Othello Schaubühne

 

von William Shakespeare
Schaubühne am Lehniner Platz

 Regie: Thomas Ostermeier

deutsch von Marius von Mayenburg
mit: Thomas Bading, Niels Bormann,, Ulrich Hoppe, Erhard Marggraf, Eva Meckbach, Sebstian Nakajew, Stefan Stern, Tilman Strauß, Laura Tratnik, Luise Wolfram
Musiker: Ben Abarbanel-Wolff (Saxophon), Thomas Myland (Orgel, Keyboard), Nils Ostendorf (Trompete), Max Weisse

 

Kabale und Lüge

Gleich zu Beginn holt sich der sonore Doge von Venedig bereits feuchte Füße, und das nicht nur, weil er die Klagen des Senator Brabantio abschmettert, der die überraschende Heirat seiner Tochter mit dem schwarzen Feldherrn bejammert, sondern vor allem, weil die feindliche türkische Flotte Kurs auf den venezianischen Stützpunkt Zypern hält, und es nun blitzschnell zu handeln gilt. Nachdem die Ehegeschichte geklärt ist, Desdemona und Othello nämlich ihre Liebe und heimliche Heirat für den Dogen zufriedenstellend erklärt haben, beordert der hohe Rat seinen Kommandanten ab nach Zypern, gestattet ihm allerdings, seine junge Frau mitzunehmen. Othello, der siegreiche Feldherr vergangener Schlachten und gern gesehener Gast im Hause der Mächtigen, wird also seine Flitterwochen im Kampf auf hoher See verbringen und die Türken erfolgreich schlagen.

Was der Vater vor der Ausschiffung noch in seiner Wut prophezeit, nämlich, dass Othello einst von Desdemona genauso hintergangen werde wie er selbst von seiner Tochter, klingt ziemlich unheilvoll und führt dramaturgisch geschickt hinein in die traurige Geschichte. Denn das Unheil in Gestalt von Jago lässt nicht lange auf sich warten. Der, hasserfüllt und eifersüchtig auf Cassio, der von Othello zum Leutnant befördert wurde und ihn damit als Adjutanten in die zweite Reihe drängt, schmiedet im Feldlager auf Zypern gemeinsam mit seinem Freund Rodrigo grausame Rachepläne.

Allerdings steht mit der Besetzung von Stefan Stern ein ganz anderer Jago auf der Bühne als man ihn wohl bislang gewöhnt war: ein noch sehr unreif und linkisch wirkender Jüngling, dessen teuflische Überlegungen, wie er Othello dazu bringen kann, ihn statt Cassio zu befördern und sich gleichzeitig von Desdemona abzuwenden, eher kindlich-absurd wirken, zumal die modern-coole Übersetzung von Marius von Mayenburg ihn als lässig- schlaksigen  Typ darstellt. Mehr Luder als abgrundtief verdorbener Charakter, der das Publikum zurecht mit seinen abgrundtief bösen Ideen erheitert – so absurd erscheinen sie, so unglaubwürdig in der Gestalt dieses jugendlichen Phantasten, der seinem Feldherrn schmeichlerisch und schleimig dient und nach und nach die Saat der Eifersucht in seine Seele injiziiert.

Doch wehe – so sei man wohl gewarnt: man unterschätze diesen eilfertigen eifrigen Liebediener, dessen Lauterkeit und Ehrlichkeit weder jemals von Othello, noch von Desdemona oder gar Cassius angezweifelt wird. Nur einer wird ob der vielen Versprechungen und hohen Geldforderungen Jagos irritiert: Ronaldo, dem nicht nur die Geduld, sondern auch die Geduld ausgeht, um Jagos angebliches Werben um die von ihm begehrte Desdemona mit Schmuck und Gold weiter zu finanzieren.

Nach dem sinnlichen Liebesauftakt des glücklichen Paares, das sein Ehebett nicht ins Kornfeld, sondern ins Wasser gestellt hat, zieht sich die dunkle Brühe langsam zurück, ebenso die Musiker und Schauspieler, die es sich zeitweilig an der rückwärtigen Poolbar bequem machen oder eine wilde und folgenschwere Fete feiern. Nur am vorderen Rand der Bühnenfläche bleibt einer Vertiefung für weitere Plantscheskapaden. Während Musiker und Darsteller ihre quatschnassen Schuhe wechseln, servieren die Musiker auf Zeichen Jagos allerlei szenisch äquivalente Begleitmusik, zärtliche oder wütende  Impressionen, die sich mit der jeweiligen Stimmungslage vereinigen.

Jago bleibt die zentrale Figur in dieser Inszenierung, die im Auftrage des Hellenic Festivals im Sommer 2010 im antiken Theater von Epidauros Premiere feierte und nun auch im winterlichen Berlin angekommen ist.

Dass Regisseure nicht nur Inszenierungen im, am oder auf dem Wasser lieben, mag man ja noch als recht originell empfinden, aber wenn sie sich gleichsam dem Teilrealismus verschreiben und damit die Würde der Sprache ungeniert ins moderne Wörterbuch banaler  Ausdrucksweise pressen, dann rüttelt das dann doch an der Glaubwürdigkeit und den ernsten Absichten einer aktuell-klassischen Übertragung. Denn das Elend der um seine Ruhe, seine Würde, seine Liebe betrogene Othello, der ebenso leicht entflammbar wie erschüttert und verunsichert ist, hat nichts an seiner Dramatik und Tragik eingebüßt. Wie tief die Verleumdungen der Untreue von Desdemona den äußerlich so kräftigen und starken Mann treffen, seinen Glauben an die Liebe der jungen schönen Frau erschüttern, bezieht – einst wie heute – seine tiefenpsychologischen Wurzeln in einer erlebten und empfundenen gesellschaftlichen Minderwertigkeit. Othello als ein „Schwarzer“, ein Wilder, ein Fremdling in der hochgezüchteten, engen und arroganten venezianischen Elite, bestärkt in seiner ungebremsten und unreflektierten Emotionalität die blinden Vorurteile aller Gesellschaften!

Sebastian Nakajew als robust erscheinender Othello ist durch und durch glaubwürdig, als strenger Feldherr, als gütiger wie ebenso gnadenloser Vorgesetzter, als leidenschaftlich Liebender und als ein scheinbar Betrogener, der in ungebremster Verletztheit außer sich gerät. Warum auch sollte er dem winselnd ergebenen, unterwürfig schwänzelnden Jago misstrauen, der so triftige Beweise wie ein Taschentuch!, eine erdachte Liebesbegegnung von Cassio und sich Desdemona, ein falsch geführtes Gespräch als Indizien vorbringt und selbst schier untröstlich gibt über das Gesehene und Geschehene gibt. Wie auch sollte Othello das alles als Lug und Trug erkennen, wo Jago doch seine Leitung, die schließlich zur Lunte führt, so sorgfältig verschlungen ausgelegt hat?

Eva Mockbach gibt ihrer zärtlichen und am Ende hilflos verzweifelten Desdemona das Flair einer stolzen Venezianerin, die sich zwar mutig gegen die ihr widerfahrene Ungerechtigkeit aufbäumt, aber keine Chance gegen die Intrige hat. Die Kabale ist (wie bei Schiller) zu perfekt, der Geliebte (ebenso wie bei Schiller) mit blinder Eifersucht  geschlagen.

Das Taschentuch, ein Erbe Othellos Mutter, voller Zauber und Trugbilder, wird auch am Ende noch einmal das corpus delikti abgeben – diesmal zu Jagos Vernichtung.

Eine Inszenierung, über die sich reden lässt. A.C.

 

nfeldt (Schlagzeug

 

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