Mazeppa

von Pjotr Iljitsch Tschaikowski
Komische Oper Berlin

Text vom Komponisten nach dem Libretto von Victor Petrowitsch Burenin;
nach dem Poem Poltawa von Alexandr Sergejewitsch Puschkin.
Uraufführung am 15. Februar 1884 am Bolschoi-Theater Moskau

 

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Die Geschichte ist nicht ganz so einfach wie sie klingt: ein alter Kosakenhauptmann (Mazeppa) verliebt sich in die sehr junge Maria, die Tochter seines Freundes Kotschubej, die auch ihn liebt. Das kommt vor. Nicht aber im zaristischen Russland, wo Kosaken, auch und gerade, weil sie als einfache Bauern die militärische Macht des Zaren verkörpern, wenig beliebt sind, und andrerseits noch immer der Vater  – in diesem Falle ein reicher ukrainischer Gutsherr – über die Ehegattenwahl seiner Töchter beschließt. Also, ein Drama, das an mehreren Fronten ist angelegt ist, bei Puschkin in einem Poem, dass sich auf die Schlacht bei Poltawa (1709) bezieht, sprachlich ebenso brillant wie politisch auf pro-Russland ausgerichtet, bei Tschaikowsky vornehmlich auf eine aussichtslose Liebe und eine verratene Freundschaft.

Eine Palette großer Gefühle, trügerischer Hoffnungen, großer Höhen und abgrundtiefem Gefälle. Eine fulminante Oper, ein Drama, das sich zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, politischer Parteinahme und persönlichen Bedürfnissen abspielt. Nun, Kotschubej, von Alexey Antonov leidenschaftlich und stimmgewaltig verkörpert, sinnt auf Rache und bezichtigt den verhassten ukrainischen Schwiegersohn des Hochverrats gegen Zar Peter. Aber der Kosak hat beim Zaren beste Karten und statt seiner wandert der Vater ins Gefängnis, und gesteht unter Folter, selbst sich gegen den Zar verschworen zu haben. Er wird vom Schwiegersohn zum Tode verurteilt, der tatsächlich zu den Schweden längst Kontakt aufgenommen hat und weiß, dass somit sein Schicksal und das seiner jungen Frau sehr wohlauf Messers Schneide stehen. Hinzu kommt der Jugendfreund von Maria, der Mazeppa natürlicherweise nicht wohl gesonnen ist und bis zum letzten Moment Rache schwört. Doch als der Kosakenhauptmann nach der entscheidenden, für den Zaren erfolgreichen Schlacht gegen Schweden, abgerissen und elend auf der Flucht noch einmal Marias Elternhaus auf der Suche nach der verlorenen Frau aufsucht, tötet er Andrej im Duell. Maria hat ihren Mann an dem Tage verlassen, als er ihr seinen Plan verraten und damit seine Schuld an ihrem Vater eingestanden hatte. Nun ist auch sie auf der Suche nach dem Jugendfreund zurückgekehrt; Wahnsinn hat ihre Wahrnehmung gelindert, und mit noch lange nachklingender, ergreifender Zärtlichkeit wiegt sie den toten Andrey in ihren Armen.  

Tschaikowski Oper, die zwischen Piquet Dame und Eugen Onegin steht, ist von dynamischer Brillanz und bietet einen Gefühlsfuror, wie ihn wohl nur die russische Seele auszuleben vermag. Henrik Nanasi führt das Orchester mit eben dieser Leidenschaft, die unter die Haut geht, und es spricht für das Gastensemble, dass es in diesem gewaltigen tonalen Einsatz seinen Stimmen zur Dominanz verhelfen kann. Robert Hayward als Mazeppa besticht als machtvoller Hauptmann  und ebenso zärtlicher Liebhaber, der – so sagt man heute der historischen Figur nach – für die Autonomie der Ukraine kämpfte und somit seinen von der Sowjet-Politik immer noch als absoluten Verrat verurteilten Seitenwechsel mit der notwendigen Grausamkeit betreiben mußte. Die gewaltigen und gewaltsamen Gefühlsskalen der persönlichen Schicksale und politischen Ereignisse steigern sich in der Unbarmherzigkeit zeitabhängiger Bedingungen und der zum Scheitern verurteilten Liebe eines ungleichen Paares. 

Dass der Regisseur Ivo van Hove, bekannt durch eine eher unaufgeregte Zauberflöteninszenierung und einem alten Flop an der Volksbühne hier nun die Liebesgeschichte der Oper der Brutalität des Krieges opfert, ist eine mögliche Sichtweise. Überzeugend ist sie nicht. Denn was da an Videofilmen über die Leinwand läuft, ist so schmerzvoll, so brutal und abstoßend (Kriegsrealität in der Geschichte der Menschheit), dass man es kaum ertragen kann. Natürlich ist Tschaikowskis Sinfonie auch und intensiv auf die Schlacht bei Poltava ausgerichtet, aber wenn Regisseure nicht einmal mehr der Kraft und der Kunst der Musik vertrauen, dann sollten sie nicht mehr an einem Opernhaus inszenieren!  Diese Inszenierung mit Opfern von Massenvernichtungswaffen und Umweltzerstörung zu illustrieren, kommt selbst einer Vernichtung gleich. Das Anliegen des Komponisten ist es doch, durch die Kraft der Musik Schicksale, All-zu-Menschliches zu betrauern: dass Liebe an der Willkür von politischen und gesellschaftlichen Bedingungen zum Scheitern verurteilt ist. Dieses Ziel haben zumindest die wunderbaren Sänger erreicht mit den dunkel strömenden Bass-Duellen der beiden Widersacher: Mazeppa und Kotschubej, dem dramatisch verzweifelten Tenor von Ales Briscein als Andrej, dem stechend schmerzenden Sopran von Asmik Gregorian, dem vollen, warmherzig ausgreifenden Alt von Agnes Zwierko als Marias Mutter. Christoph Späth rundet das vokale Vollblut- Ensemble als Mazeppas Adjutant energisch in der undankbaren Rolle des Folterknechtes Iskra ab. A.C.

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