choreinstudierung: Robert Heimann, Kostüme: Elina Schnizler, Dramaturgie: Bettina Auer

mit: Sinéad Mulhern (Violetta) Valéry), Timothy Richards, Alfred Germont; Aris Arginis, Georges Germont; Christian Natter, Zuhälter; Karolina Gumos, Flora Bervoix; Hans-Peter Scheidegger, Baron Douphol u.a

 


Requiem für eine Kurtisane

Es ist weder ungewöhnlich noch ehrenrührig, wenn ein Künstler eines Tages feststellt, dass seine kreative und künstlerische Potenz vielleicht bessere Zeiten gesehen haben und Einfallsreichtum, Kraft und Ausdauer, die für ein größeres Vorhaben erforderlich sind, diesem nicht mehr genügen. Aber diese Einsicht ist zumeist nur rudimentär, und der willensstarke Bühnenberserker wird sich dies niemals eingestehen wollen, zumal ihm weiterhin zugejubelt wird, und er die hinter der hohlen Hand geäußerten Kommentare geflissentlich überhört. Wie sonst ließe sich erklären, dass hunderte begabter Opernregisseure, eigens lange und intensiv für dieses Metier ausgebildet, auf der Straße stehen, während sich das fossile Urgestein der Schauspielbranche noch immer die besten Brocken aus dem Opernrepertoire fischt.
Was dabei herauskommt, kann man jetzt in der Komischen Oper, in der Neu-Inszenierung von Hans Neuenfels anschauen, der im Vorfeld gewaltig röhrte und doch nur eine Maus gebar.
Denn was anderes ist diese – zudem auch noch stimmschwache-  Gesamtleistung anderes, als ein kläglicher Versuch, ein mit Traviata-Inszenierungen übersättigtes Publikum noch einmal vor eine Version zu stellen, die, abgesehen von einigen Effekten, die anrührende Lovestory der Kameliendame des Henry Dumas als todkranke Halbweltdame Violetta (La Traviata=die vom Weg abgekommene) ziemlich mitleidlos und schnell abfackelnd ins Elend stößt. Was ist daran neu? Ausgepowert von Lust und Leid und letztlich anrührendem Liebesverzicht, wird dem alter Ego der schwindsüchtigen Kurtisane, ihrem schönen ledervergürteten Zuhälter – der zugleich symbolisch für ihre ganze Pariser Amüsierbagage die Messer schwingt- das Herz aus dem Leib geschnitten und auf den Seziertisch gebettet. Jeder darf hineinstechen, jeder, der sich in seiner bigotten Scheinwelt auf die höheren Sprossen der Menschheit stellt, um verächtlich auf die da unten hinab zu sehen, während er sich doch mitten unter ihnen tummelt. Dass hier Tod und Verderbnis lauern, für die Damen körperlich, für die Herren zuweilen ebenso (warum sonst sticht sich der Zuhälter bei dem großen Karnevalsfest in beide Hoden?), zeigt sich zudem recht plakativ an den weißen Skelettstrukturen, die unter den glitzernden Insektenleibkleidchen der Kurtisanen hervorleuchten.

Das allerdings ist auch das Einzige, was der – vielleicht doch auch zuweilen noch recht junge oder unkundige Operngast – überhaupt zu begreifen vermag; denn Regisseur Neuenfels hat so ziemlich alles gestrichen und verborgen, was zum Verständnis der Geschichte beitragen oder etwa die Sprache der Sänger verständlich machen könnte. In diesem Gewusel auf schwarz blankem Todesparkett bewegen sich statisch die Chorsänger, verkleidet in schwangere Bräute oder Coppelia-puppenhaft steif in grauschattierten Fledermauskleidern mit Metallic-Schienenbeinstützen. Ein Verehrer mit Beinschienen sowie einige clownshafte Figuren, deren Leitfigur der weiße Harlekin-Doktor auch nicht so genau weiß, wie er dem Ganzen beikommen soll und der der sterbenden Patientin fromme Lügen eines langen Lebens erzählt, wohl wissend, wie alle, dass sie bald ihre letzten Arien hauchen wird.
Da allerdings erhebt sich Sinéad Mulhern als Violetta mit letzter Lebenskraft und läßt ihre Stimme verzeihend und herzerweichend, nur von den zuckersüßen Orchestergeigen übertroffen, selig im menschheitsumfassenden Liebesrausch verglühen; und noch einmal, als Alfredo nach langem Irren und Wirren endlich zu ihr zurückgefunden hat, wird sie ihn, sich hinter einem Pfeiler verbergend, leidenschaftlich an ihre besseren Tage erinnern- als sie noch eine kurze Zeit gemeinsamen naiven Glücks auf seinem Landgut verbringen durften bis  Alfredos Vater dieser ehrenrührigen Liaison ein Ende setzte. Während sich der Sohn im karierten Hemd holzhackend der harten Tätigkeit des verarmten Landadels widmete, Traviata ihr Vermögen abhob, um beider Unterhalt zu bestreiten, trat der Übervater Georges Germont – Gott und Dämon in einem – mit schwerem Hinkefuss und überdimensionalem Kreuz vor der Brust auf den Plan, um – s. o. – Traviatas Herz den tödlichen Seelenstich zu versetzten. In dieser von Verdi großartig und tiefgründig psychologisch angelegten Szene wanken und schwanken die Charaktere in die Höhen (Violetta) und in die Abgründe ihrer Seelen (Georges Germont), zeigen die Frau als tapfer kämpfende, aber letztendlich unterlegen Liebende und den Mann als unbeugsame Kraft der aristokratischen Scheintugend.

Violettas Verzicht auf den Geliebten, um dessen Familienehre zu wahren, ist das große, wunderbare und leider doch arg strapazierte Leitthema dieses romantischen Werks, das übermächtig seine vokalen Schwingen ausbreitet und so lebensfroh und liebesweh so mancherlei Träne auf Reisen schicken könnte. Aber diesmal weint man nur um eine verkorkste Inszenierung. Das hätten die Darsteller und ihr Publikum nicht verdient, auch wenn es mit Aris Arginis als Georges Germont einen intensiv spielenden und trefflich artikulierenden Bariton erlebt, mit Tomothy Richards als Alfred einen häufig um Sicherheit in den Höhen ringenden netten Germanentyp und Christian Natter als stummen und schön gewachsenen Zuhälter. Der neue GMD der Komischen Oper, Carl St. Clair, eröffnet die Ouvertüre als Requiem und läßt sein Orchester mit Pauken und Trompeten mitsamt Traviata in den Abgrund der menschlichen und gesellschaftlich zeitlosen Zwänge stürzen. Aber seelenvoll ist das alles nicht. A.C.

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