Wozzeck

nach Georg Büchner

 Oper in drei Akten (15 Szenen)

von Alban Berg

 Komische Oper Berlin (2004)

 Musikalische Leitung: Manfred Honeck; Inszenierung: Richard Jones; Bühnenbild: Paul Steinberg; Orchester und Chor der Komischen Oper

 Wozzek: Garry Magee; Tambourmajor: Jürgen Müller, Andres: Markus schäfer, Hauptmann: Andreas Conrad, Doktor: Carsten Sabrowski, Der Narr: Werner Ender, Marie: Gun-Brit Barkmin, Margret: Christiane Oertel, Mariens Knabe: Johannes Oertel, Ein Arbeiter: Yuhei Sato, 1. Handwerksbursch; Martin Winkler, 2. Handwerksbursch: Stephan Spiewok

 

Christian Woyzeck 1824 – ein Versuchsobjekt

 Die in den Jahren 1914-1922 entstandene Oper des österreichischen Komponisten Alban Berg basiert auf einem Dramenentwurf Georg Büchners aus dem Jahr 1836. Büchner nahm ein authentisches Schicksal, nämlich die öffentliche Hinrichtung des Leipziger Friseurs Johann Christian Woyzeck aus dem Jahre 1824, sowie die entsprechenden Berichte und Kommentare in einer medizinischen Zeitschrift zum Anlass, um daraus ein sozialkritisches Drama zu formen. Während man im historischen Fall bestrebt war, anhand von Gutachten die Zurechnungsfähigkeit und Schuld des Täters nachzuweisen, ging es Büchner darum, den zermürbenden psychischen und gesellschaftlichen Druck aufzuzeigen, unter dem „sein“ Woyzeck – schließlich blind vor Verzweiflung und Eifersucht – zum tragischen Mörder wurde.

Es tut der Geschichte nicht gut, wenn man sie auf heutige Verhältnisse und dabei gerade auf eine vermeintliche unmenschliche kapitalistische Ausbeutergesellschaft überträgt. Es ist auch überhaupt nicht zwingend. Büchner war als feinnerviger Dichter zweifelsohne durch die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit als feinnerviger Dichter hochgradig elektrisiert, und zwar von der vorherrschenden moralischen Enge, dem gesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Druck, der auf die Masse ausgeübt wurde und den diese an Schwächere weitergaben. Das Erbe einer feudalistisch-monarchistischen Fron sollte nur langsam und mit vielen Opfern einer demokratischen menschenwürdigen politischen Ordnung und einem humanen gesellschaftlichen Bewusstsein Platz machen. Aus dieser Perspektive ist der dramatische Stoff für den Büchner’schen Woyzeck zu sehen: Ein armer Soldat, der sich als medizinische Testperson zur Verfügung stellt, unentwegt Erbsen und Bohnen in sich hineinschaufelt, um das bisschen Geld, das er zu seinem kargen Sold hinzu erhält, seiner Marie und ihrer beider mittlerweile achtjährigem Sohn zu sichern. Warum er nun allerdings seine Marie niemals geheiratet hat, lässt Büchner offen; sonst hätte er ja auch eine andere Geschichte schmieden müssen.

Woyzeck also, ein Hungerleider, von den Kameraden verhöhnt, vom Hauptmann und Doktor zum Versuchsobjekt herabgewürdigt, von Marie mit dem feschen Tambourmajor betrogen, sieht buchstäblich rot – die Abendsonne auf der Bühne glüht und verbrennt sein Innerstes, die folgende Dunkelheit warnt vor Bösem! Die Romantik zersplittert das Drama, indem sie einerseits die Obsession zur Selbstvernichtung, andrerseits die existenzielle Ausweglosigkeit ursächlich macht.

Soweit zu Büchner.

Alban Berg, Schüler Schönbergs, ist fast hundert Jahre später ebenfalls ein Künstler seiner Zeit: Der Expressionismus beherrscht nun Gefühle und Reflektionen vor allem in der Kunst. Das Innerste wird nach Außen gekehrt; Grenzen werden beseitigt, neue Möglichkeiten ausgelotet, musikalisch unerhörte neue Klangwelten errungen. 1925 erfolgte die Uraufführung von Wozzeck an der Berliner Staatsoper; während der nationalsozialistischen Zeit war die Oper als entartet verboten worden; nach dem 2. Weltkrieg aber stellte sie wieder eine große Herausforderung für Dirigenten, Regisseure und Sänger dar, sich mit der anspruchsvollen Aufgabe einer neuen Interpretation auseinander zu setzen.

