Joseph und seine Brüder

nach Thomas Mann
Deutsches Theater

Regie: Alize Zandwijk, Bühne: Thomas Rupert
Kostüme: Johanna Pfau, Dramaturgie: John von Düffel

 

Joseph rettet nicht nur die Brüder, sondern auch die Inszenierung

Geschichte und Genealogie der biblischen Ur-Väter sind von Thomas Mann in kunstvoller epischer Erzählweise als sinnreiche intellektuelle Auseinandersetzung zwischen Mythos, Gottesglaube und Historie oft und verschiedenfach ausgelegt worden. Dass dies umfangreiche Werk, das in vier Teilen in einer zeitlichen Spanne zwischen 1926 und 1943  entstand und – auch – als abgrenzende Position und Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus einer dramaturgischen Bearbeitung gerecht werden könnte, hat wohl niemand wirklich je geglaubt. Das Fragmentarische der Inszenierung überwiegt dann auch, und das sich nicht nur zu Beginn aufdrängende Gefühl, einer etwas unbeholfenen Schulaufführung beizuwohnen.

Auf der vorwiegend kahl-kühlen Bühne, die nur mit einem Vorhang von einem imaginären zweiten bedeutungslosen Raum getrennt ist,   flattert ein weißes Tuch, Pergament vielleicht, falls das schon zu urbiblischen Zeiten erfunden war, sicher nicht in Kanaan, aber irgend worauf muss der arme Reuben ja seine mühsam erworbene Kenntnis der Vorväter aufschreiben, um sie einem augenscheinlich desinformiertem Publikum zu erklären und seinen Brüdern. Die schlendern nach und nach lässig heran, mehr auf Rauferei aus denn auf Ahnenforschung. Damals wie heute also hat die Jugend anderes im Sinn als es ihren Vätern gleichzutun.

Angegangen wird wieder einmal Joseph, der Erstgeborene von Jaakobs Lieblingsfrau Rahel, weil er seinen Halbbrüdern, von Lea geboren, den Rang in den Vaters Gunst abläuft, was diese handgreiflich demonstrieren. Joseph nimmt es gelassen hin, schon jetzt wissend um seine Position; ein bisschen hochmütig auch, was ihn ja auch fürderhin charakterisieren wird, ebenso sein zartes angenehmes Äußere, der homophilen Ader des Dichters zugesprochen, aber passend nämlich auch für seine Aufgabe als später kluger Ratgeber des Pharao und Retter der Familie. Thorsten Hierse darf in wohlgesetzten biblisch getreuen Sätzen sprechen und gibt sein Auserwähltsein mit großer Würde.
Man kennt die Fortgang, und dass er hier so unspektakulär, so völlig ohne Leidenschaft, ohne Spannung, ohne Mit-Gefühl dargeboten wird, hat wohl etwas auch mit der Unentschlossenheit der Inszenierung zu tun. Wie soll man die Brüder zeichnen, die ja ungerührt den Jüngsten zusammenschlagen und im trockenen Brunnen versenken, um sich seiner endgültig zu entledigen? Als heranwachsende, eifersüchtige Kids, als ehrgeizige Jünglinge, die um des Vaters Segen frühzeitig streiten, als Männer, später, die gebeugt von der Arbeit auf mageren Böden, zum Großwesir des Pharao kommen und um Korn betteln – ohne, dass sie den Bruder erkannt hätten?

Jörg Pose als Vater Jaakob – betrogener Betrüger, der seinen Bruder Esau um den Segen des Vaters brachte, und danach als Flüchtender beim Onkel Laban dienen mußte, zweimal sieben Jahre bis er die geliebte Rahel zur Frau bekommen sollte und dann doch zunächst – betrogen vom Onkel – mit der Schwester Lea vorlieb nehmen mußte, die ihm immerhin zehn Kinder gebar bis Rahel ihren Platz einnehmen konnte, allerdings bei der Geburt des zweiten Sohnes starb… Jörg Pose weiß augenscheinlich nicht so recht, was er mit diesem Jaakob   anfangen soll und mimt ihn eher beiläufig, unbeteiligt, körperlos, nicht richtig anwesend; sein Sprachduktus ist, wie der seiner Söhne auch, alltägliche Umgangssprache, eher beiläufig als ob er den Einkaufsliste seiner Frau wiederholte. Seltsam. Später, als es jäh um die hochrangige “Wiedergeburt”, die Erscheinung seines totgesagten Joseph geht, zeigt er kaum Regung und dann endlich – als er seine Sprache wieder findet, weiß er nicht mehr zu sagen, als dass Josef jetzt aus der Rangfolge ausgeschieden ist. Reuben wird des Vaters Segen erhalten .Joseph nimmt die Entthronung mit würdevoller Gelassenheit hin. Er weiß, seine Geschichte ist anders gelaufen, er hat sein Volk an die Fleischtöpfe Ägyptens geführt. Ein anderer, Mose, wird es eines Tages wieder zurück in die Heimat bringen. Doch das ist nicht seine Sache.

Es gibt natürlich auch einige nette Einfälle: der Händler, der den armen Joseph aus dem Brunnen herausholt, hat einen Bauchladen mit bunten Luftballons und aufgeblasenen Tieren, und ist überhaupt eher ein moderner Jahrmarktsbetreiber als ein alttestamentarischer Wüstensohn, der auf Kamelen Handel treibt. Und Potiphar, des Pharao rechte Hand, ist ein gleichmütiger und unaufgeregter Mann, der die Untreue seiner um eine unmögliche Liebe leidenden Frau zwar durchschaut, aber Joseph doch der Ordnung halber in den Kerker befördert. Joseph also wieder einmal in Gefangenschaft. Aber irgendwie ficht das diesen Burschen nicht an; er weiß um seine Aufgabe, seine Ausstrahlung und seine Intelligenz – und seine Gottesgefälligkeit. Er deutet Charaktere und Schicksale, Katastrophen und Zeichen der Vorsehung – und dieses Wissen verleiht ihm ein neues Amt, Würde und Macht. Und das ist nicht so albern wie die Papphüte und Kostüme des Pharao und seiner Gattin, die mitten durch ein Feld aufgespießter Ähren schreiten, um Joseph aus dem Kerker zu befreien.

Man hätte diesen Joseph allein auf die Bühne stellen und seine Geschichte erzählen lassen sollen. Es wäre ein guter Abend geworden. So war es nur der letzte für diese Inszenierung nach einem Jahr. A.C.

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