Der Menschenfeind DT

von
Jean Baptiste Molière

  Deutsches Theater Kammerspiele

Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne Anne Ehrlich, Kostüme Marion Münch
Dramaturgie Anika Steinhoff

mit: Jörg Pose (Alceste), Helmut Mooshammer (Philinte), Alexander Simon (Oronte), Judith Hofmann (Célimène), Caroline Dietrich (Éliante), Verena  Reichhardt (Arsinoé), Claudius Franz (Acaste), Markwart Müller-Elmau (Clitane)

 

 

Lebenslust und Partyfrust in Großformat

Ästhetik als sinnliche Wahrnehmung – auf Leinwandformat gebeamte großporige Gesichter, rote Münder, schimmernde Zahnreihen, tränende Augen, lächelnde Falten, große Nasen. Körperlose Gesichter, die sich die herrlichsten und geistreichsten Dispute liefern, mit denen Molière seiner Zeit den Spiegel vorhielt, scharfsinnig, bissig, von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens salonfähig und gefällig gereimt. Währenddessen langweilen sich unterhalb der Videowände auf der dunklen Bühne die letzten realen Überlebenden der trinkfesten Partygesellschaft von Alcestes Angebeteter Célime mit erotischen Spielchen und einem Berg von Champagnerflaschen.

Oben: in Technik-Color findet also der verbale Kampf um die reine Liebe in theoretischen Tiraden statt, darunter Sex als Realität. Eine Realität, mit der sich Alceste, der um seinen Standort ringende Tugendwächter, durchaus nicht abfinden will und kann, die er nicht einmal zur Kenntnis nimmt, so sehr ist er damit beschäftigt, seine Verdammungsgeschosse auf die verderbte heuchlerische, unehrenhafte, opportunistische Gesellschaft zu schleudern. Der Mensch in seinem unerträglichen Schein und unerträglichen Geschwätz ist ist ihm ein Gräuel, das es zu ohne Rücksicht zu bekämpfen gilt, auch wenn er, Alceste, selbst dabei Federn lassen muss. Hitzig widersetzt er sich den gut meinenden toleranten Beschwichtigungen seines Freundes Philinte, der die Menschheit so akzeptiert wie sie ist, aber nicht daran verzweifelt. Alceste aber, der Menschenfeind, der seine geschliffenen Hasstiraden gegen alles Unehrliche in der Gesellschaft wendet, der ein blitzschnelles, scharfes Florett führt, bleibt dennoch ohne Treffer, einsam und allein, verbittert. Denn der Mensch ist wie er ist, sagt Philinte, und er rät dem fanatischen Freund zu Milde und Nachsicht.
Ihrer beider Mienen spiegeln bei Alceste inneren Aufruhr und Verzweiflung, freundliche Gleichmütigkeit bei dem Freund wider. Aber sie reden kontakt- und beziehungslos jeder für sich, und wahrscheinlich auch aneinander vorbei. So verknäult sich der feine Faden der Anklage gegen die infame Menschheit zu einem unentwirrbaren Kloß: Denn, so scharf Alceste seine Mitmenschen durchleuchtet, so blind bleibt er gegenüber der eigenen Intoleranz und uneinsichtig, wenn es um den Lebenswandel seiner angebeteten Célimène geht; Er ringt um sie, verteidigt sie, beschimpft und erzieht sie – alles in allem tut er so ziemlich alles, was eine Frau davon abhält, solch einen widerborstigen, unliebenswerten Zeitgenossen zu lieben.

