Das letzte Feuer, Potsdam

von Lea Doher
Hans-Otto-Theater  Potsdam

Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Musik: Camill Jammal
Video: Bastian Albrecht, Dramaturgie: Ute Scharfenberg
mit: Susanne, die Mutter: Meike Finck, Ludwig, der Vater: Axel Strothmann; Rosmarie, die Geliebte: Susanne Krassa; Edna, die Polizistin: Katharina Branatschk; Karoline, die verwirrte Großmutter: Gisela Hess; Olaf, Autofahrer: Eddie Irle; Peter, Hundehalter: Jon-Kaare Koppe; Rabe, der Kriegsversehrte: René Schwittay
 

Kein Mittel gegen das Leben

Auf der länglich kargen Bühne, die mit Umzugskartons und leeren Pappquadraten auf einen Aufbruch oder Umbruch hinweist, stehen eine Menge Leute herum und betrauern den Unfalltod des achtjährigen Nachbarjungen. Die in dunkle Tücher gehüllten Frauen und Männer werden sich nach und nach aus der Anonymität lösen und ihr eigenes Schicksal preisgeben. Das Leid, das die Eltern Susanne und Ludwig aus der Bahn ihres relativ geordneten Lehrerlebens und Familiendaseins geworfen hat, wird sich in ihrer aller Unfähigkeit und Unglauben spiegeln: das Leben der anderen wahrzunehmen, die eigenen Beziehungen tragfähig aufzubauen, das mit Schmerzen behaftete Schicksal gemeinsam zu tragen und die Blessuren des Lebens nicht im Sinne mittelalterlicher Vorstellungen länger als Strafe Gottes zu verstehen. Vielleicht eher so: dass ein jeder des anderen Last trage. Aber die Bürde ist für alle zu schwer geworden.

Intendant Tobias Wellemeyer hat sich das schwierige epische Werk der Germanistin Lea Doher (Jahrgang 1964) vorgenommen, um deren vielfach verschlungene poetische “Erfahrungsgeschichten” dramaturgisch in einer Bühnenversion zu verarbeiten. Das Problem, das in dieser gut zweistündigen, durchaus spannungsreichen Regiekonzeption liegt, ist nicht zu bewältigen, denn es hätte bedeutet: die Komplexität des Stückes zu vereinfachen, sich miteinander verbindende Abläufe und Strukturen zu einem dramatischen Aufbau zu formen und zu ordnen und damit den Anriss menschlicher Ängste, Fluchtversuche, Verletzungen, Frustrationen und Depressionen zu einer theateradäquaten Fassung zu verbinden.

Der Rahmen ist schnell gesetzt, wenngleich auch hier bereits in verwirrend doppelter Ausführung: Eine ehrgeizige Polizistin verfolgt den Wagen eines verdächtigen Attentäters, verfolgt den Flüchtigen mit Höchstgeschwindigkeit durch ein Wohngebiet und überfährt den kleinen Edgar, der am Rande der aufgerissenen Fahrbahn mit einem Nachbarn Ball spielt und vor Schreck, als der erste Wagen an ihm vorbeibraust, über die Fahrbahn zur elterlichen Wohnung auf der gegenüberliegenden Straße laufen will. Dabei erfasst ihn das Auto der Polizei.

Von Schuldgefühlen geplagt und von Schmerz zerrissen, quälen sich seine Eltern (Ludwig, der zusammenbricht und Susanne, die sich in verzweifelter Sinnsuche und Vorwürfen selbst zerstört) und vor allem der Mann, der mit Edgar zuletzt spielte; ein Kriegsversehrter, Rabe, zu dessen Narben und nicht verheilten seelischen Wunden nun eine neue hinzukommt. Der Fluchtfahrer, der junge, nicht unbescholtene, koksende Olaf verkriecht sich fortan in seinen vier Wänden, halb wahnsinnig vor Angst. Die einstige Kunsterzieherin Rosmarie, Geliebte Ludwigs, brustamputiert, die auch mit Hilfe zahlreicher Liebhaber den vermeintlichen Verlust ihrer Weiblichkeit nicht kompensieren können, bleibt an den eigenen Egoismen hängen; sie hat keinerlei Beziehung zu dem Kind oder zum Leid der anderen, wohl aber eine neue, jetzt gleichgeschlechtliche zu der Polizistin Edna, die ihre Schuld am Tod des Jungen an der künstlichen Mutterbrust verdrängt. So quälen sie sich und einander kreuz und quer in einem armseligen vernachlässigten Stadtteil, das symbolisch die seelische Armut der dort wohnenden Menschen wiedergibt, die sich allesamt zu “Attentätern” entwickeln, um im “letzten Fege-Feuer” von ihren Sünden gereinigt zu werden. Das ist eine schwere Metapher, die man sich gut überlegen sollte, bevor man sie in dieser Art ins Spiel bringt.

Nur ein einfacher Mann trotzt dem allgemeinen Elend; er ist arm und arbeitslos und bemüht sich redlich, wenn auch vergeblich um den psychopathischen Peter, aber er nimmt auf der anderen Seite alles, wie es ist und ist höchst zufrieden, als sein Hund Humboldt als Wachhund eingestellt wird! Für ihn ist die Welt beinahe in Ordnung, wären da nicht die schrecklich zahlreichen Flöhe, die ihn ständig piesackten! Soll hier eine Milieustudie im Vordergrund stehen, dann schafft die zeitweilige Aufheiterung mit diesem Typus gute innere Distanz zu der exzessiven Psychodramatik der anderen. Oder sind es – wieder einmal als überfrachtete Symbolik – die gut verdrängten Gewissensbisse, die sich doch ziemlich lästig und schmerzhaft spürbar machen?

Doch was bedeutet es, wenn Ludwig am Ende, nachdem er, nervlich völlig zerrüttet und nicht in der Lage, sein Unglück weiterhin zu ertragen, seine demenzkranke Mutter in der Wanne ertränkt hat, selbst halbtot am Tisch sitzt und von allen mit Milch übergossen wird? Als Parabel für eine verschüttete Mutter-Sohn-Beziehung wäre das dann doch wohl etwas simpel!? Es gibt leider noch mehr Ungereimtheiten in dieser Aufführung (und in der Erzählung), die sich dem Trend der Zeit anschließt und dafür leere Stuhlreihen in Kauf nimmt.

Dass Wellemeyer ein vorzügliches Schauspielerteam zur Seite steht, rettet den Abend und vermutlich auch das noch heftig zu bearbeitende Stück. Man darf auf diese Schauspieler gespannt sein, die alle großartig sprechen, aber im schwierigen Regietheater nur noch selten geforderte darstellerische Variationen zeigen können. Mit ihnen könnte das Potsdamer Hans-Otto-Theater seinen erfolgreichen Weg  – mit neuen Akzenten – fortsetzen und mit den großen Stücken der Antike (die in diesem Schuld- und Sühne- Stück bereits anklingt) und der Klassik wie auch der Dramatiker des letzten Jahrhunderts beeindruckende Theaterabende garantieren. A.C.

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