Kleiner Mann was nun?, HB

nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada
Theater am Goetheplatz, Bremen 2014
Regie: Klaus Schumacher, Dramaturgie: Regula Schröter, Bühne: Katrin Plötzky, Kostüme: Karen Simon, Musik: Tobias Vethake, Stefan Ulrich, Licht: Christopher Moos

mit: Peter Fasching (Johannes Pinneberg), Annemaaike Bakker (Emma Mörschel), Irene Kleinschmidt (Mutter Mörschel, Witwe Scharrenhöfer, Fräulein Semmler, Frau Rusch), Betty Freudenberg (Marie Kleinholz, Dame, Mia Pinneberg), Guido Gallmann (Lauterbach, Holger Jachmann, Jänecke), Martin Baum (Emil Kleinholz, Keßler), Siegfried W.Maschek (Vater Mörschel, Kube, Lehmann, Joachim Heilbutt), Simon Zigah (Schulz, Herr, Franz Schlüter)

 “Nur nicht arbeitslos werden!”

Am Ende ist der irritierende Chronismus einer elenden Zwischenzeit der deutschen Geschichte einem zeitlosen menschlichen Drama gewichen: Der an der (schlechten, egoistischen usw.) Menschheit zerbrochene Idealist Johannes Pinneberg, der in der Geborgenheit einer großmächtigen weiblichen Kraft seine letzte Zuflucht findet, und die Angst aller Menschen, jäh in einen existenziellen Abgrund zu fallen, finden in dieser Inszenierung zu einem allzeit gültigen Thema.

Die anfängliche hoffnungsfrohe Liebe eines jungen Paares hat am Ende der Caritas, der umfassenden,  sich altruistisch aufopfernden Güte und einer faszinierenden Erotik der Armut ein letzes Schlupfloch gelassen für alle diejenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen – aber nicht dort bleiben werden. Denn diese Botschaft erleuchtet – zwar nicht die sich ins Tiefschwarze verhüllende Bühne – aber die Herzen des einander bedingungslos vertrauenden Paares.

Damit gewinnt diese Bearbeitung eines schwierigen Epos aus der Zeit der unvorstellbaren Massenarbeitslosigkeit nach dem 1.Weltkrieg, die dem Aufbruch des Kommunismus sowie dem Unheil des Nationalsozialismus den Weg bereitete, an Nachhaltigkeit – deren Wirkung sich Zeit läßt bis die beinahe märchenhafte, sich voller Zartheit durch die Inszenierung ziehende Liebesgeschichte von Emma und Hans sich bildhaft festgesetzt hat.

Da ist der jungenhafte Johannes Pinneberg, ein scheuer, schüchterner kleiner Buchhalter, dem es zwar an Courage, aber nicht an Liebe und Hoffnung mangelt, um mit seiner Emma, die er fortan nur noch liebevoll “Lämmchen” nennt, den ungewissen Sprung in ein gemeinsames Leben zu wagen. Gegen den Widerstand von Emmas aufrechten, vom Arbeiterkampf mit Mißtrauen gegen alle “besseren” Leute infizierten Eltern erhalten sie die Erlaubnis zu heiraten, was angesichts des zweimonatigen alten Babies in Emmas Leib, genannt “Murkel”, auch dringend geboten erschient. Aber es sind nicht Not und moralischer Zwang, sondern Vertrauen und tiefe Zuneigung, die die Beiden zueinander führt, und Peter Fasching als Pinneberg und Annemaaike Bakker als Emma schwingen sich in zärtlicher Eintracht über die erste Hürde eines bescheidenen Ehelebens, die Wohnungssuche. Und so herzlich gewinnend, charmant und liebreizend dieses holländische Lämmchen auch ist, es mutiert in den entscheidenen Momenten zum kräftigen Lamm, das die Hürden mit eben dem Menschenverstand, der ihrem unbeholfenen Mann völlig abgeht, aus dem Weg zu räumen versteht.

