Eine deutsche Revolution
Der Realität waren sie nicht gewachsen
Im Zentrum dieser bitteren historischen Erinnerung steht der feingeistige Pfarrer und Schulrektor Ludwig Weidig, der um sich herum eine Gruppe engagierter Männer gesammelt hat, die gegen die Willkür der Landesherren, gegen Unterdrückung und Ausbeutung der Bauern mit Traktaten und Flugblättern aufrufen. Das Leid der Menschen, die der hohnsprechenden Anwendung der Gesetze durch die Organe der Exekutive und der behördlichen Instanzen ausgeliefert sind, ist ein für diese Gruppe legitimer Aufruf, zum Kampf gegen Elend und Unfreiheit aufzurufen und die vorbereiteten Flugschriften und Pamphlete mit der geistreichen und treffenden Schreibkunst des Darmstädter Wissenschaftlers, Mediziners und Biologen Georg Büchner zu verschärfen.
Doch Weidig und seine Gruppe werden verraten und jahrlang in Untersuchungshaft gehalten. Ein sadistischer Alkoholiker als Richter wird vor allem Weidig in diesen Jahren quälen und foltern bis zu seinem ungeklärten Tod 1837 (hier steht fest, dass er von Georgi selbst ermordet wurde). Der realistische Theologe allerdings fordert den unberechenbaren Paranoiker in jedem Verhör von neuem heraus, indem er Georgi mit Standhaftigkeit, und der Logik und Schärfe seiner Argumentation geistig in die Enge treibt. Georg Büchner stirbt vier Tage später in der Schweiz, 23 Jahre alt, fern der Freunde, die ihm zum Exil geraten hatten.
Anhand der erhalten gebliebenen Gerichtsprotokolle und der persönlichen und historischen Daten Georg Büchners und der Ereignisse in jenen Jahren ist aus dem Roman von Edschmidt jetzt ein stark berührendes Drama entstanden, das den Konflikt zwischen erbarmsloser – und hier krank- und wahnhafter – Obrigkeit und dem freien Geist des unerschrockenen Weltverbesserers erschütternd auf die Bühne bringt – und unzweifelhaft ein Bildnis des wahren Siegers zeichnet. Ulrich Rechenbach ist ein glaubwürdiger, ungestümer, blitzschnell und gescheit denkender Georg Büchner, der in seiner Liebe zu der hübschen Französin Minni (Ulla Schlegelberger) ebenso stürmisch ist wie er für die umstürzlerischen Ideen der alten Gesellschaftsstruktur eintritt. Durch Rechenbachs einfühlende psychologische Ausformung gewinnt Büchners Charakter deutlich an Farbe und Lebendigkeit.
Andreas Herrmann ist als Ludwig Weidig ein überaus ernsthafter, liberaler Denker, der die vorhandenen Strukturen nicht mit Gewalt und auch nicht von heute auf morgen, sondern wohlüberlegt, mit diplomatischen und politisch durchdachten Zügen auf dem Schachbrett der Wirklichkeit und nicht gegen die Mächtigen, sondern mit ihnen gemeinsam vorantreiben möchte und sich Büchners brillanten, aber radikalen Formulierungen gern, aber mit Einschränkungen bedient. Dass Michael Scherff als Hofrat Georgi keine Sympathien auf sich ziehen kann, ist klar; aber wie selbstherrlich er regieren und massakrieren darf, das gibt ein höllisches Bild der Justiz in jenen Zeiten und in Gefängnissen wieder, wie es sie erschreckenderweise auch in unserem Jahrhundert in vielen Ländern der Welt noch zu finden sind. A.C.