Reineke Fuchs

von Johann W. v. Goethe
Vagantenbühne

Ein Epos in zwölf Gesängen, aus dem Jahr 1793
nach dem 1498 erschienenen niederdeutschen Tierepos von Reynke de Vos

Eine Produktion der Hamburger Theatermanufaktur
Regie: Antje König, Darsteller: Hans-Christoph MIchel, Kostüm: Katharina Schimmel;  , Bühnenbau: Manuel Hopp;
Perücke: Gesine Discher; Grafikdesign: Bettina Lindner

 

 Oder: Wie man als Betrüger an die Macht kommt

Wer kennt sie nicht, die aufreizende Buchillustration von Reineke Fuchs, wie er galant den grünen Hut mit den wippenden Federn schwenkt; selbstherrlich im grünem Wams stolziert er souverän in hohen Stiefeln einher – doch wehe allen, die seinen Schmeicheleien trauen. Wer genau das Sinnbild des listenreichen, verschlagenen Vertreters menschlicher Eigenschaften erstmals erdacht hat, weiß man nicht genau. Sicher aber ist die Überlieferung eines niederdeutschen Versepos um 1498, das Johann Christoph Gottsched 1752 in Prosa umwandelte und Johann Wolfgang von Goethe wiederum 40 Jahre später wiederum in Hexameter goss.
Und das ist einer sehr artifiziellen, sehr altertümlichen Sprache, die an einen Schauspieler hohe Anforderungen stellt. Zumal, wenn er wie der Hamburger Hans-Christoph Michel sogleich in viele Rollen des stark gekürzten Epos schlüpft, indem er nicht nur den füchsischen Blender und Verführer, den gerissenen Rhetoriker und einfallsreichen Bösewicht darstellt, sondern auch nicht minder ergötzlich den blutgierigen Wolf Isegrim, dessen naive Gattin, die sich nur gar zu gern von Reineke bezirzen läßt, den geifernden Hahn, der um seine gekillten Hennen und Junghähne lamentiert, den Dachs, der dem Fuchs Beistand zollen muss, den mümmelnd- dummen Hasen, den blökenden Schafsbock und den plappernden nervösen Affen – sie alle nämlich klagen den Fuchs schwerer Verbrechen an, und der nur eben sanft grollende, eher nachsichtige Löwenherrscher trifft seine Entscheidung nach dem Vorschlag seines Rates. Auch sein gutmütiger Vasall, der dicke Bär, der gern und gierig an alles glaubt, was ihm Genuß und Vorteil verspricht, wird zum Opfer des überlegenen schlauen Fuchses, den er als Gefangenen an den Hof des Königs führen soll.

Die Regie hat dem Darsteller dreierlei schwerste Aufgaben zugedacht: Zum einen spielt und spricht Michel – toll gewandet im historischen Kostüm des Edelmannes mit gelb-orangefarbenem Perückenlocken – mit Hingabe und Temperament alle Rollen mit unglaublich angepasster Mimik und hinreißend komischen Gebärden, zum anderen stemmt er das riesige Requisit, einen schweren Rahmen, der als Galgen für den Schurken wie als Portal für den König, aber zugleich auch als Bilderkaleidoskop der sich sinnlos betrinkenden Höflinge dient, und dann muss er auch noch die zwölf “Gesänge” in   der verwobenen Sprache als rhythmische Erzählung präsentieren. Vielleicht wäre weniger mehr, und er würde sich nicht für all die blöden Tiere dermaßen auspowern; oder hat der Fuchs Reineke auch ihn in seinem Griff, in der verführerischen Möglichkeit, diese hochpolitische Farce mit der Intensität einer Grimmsch’en Märchenvision und dem Nachdruck des politischen Rufers in der Wüste aller Leicht- und Gutgläubigen zu spielen?

Hans-Christoph Michel ist natürlich ungemein stark als verschlagen grinsender Fuchs, aber auch als bösartiger Isegrim, als generöser König und als dümmliches Häslein. Affe und Hahn sind doofe Mitläufer und müssten nicht gar so viel Raum und Energie für sich in Anspruch nehmen. Und weil alle Tiere, voran der trottelige Bär, in ihrer unendlichen Dummheit und Leichtgläubigkeit immer wieder auf die Listen des Fuchses hereinfallen, kann der immer wieder erfolgreich den Hals aus der Schlinge ziehen. Und er gefällt uns – obwohl wir um seine Mordgier wissen!!!

Ein seltenes Spiel, das man sich unbedingt anschauen sollte, und wer weiß, vielleicht ziehen wir ja endlich die Konsequenzen aus dem ungeheuren Wahnsinn der Pointe, die ja jedermann bekannt ist seit Schultagen: dass die Bösewichter dieser Welt sich stets mit List und Verschlagenheit an die Spitze der Macht robben, dass sie zuletzt im Thronrat, in der Regierung, im Kabinett sitzen und ihre Terrorherrschaft ungehindert ausüben können. Das alles war von Anbeginn der Menschheit so. Und weil diese Erkenntnis unumstößlich, schrecklich und traurig ist, aber zu bestimmten Zeiten auch gefährlich, hat man diese seit jeher geschickt getarnt und als glossenreiche Fabel serviert. A.C.

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