Und so können Ungerechtigkeit und Willkür der Arbeitgeber, Machtmißbrauch der Unternehmer, Neid und Heuchlertum der Kollegen, die allesamt mühevoll wie kleine Hamster auf der großen, die Bühne völlig vereinnahmenden Tret-Mühle des Lebens herumklettern, die mutige Emma nicht aus dem Gleichgewicht bringen, wohl aber den schon sehr bald verzweifelnden Johannes, der sich abseits aller Ungerechtigkeiten verloren, einsam, unverstanden und mißhandelt fühlt. Er ist wirklich ein “Junge”, wie Emma ihn zärtlich nennt, wenn er so verletzlich am Rande der Gesellschaft darauf wartet, daß ihn jemand aus dieser Isolation erlöst. Eines Tages begegnet er einem solchen Mann: dem selbstsicheren, fröhlichen, zielbewußten Joachim Heilbutt, der ihn unter seine Fittiche nimmt, ihm zeigt, wie man die Kunden überzeugt, sich keiner Willkür beugt und an die Freiheit der eigenen Entscheidung glaubt. Folgerichtig wird er eines Tages aus der Not wirklich eine Tugend machen, nämlich ein Geschäft aus den Aktfotos, die er in der modern gewordenen Freikörperkultur (und wohl nicht nur dort), geschossen hat… Siegried  Maschek gibt nicht nur dem Pfundskerl Heilbutt, sondern auch Emmas Vater in doppeltem Rolleneinsatz Format und Persönlichkeit, wie übrigens alle seine Schauspielerkollegen, die nicht nur in dieser inszenierung mehrere, sehr unterschiedliche Personen des Stücks zu spezifischen Charakteren formen.

Für den von Stelle zu Stelle sich vortastenden Pinneberg aber sind Männer wie Heilbutt eine Nummer zu groß und auch zu fremdartig; auch Lachmann, der überaus souverän sich gebärdende Liebhaber seiner lebensfrohen Mutter, ist von solcher Statur. Nichts für den “Jungen”, der an seinen Idealen, an seinen Träumen festhält, der glaubt, Wohlverhalten und gute Zeugnisse befähigten ihn zu einer Anstellung und nicht Schönrednerei, Geld und schnöde Protektion. Und so irrt dieser Antiheld von der traurigen Gestalt durch den Sumpf der Widerwärtigkeiten, nicht ohne eigenes Zutun: von der Arbeitslosigkeit ins existenzielle Abseits, ohne Einkommen, ohne feste Wohnung, ohne Zukunft – vor allem ohne Würde und Visionen. Beide hat man ihm aufs Gemeinste genommen. – Und wer hier den berserkerhaften, die Bühne schier sprengenden Simon Zigah als eitlen, dann zornig-unbeherrschten, herz- und mitleidlosen Erfolgsschauspieler Schulz erlebt, wie er über den armen kleinen Verkäufer Pinneberg herfällt und ihn wie einen Wurm zerquetscht, der möchte weder in der Rolle des kleinen Mannes stecken noch überhaupt es je mit solch einem Ausbund an Niederträchtigkeit aufnehmen müssen! Ein beeindruckendes Spiel (und wie zärtlich Zigah als “Woyzeck” spielte – wer sich erinnert!)!

Und als dieser kleine Mann an der untersten Sprosse der Leiter angekommen ist, die Behörden ihn hin- und hergestoßen haben, Solidarität unter den Arbeitslosen sich als Illusion gezeigt hat, die Arbeitgeber seiner Emma sich bösartig weigern, ihr den verdienten Lohn zu zahlen, da verharrt er wie ein kläglicher Rest der Menschheit im Abseits – mit hilflos hängenden Schultern, eingezogenem Kopf, gebeugtem Rücken – was nun? Da breitet diese unsagbare, unglaubliche Emma ihre Arme aus und drückt ihn fest an ihr großes Herz. Und eines glaubt man dieser Annemaaike Bakker von Anfang an: Solange sie für “ihre Jungen” , ihre Familie, verantwortlich ist, wird es weitergehen. Irgendwie.

Herzlicher, langer Premierenbeifall für eine engagierte Aufführung. A.C.

 

 

 

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