33 Variationen
von Moisés Kaufmann
Renaissance Theater
Regie: Torsten Fischer, Bühnenbild: Vasilis Triantafillopoulos
Kostüme: Andreas Janczyk, Dramaturgie: Gundula Reinig, Musikalische Leitung: Soo Jin Anjou
mit: Rosel Zech, Anne Berg, Simon Zigah/Patrick Abozen, Ralpf Morgenstern, Robert Galinowski, Anna Franziska Srna
Am Flügel: Soo Jin Anjou/Maria Rumyantseva
Wenn ein Genie sich dem Banalen nähert
Zum Autor:
Moisés Kaufmann , geboren 1963 in Caracas, Venezuela, lebt seit 1987 als Autor und Regisseur in New York. Vielfach ausgezeichnet und prämiert wurde er in beiden Bereichen, sein erstes Stück “Unzucht – Die drei Prozesse des Oscar Wilde” und das “Laramie Projekt” (Ein altes und immer wieder aktuelles Thema: wie Intoleranz und Vorurteile zu einer Katastrophe führen können) machten ihn bekannt und berühmt. Am Renaissance Theater wurde mit großer Resonanz seine Inszenierung der Biografie der Charlotte von Mahlsdorf “Ich mach ja doch, was ich will” von Doug Wrights aufgeführt – mit dem hervorragenden Dominique Horwitz in der Rolle der originellen Charlotte. Mit “33 Variationen” hat er sich jetzt als Autor auf das tückische Feld des biografischen Schauspiels gewagt.
Zum Stück:
Der Wiener Komponist und Musikverleger Anton Diabelli fordert im Jahr 1819 genau 50 der “vorzüglichsten” Komponisten auf, seine eigene kleine Walzer- Komposition zu bearbeiten. Die Variationen unter berühmten Namen, so hofft er, werden sich erfolgreich verkaufen lassen. Die meisten Adressaten zeigen sich erfreut, nur einer, der größte und bedeutendste von ihnen, verweigert die Mitarbeit an einem so unbedeutenden Stück, für das er seine Teilnahme unter seiner Würde hält. Ludwig van Beethoven, von jedermann ehrerbietig nur als “Maestro” betitelt, aber überlegt es sich spontan anders und komponiert in einem allerdings längeren Zeitraum – was seinen Auftraggeber zur Verzweiflung und nahe an den finanziellen Ruin bringt – von vier Jahren insgesamt 33 Variationen. Nie wieder hat man von den Kompositionen der andren Teilnehmer gehört; Allein Beethovens Werk, das er -neben seiner Arbeit an der missa solemnis und der 9. Symphonie – mit immer neuen Themen phantastisch ausformte, wurde unsterblich. Beethovens Ablehnung und seine Marotten sind historisch dokumentiert, und eben diese will sich die amerikanische Musikwissenschaftlerin Dr. Brandt für eine eigene Veröffentlichung anschauen. Gegen den Widerstand ihrer Tochter reist sie nach Bonn und gewinnt die herzliche Freundschaft der Bibliothekarin, die sich dem großen Komponisten eng verbunden fühlt. Aber Katharine Brandt ist krank, so schwer krank, dass niemand wagt, ihr den heimtückischen Verlauf der Krankheit offen zu erklären. Nur Warnungen stehen im Raum, die sie aber energisch in den Wind schlägt, besessen und beseelt von ihrer Forschung. Bis zu ihrem Tode wird sie zusammen mit der Bibliothekarin, ihrer Tochter und deren Freund an ihrem Buch arbeiten, sich in die alten kaum leserlichen Skripte, Randnotizen, Pamphlete des genialen Mannes vertiefen und wie er – stocktaub in den letzten 25 Jahren seines Lebens – selbst der Krankheit widerstehen bis sie ihre Arbeit vollendet hat.
Zur Inszenierung:
Wie immer fasziniert die zweckmäßig ansprechende Ausrichtung des Bühnenbildes auf dem engsten Theaterraum der Stadt. Zunächst zeigt sich nur ein fast leerer Raum mit hölzernen Seitentüren, die sich entweder für den Auftritt der Darsteller öffnen oder verborgene Bücher der Bibliothek zu neuem Leben erwecken. Im Vordergrund geben einige Treppenstufen die Möglichkeit, parallel auf zwei Ebenen und in zwei Zeiten zu spielen. Und seitlich begleiten am Flügel zwei Pianistinnen im abendlichen Wechsel das Spiel mit eben jenen Variationen, wenn sich ihr Thema den Ereignissen und Gesprächen auf der Bühnen nähert.
Wir sehen Robert Gallinowski, dem das Regiekonzept des Deutschen Theaters, in dem er lange Zeit zu sehen war, wohl zu eng geworden ist: Hier kann er sowohl als knurriger und später auch schon mal etwas freundlicherer Beethoven mit wildem weißen Haarschopf und verkniffenem Blick ein überzeugendes Konterfei des eigenbrötlerischen Komponisten zeigen; und auch in der Doppel- Rolle als dessen Biograf und Sekretär Anton Schindler (1871-1851), – ein beachteter Komponist, Schüler von Joseph Haydn und Orchesterdirektor am Josephstädter Theater – zeigt sich Gallinowski als duldsamer Gefährte, immun gegen die Beleidigungen und Ausfälle seines Meisters. Er wird es nicht leid, immer wieder zwischen dem Drängen des Verlegers und dem Anspruch Beethovens diplomatisch zu vermitteln. Als Schindler allerdings kommt Gallinowski fast ein bisschen zu lässig und nonchalant herüber. Die skurrile Figur eines Diabelli (1781-1858), der schon genau weiß, wovon er spricht und was dem Geschäft dienlich ist, gibt Ralph Morgenstern in ganz köstlicher und passend kostümierter Persönlichkeit, die uns an Salieri-Darstellungen erinnert…
Neben der Historie also die modernen Forscherinnen und auch die modernen Konflikte zwischen Katharina Brandt, die zuerst Wissenschaftlerin und dann, nahezu ohne Verständnis auch Mutter einer erwachsenen Tochter ist, die an deren Ansprüchen schier verzweifelt. Sie sind sich sehr fern in ihrer Lebens- und Arbeitsauffassung. Rosel Zech trägt die Rolle mit Energie und Hingabe, später mit Würde und neuem Verständnis für den Lebensplan der Tochter Clara, die Anne Berg mit verzweifelter Distanz und zurückgehaltener Trauer spielt. Ein schmerzlicher Tanz um das Leben ihrer Mutter lässt sie auch gegenüber dem einfühlsamen Krankenpfleger Mike, der ihre Mutter betreut und sich in die Tochter verliebt, zunächst distanziert bleiben.
Fazit:
Ob sich diese beiden Themen, so gewaltsam mit einander verhakt, auch wirklich gut vertragen, mag dahin gestellt sein – zumal sich auch ein so schwerer körperlicher Defekt wie Taubheit nicht mit einer grausamen Nerven- und Muskelerkrankung vergleichen läßt. Wie sich moderne Forscher mit Leidenschaft, blind für ihre Umwelt, der Geschichte nähern und sich dieser in dramaturgisch noch reicher aufgearbeiteten Bildern in vielen Facetten begegnen könnten, wäre eine weitere Variation wert. A.C.