Herr Puntila und sein Knecht Matti

von Berthold Brecht
Deutsches Theater
Übernahme einer Inszenierung am Thalia Theater Hamburg

Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Henrik Ahr, Kostüme: Barbara Drosihn

Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Sonja Anders
mit: Normann Hacker, Katrin Wichmann, Andreas Döhler, Markus Graf, Ole Lagerpusch, Olivia Gräser, Claudia Eisinger, Katrin Klein, Jürgen Huth

 


Menschlich nur mit Alkohol

Man muss sich alles in lebhafter Phantasie vorstellen: das zwischen schimmernden Seen und hellen Birkenwäldern sanft eingebettete große Gut des Herrn Puntila, seine reichen Stallungen mit über 100 kräftigen Kühen, das frisch gemähte Gras in großen Heuhaufen gebündelt, die Mädchen und Knechte, die tagaus, tagein für einen Hungerlohn schuften, die unendliche Weite Finnlands, deren Natur so viel Freiheit und Erholung bietet für den, der es sich leisten kann, sie zu genießen. Wie seinerzeit der emigrierte Berthold Brecht, seine Frau Helene Weigel und seine beiden Geliebten, zu denen sich noch eine dritte dazugesellte. Zu Gast waren sie bei der intelligenten, reichen und großzügigen Gutsbesitzerin Hella Wuolijoki, die die Geschichte des ewig betrunkenen und in diesem Zustand menschenfreundlichen Puntila als Volksstück schrieb und Brecht zur Verfügung stellte. Enttäuscht war sie allerdings dann nicht nur über seine großzügige Moral, sondern vor allem über die epische Bearbeitung ihrer Vorlage.

Das alles weiß der Zuschauer natürlich nicht unbedingt. Er sieht nur, wie gewohnt, eine große dunkle Bühne, auf der sich unheilvoll drohend hohe schwarze Wände drehen, in deren Schnittstellen drangsalierte Menschen kauern und der Gutsherr sich später von roter Flüssigkeit – Rotwein oder Blut? – überrieseln läßt.

Thalheimer hat die epische Version noch epischer gemacht, indem er auf weiteres Interieur vollständig verzichtet und seinen Puntila und dessen wortkargen pragmatischen Arme-Leute-Mann Matti als seinen Chauffeur und Handlanger sowie die (wieder einmal geschmacklos gekleidete) Tochter in den Vordergrund und Mittelpunkt stellt. Man könnte auch sagen, reduziert ist das Ganze auf das Wesentliche. Aber das macht es auch so unvital. Zwar zeigt sich Puntila im Alkoholrausch, in dem er hier 90 Prozent seiner Tag- und Nachtzeit verbringt, extrem ausgeblutet, mehr hilflos als mitfühlend für die sozialen und gesellschaftlichen Nöte seiner Arbeiter im Besonderen und der Welt im Allgemeinen, aber er ist und bleibt, ob nüchtern oder alkoholisiert, ein unberechenbarer Raufbold, mal weinerlich greinend, dann im raschen Stimmungswechsel aufbrausend und gewalttätig, um sich wieder unangenehm anhänglich bei Matti einzuschmeicheln – zumeist zitternd am Rande des Deliriums. Bedauernswert, und doch ist er nicht zu packen. Irgendwie ein armes Schwein.

Matti dagegen, der Arbeiter, der auch nichts anderes sein will und die ihm im Suff von Puntila angebotene Tochter als Braut auf verletzende Weise testet, ob sie denn würdig sei, mit ihm in unwürdigen Umständen zu leben, dieser Matti leidet nicht unter den Launen seines Herrn, sondern er ist ihm in der Gewissheit seines Standes und dem damit verbundenen Stolz der Kleinen Leute kalt überlegen, zudem mit natürlicher Klugheit ausgestattet, wohl wissend, wann und wie er zu reagieren und zu agieren hat. Nämlich meistens gar nicht. Andreas Döhler spielt diese Rolle der Regie gemäß denn auch nicht als Sympathieträger, sondern bleibt distanziert, gefühlsfern und unangreifbar wie ein Holzfäller bei seiner Arbeit.

Alle anderen herum nur Chargen. Schillernd die Tochter von Katrin Wichmann, ängstlich und kindlich ohnmächtig, in der Abgeschiedenheit des Gutes für ein Leben als Ehefrau eines nicht ganz zurechnungsfähigen Diplomaten bestimmt, der ihr Vermögen mehr als die Frau braucht und stur über ihre verzweifelten Versuche, ihn zu brüskieren und damit der Verbindung zu entkommen, hinwegsieht. Ole Lagerpusch macht daraus eine Hampelmannrolle, die ihm viele Lacher und Applaus einbringt. Aber im Übrigen verwirrend und im Gesamtkonzept deplaciert. Drei Damen, die Puntila im Rausch auf sein Gut zwecks Verlobung einlädt, bleiben an den Rand gedrängt, der ermahnende Geistliche farblos und der Richter ein Mahner gegen den Wind.

Wer sich an andere Inszenierungen dieser ebenso tiefsinnigen wie heiteren Sozialfarce eines lebens- und liebesfrohen Dichters im Exil erinnert, wird enttäuscht sein. Denn das Leben spielt hier nicht wirklich mit. Wer aber die Aufopferung des Herrn Puntila an den Gott des Alkohol-Wahnsinns in der Gestalt von Norman Hacker, der sich bis zur letzten Faser verausgabt, als Erlebnis verzeichnen möchte, der könnte sich auch mit dieser Art von Theater, die ganz und gar nicht brechtgemäß ist, zufrieden geben.  A.C.

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