Taking Care of Baby

von Dennis Kelly
Deutsches Theater
Regie Sascha Hawemann, Bühne/Kostüme/Video Alexander Wolf
Musik Sascha Hawemann, Dramaturgie John von Düffel

Warum mussten diese Kinder sterben?

Dieses Stück von Dennis Kelly wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum besten ausländischen Stück des Jahres gewählt.

Ob diese Auszeichnung den Kriterien eines Theaterstückes gerecht wird, mag dahingestellt bleiben. Denn Wirklichkeit pur, unverarbeitet, ohne den Kern der Allgemeingültigkeit, ohne die Übertragung auf individuelle oder gemeinschaftliche Lebens- und Erfahrungsmomente  herauszuarbeiten, ist allenfalls ein bedrückendes und ergreifendes Dokumentarspiel. Und das geht mit der Gefahr einher, entweder Klischees zu bedienen, kitschig, grausam oder geschmacklos zu sein. Wenn es sich gar der Sensationslust des Zuschauers bedient, dann ist es nicht besser als eine TV-Doku-Seifenoper oder ein Krimi, die man daheim in aller Beschaulichkeit anschaut. Die moderne Dramatik liebt es, grausame Realitäten auf der Bühne nachzustellen – es gibt zahlreiche Stücke dieser Art, die man auch in Berliner Theatern sehen konnte – vordringlich waren es die Amokläufe von Schülern, die im Wahn jeden ziellos jeden niederschossen, der sich ihnen in den Weg stellte oder in ihrer blinden Wut “schuldig” am eigenen Desaster war. Während sich deutsche Film- und Bühnenadaptionen mit verstandesorientierter Analyse dem Sujet nähern, suchen die anglo-amerkanischen Autoren, die Ursachen auf psychologischer Ebene.

Dies Stück einer Mutter, die nacheinander ihre beiden Kinder durch plötzlichen Tod verlor, macht da keine Ausnahme, man braucht es auch nicht zweimal anzuschauen – aber das eine und erste Mal unbedingt!! Denn was Sascha Havemann hier herausgearbeitet und wie die Charaktere, ihre Ambitionen, ihre charakterlichen Tiefen und Oberflächen vorgeführt und durch die harten Interviewattacken des Autors  – auch für den Zuschauer – zu einem schmerzhaften seelischen Striptease gezwungen werden, dazu bedarf es großer  schauspielerischer Empathie. Hier stehen Gefühle –  die von der amerikanischen Dramenliteratur zumeist als Motor benutzt werden – im Vordergrund, wie die Verzweiflung an den Missständen in dieser Welt bei der gestörten Donna, der vermeintlichen Mörderin ihrer Babys, ebenso aber auch das Machtstreben ihrer hysterischen Mutter Lynn, die als perfektes Abbild einer amerikanischen Parlamentskandidatin bereits während ihres Wahlkampfes den Geschmack der Macht verspürt und ihre Integrität dem Erfolg opfert.

Die wohl schwerste seelische Erschütterung lastet auf den Schultern von Donnas früherem Ehemann Martin. Verhalten, behutsam setzt ihn die Regieführung nach einer zuvor heftig aufwühlenden tätlichen Auseinandersetzung zwischen Donna und Lynn, jetzt in Szene. Sehr sehr langsam – eine Erholungspause für das Publikum -, sucht er den Stuhl inmitten des Raumes, setzt sich, erhebt sich wieder, um etwas fortzuräumen, in scheinbar somnambuler Konzentration, setzt sich wieder auf den Verhörstuhl, bleich, angstvoll, dem Interviewer (Autor) lediglich ein “Nein” oder “Ja” auf seine unbarmherzigen Fragen gewährend. Und dann bricht doch alles aus ihm heraus, ein ohnmächtiger Schmerz, in dem der er seine – in der Revision für unschuldig erklärte Frau – noch immer für die Mörderin seiner   Kinder hält. Einem Dammbruch gleich sprudeln die Worte über seine Lippen bevor er verbal zusammenbricht, sich wieder fängt, dem Reporter erneut seine Wunden darbietet. Moritz Grove spielt den seelisch zerstörten Martin und den unsensiblen Interviewer zugleich, mit einer unglaublichen Koordination und Disziplin.

Wie unbarmherzig, wie quälerisch sind die Fragen, die der Reporter   zu Beginn des Stückes der jungen Frau Donna nach ihrer Freisprechung stellt! Ärmlich gekleidet, in sich zusammengesunken, hockt sie verloren am vorderen Bühnenrand, erzählt sie von dem Martyrium ihrer Gefängniszeit; mal mit klarem Blick und offenem Gesicht, dann sich irritiert vor den Fragen und vor dem Scheinwerfer der Studiolampen duckend, während sie von den Frauen dort berichtet, die die Kindsmörderin voller Verachtung mit den scheußlichsten Dingen konfrontierten und misshandelten.
Das scheint für Donna weit fort zu sein, überstanden, gewesen. Doch sobald die Fragen ihre Kinder betreffen, verweigert sie sich. Sehr viel später erst wird sie von dem erahnten jähen Tod des Sohnes erzählen, von der unruhigen und schönen Tochter, der sie einer tödlichen Hitze aussetzte; Sie kann die Erinnerung nicht ertragen. Das Rätsel bleibt, wird aufgesplittert. Die Frage nach dem “Ob” und dem “Warum” erhält erst durch den Psychiater (von Peter Moltzen als unfassbarer  Charakter dargestellt) eine neue Dimension. Er kämpft vehement für seine Version der pathogenen Leidkompensation durch Gewalt an dem, was der Mensch liebt. Wüssten wir nicht, dass sich eine Psychose nach der Schwangerschaft durchaus nicht nur gegen die Mutter selbst richtet, wäre die These des Arztes gänzlich absurd. Doch verwirrend ist dessen Verhalten; seine nervöse Darstellung von Donnas krankhafter Suggestion, während er unruhig immer wieder den Raum durchquert, als ob er vor irgendetwas davonlaufen möchte. Später, vor dem grellen Scheinwerfern des Studios, von der zwingenden Stimme des Interviewer ähnlich den Anwaltsattacken, wie wir sie aus Gerichtsszenen von US-Filmen kennen, schachmatt gesetzt, rastet er aus, weil man seine Forschung anzweifelt, ihn zum Schuldigen macht. Steht sein Credo vielleicht doch auf tönernen Füßen? Nämlich, dass Donna ihre Kinder tötete – wie viele andere gewalttätige Frauen auch, die er behandelt hat -, weil sie das Elend dieser Erde, explizit den Bettler, der auf ihrem täglichen Weg ihr ohnmächtiges Mitleid erregte, nicht ertragen konnte? Donnas Mann berichtet, dass er sie oft weinend zuhause angetroffen habe, wenn von Unglück in der Welt berichtet wurde, dass sie das Baby stundenlang auf dem Arm herumtrug, als ob sie es vor den Grausamkeit des Lebens beschützen und behüten wollte…
Mit beeindruckender Intensität zeigt Meike Droste ihre Donna in allen möglichen, depressiven und extremen psychischen Verfassungen und Facetten: mutig und offen, verspannt und zerstört, in wütender Panik und stiller Verkrampfung, bis sie am Ende offenbar einen neuen Weg gefunden hat. Aber die qualvolle Frage, was und warum es geschehen ist, findet keine Antwort. A.C.

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