Célimène aber leidet tränenklimpernd und süffisant lächelnd auf der Leinwand für sich allein. Vielleicht liebt sie diesen Menschenfeind doch ein bißchen, obwohl sie lange mit ihm Katze und Maus spielt, ihn zappeln, darben, verzweifeln, schluchzen, bitten und betteln läßt, und sich kapriziös damit für seine verbalen Erniedrigungen, Unterstellungen und Verurteilungen rächt. Sie würde diesen Mann wohl ertragen und lieben können, würde er nicht von ihr letztlich Unmögliches verlangen: sie lebendig in seiner traurigen Einsamkeit und Menschenleere zu begraben, ihr alle Lebenslust und Freude zu nehmen. Sie ist bei weitem nicht gewillt, bei Alceste zu vertrocknen und seinen Mißmut widerspruchslos hinzunehmen. Sie ist jung und schön und will bewundert, umflirtet und umflattert werden. Aber dabei schlägt sie leider über die Stränge; Indem sie ihre Galane gegeneinander ausspielt und der Lächerlichkeit preisgibt, empören sich alle gegen sie. Nur Alceste bleibt ihr treu ergeben und hofft, sie nun endlich, nachdem alle Freier aus dem Feld geschlagen sind, für sich allein zu besitzen.

Das alles ist bei Molière höchst vergnüglich anzuhören. Man leidet zustimmend mit Alceste, schwankt auch zwischen Freud und Leid mit der kecken Célimène, amüsiert sich über den selbstverliebten Oronte, der sich mit albernen Versen so lächerlich macht und doch den Prozess gegen Alcéste gewinnt, man sieht mit gleichem Spottempfinden auf die eitlen Gecken Acaste und Clitane, und stellt immer wieder von Neuem fest, dass sich seit Jahrhunderten im menschlichen Verhalten nichts geändert hat.
In der Inszenierung von Andreas Kriegenburg aber nimmt das Kino der Tragikomödie ihren Geist und ihren traurigen durch die nebeneinander her disputierenden, diskutierenden Herren und giftsprühenden Frauen -Judith Hoffmann als überlegen blinzelnde Célimène und Caroline Dietrich als unnötigerweise in den Rollstuhl verbannte Èlimene, geifern mit gräßlich großen roten Mündern und blitzenden Augen gegeneinander – zuviel Gezerre, zu viele Längen und überflüssige Unappetitlichkeiten.

Ob die Rollenbesetzung passend ist, bleibt auch zu überlegen; denn die Protagonisten sind keine Teenies mehr, denen man Partyübermut und Sprunghaftigkeit leicht abnehmen könnte; sie sind schon ein wenig in die mittleren Jahre gekommen – die Fältchen in den Gesichtern sind untrügliche Zeichen, und Célimène hat weder auf der Leinwand noch im Halbdunkel der Bühne solch erotische Ausstrahlung, als das sich glaubwürdig alle Männer der Stadt um sie scharrten. Und die Herren der Bühne – der tumbe Sonettenschreiber, der adelige Langweiler und die beiden hoffnungslos in Alceste verliebten Damen Èliante und Arsinoé bleiben nur Staffage. Zwar verfügt Caroline Dietrich über eine tolle Stimme, mit der sie Alexandras traurig-kitschigen Hit des “Zigeunerjungen” grundlos bis zur Lächerlichkeit celebriert, und Verena Reichhardt ist hübsch anzusehen und auch recht beeindruckend in ihrem Stolz, mit dem sie sich als Racheobjekt gegen Célimène verweigert, aber ihre Anhänglichkeit an Alceste wirkt hier eher aufgesetzt.

Warum kann man Molière nicht so inszenieren, wie er es sich gedacht hat; einfach die Charaktere lebendig und charmant ausspielen – denn die Worte allein sind es, die hier goldschwer wiegen; Partygesellschaften hatten zu jeder Zeit ihre Ausschweifungen, das braucht man im Detail nicht zu zeigen, und diese unvorteilhaften Großaufnahmen vermitteln vielleicht kurzweilige Gefühle und Gedanken, aber sie ersetzten nicht die Körpersprache eines “ganzheitlich” spielenden Darstellers, der sich gleichermaßen Stück, Raum und Publikum untertan macht! Das tiefere Spiel um Liebe, Ehre, Ehrlichkeit, Würde und Wahrhaftigkeit jedenfalls steht hier nur einsam in den Gesichtern. Die bei Molière beheimateten zeitlosen Lebenswahrheiten und psychologisch faszinierenden Charaktere bleiben oberflächlich und vordergründig.

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