Gut gegen Nordwind
von Daniel Glattauer
Komödie am Kurfürstendamm
Regie: Rüdiger Hentzschel, Regieassistenz: Annika Lüdecke
Bühne: Julia Hattstein, Kostüme: Gizella Koppany
Projektion: Pascale Guiloon
Liebe via email
Die Theaterfassung der charmanten Lovestory via E-Mail “Gut gegen Nordwind” ist durchweg reizend, charmant und empfehlenswert – allerdings wird sie den Emotionen und Assoziationen, die die literarische Vorlage weckt, nicht ganz gerecht. Das bittersüße Ende der großen und -wirklichkeitsecht- unerfüllten Liebe ist nicht so traurig wie man es bei der Lektüre dieses reizenden Briefwechsels zwischen der eroberungsfreudigen Emmi und dem zunächst zurückhaltenden Leo wohl meinte spüren zu können. Hier, auf der von hellen Faltwänden eingerahmten offenen Bühne, die nur imaginär geteilt ist, indem sie den beiden Darstellern je eine Hälfte überlässt – Emmi das rote Sofa – und Leo den Schreibtisch – , entwickelt sich nun ein überwiegend heiteres, spannungs- und lustvolles Techtelmechtel zwischen zwei Personen, die einander und sich selbst erst nach und nach behutsam körperliche und geistige Konturen und auch seelische Tiefenschärfe verleihen.
Zuerst gibt es natürlich mächtig Zoff, denn nachdem Emma ihr Zeitschriftenabonnement dreimal vergeblich gekündigt und immer noch keine Bestätigung erhalten wird, flutet sie wütend einige Worte durch das Netz – verärgert registriert von Leo, der sich durch einen Schreibfehler in der Adresse angesprochen und belästigt fühlt. Auf seine mürrische Abfuhr reagiert die kecke Emma herzlich schnippisch, und letztlich ist sie es, die den Wortwechsel forciert, der von Mal zu Mal geistreicher, intelligenter, spöttischer und verschmitzter wird, bis sich ein reizender Flirt zwischen den Beiden entwickelt. Erheiternd, cool und locker geben sich Tanja Wedhorn als verspielt-angriffslustige junge Frau und Oliver Mommsen als der gar nicht spröde Wissenschaftler Leo Leike, der gerade an einer Studie über Emotionen im Internet, speziell im Austausch von emails arbeitet, so dass man sich mitten in einer Komödie des Lebens befindet. Wie die Beiden einander näher kommen, gefährlich näher, sich anonym in einer Bar verabreden, nicht erkennen, und doch ahnen, wer der andere sein könnte – wie sie wie zwei schnurrende Katzen um den heißen Brei herumschleichen, sich verbal streifen, ihre Nackenhaare aufrichten, um nach und nach mit spürbarem Knistern das leicht entfachte Feuer schnurrend und schmusend zum Lodern bringen, das ist vortrefflich inszeniert und mit berührenden Effekten und erstaunlichen verbalen Verführungskünsten gespielt. Wie macht- und prachtvoll kann Sprache sein! Aber Worte sind auch wie Seifenblasen, die zerspringen, wenn man sie festhalten möchte.
Dennoch: es ist keine Tragödie. Und Emma, die von Leo zärtlich Emmi genannt wird, ist und bleibt ein hilfsloses, scheues Wesen, dass sich seinen Mut, seine Liebessehnsucht und seine Lebensträume nur virtuell erfüllen kann, und Leo? Auch er ist ein charmanter, liebenswerter, intelligenter und witziger Freund mit nur einem Mangel: er scheut Bindung und Verantwortung, aber hinter dem Schutzwall der Anonymität wachsen seine stürmischen Visionen und leidenschaftlichen Gefühle.
Im Nachherein wirkte die Inszenierung doch sehr ungleichgewichtig, weil Mommsens Leo darstellerisch differenzierter ist, seine Auf- und Abgänge, seine Zuneigung zu diesem fremden quirligen Wesen immer intensiver, vitaler und emotionaler wird. Tanja Wedhorn verleiht ihrer Emmi, mit der sie ihre Sätze immer schneller und öfter eintippt, pausenlos sprudelnd, eine gewisse Hektik und Unausgewogenheit. Leider werden auch die schmerzlichen Briefe ihres Ehemannes Bernhard an Leo nicht vollständig wiedergegeben, so dass seine Rolle ziemlich verdeckt bleibt. Denn wesentlich ist wohl doch die Erkenntnis Emmis, das ihr Mann sie braucht und ebenso heftig wie verborgen um sie ringt – und daher wohl der feste Fels in ihrem Leben zu sein scheint. A.C.