In dieser neuen Wozzeck-Ausgabe an der Komischen Oper bestimmt Manfred Honeck mit einem Orchester, das ständig auf Hochtouren läuft, die Inszenierung. Sie macht bisweilen eine ausschließliche Konzentration auf die ekstatisch sich aufbäumende Klangdramatik im Orchestergraben geradezu zwingend, da die Sänger auf der langweiligen weißen Kunststoffbühne eher marionettenhaft und statisch agieren. Bis auf Gun-Brit Barkmin, die eine lebenssprühende, geradezu erotisch berstende und doch so liebende und hingebungsvolle Mit-Leidende und Büßerin ist, zerrissen zwischen ihrer Leidenschaft zum Tambourmajor und ihrem Mitleid zum ewigen Verlierer Franz Wozzeck und zum unglückseligen Sohn (Johannes Oertel sind leider erst zum Schluss einige wenige Töne erlaubt, die aber einen knabenhaft reinen Klang vermuten lassen). Bereits bei Benjamin Brittens mysteriös-psychologisch fein ausgeformter Oper „Turn of the screw” brillierte Barkmin nicht nur mit stimmlicher Beweglichkeit und Klarheit, auch körperlich war sie jede Sekunde präsent, in der seltenen Einheit ihres musikalischen Ausdrucks. Ebenbürtig ist ihr diesmal vielleicht nur der Hauptmann, Andreas Conrad, mit einem sauber artikulierenden und ausgeformten Bariton, jedem Ton diese unglaubliche Ignoranz und Verachtung verleihend, die Wozzeck bis ins tiefste Mark trifft. Was konnte sich der ohnehin gesundheitlich strapazierte Garry Magee als Wozzek da noch erlauben? Sein schöner, voller Ton blieb – der elenden Gefühlsanlage durchaus angemessen – verhalten, verletzt; degradiert zum Wurm, dem die rechten Worte zur rechten Zeit und die Tatkraft schon gänzlich fehlen.

Eindringlich malen die Streicher jede Melancholie aus, jede Feinheit der Gefühlssprache, donnern die Schlaginstrumente und kreischen und sägen die Bläser durch die Ungerechtigkeiten und Grobheiten der Menschen hindurch, die sich da oben auf der sterilen Bühne mit ihren Egoismen ausleben. Während Wozzeck und sein einziger Freund Andres am Fließband mit den Konservendosen ihres biologischen Versuchs-Daseins kämpfen. Das Chaos in der (nach revolutionären Veränderungen schreienden) menschlichen Seele musikalisch aufzugreifen, fällt natürlich den Nachgeborenen leicht. Und während Maries Selbstanklage, nachdem sie Wozzeck mit dem Tambourmajor (der hier eher wie ein moderner Möchte-gern-Macho kostümiert wurde) betrogen hat, bereits wie ein Messer ins Herz sticht, so wird die Dramatik einzig und allein von den disharmonischen Tonalitätsbeziehungen, die alle vorgegebene Ordnung zerstören, bestimmt. Da brechen nicht nur gesellschaftliche Dämme, auch musikalisch werden neue Wege geebnet, um für ein aufgewühltes Bewusstsein neue Bahnen zu brechen. Wenn hier also etwas unter die Haut geht, dann ist es der Musik und der Interpretation der durchweg kongruenten Sänger zu verdanken und weniger der küchenkargen Inszenierung, der es sogar „gelingt“, aus einem sinnenbetörendem Tanzvergnügen im Wirtsgarten ein Stakkato stampfender Schrittfolgen zu choreografieren. Hier lässt mal wieder die Volksbühne grüßen. Gibt es denn gar keine anderen Vorbilder mehr?

So wie Berg/Honeck es schaffen, die Charaktere musikalisch eindringlich auszuformen und das Geschehen in fast vollzähligen Variationen aller tanztypischen Formen und Klangvorbilder bis hin zum sinfonisch geradezu beängstigenden, bombastischen Schluss beinahe schmerzhaft auf die Musik zu übertragen, so fern bleibt jegliche Sentimentalität, nachdem sich Wozzeck in einem Müllberg von Konservendosen blutig vergraben hat. Irgendwie, so möchte man trotzig meinen, ist er aber auch selber schuld.

Diese Musik wühlt im Innersten auf, bleibt hängen und haften und arbeitet weiter. Was man leider von Jones’ Inszenierung nicht sagen kann. A.C.

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