Woyzeck, HB

nach dem Stück von Georg Büchner
Theater am Goetheplatz, Bremen, Premiere 12.12.2013

Songs und Liedtexte: Tom Waits und Kathleen Brennan, Konzept: Robert Wilson
Textfassung: Ann-Christin Rommen und Wolfgang Wiens
Regie: Klaus Schumacher, Bühne: Katrin Plötzky, Kostüme: Heide Kastler, Musikalische Leitung: Tobias Vethake; Dramaturgie: Tarun Kade, Licht: Christopher Moos
mit: Simon Zigah (Woyzeck), Martin Baum (Andres), Annemaaike Bakker (Marie), Guido Gallmann (Doktor), Susanne Schrader (Hauptmann), Peter Fasching (Karl), Gabriele Möller-Lukasz (Margreth), Claudius Franz (Tambourmajor); Musiker: Andy Einhorn/Jan-Olaf Rodt; Rudolf Schmücker, Tobais Vethake, Stefan Ulrich/Jens Ahlers

Höllenfahrt mit Tom Waits

Es gibt viele Möglichkeiten, sich dem eigentlich Unbeschreibbaren zu nähern, nachdem Georg Büchner der Nachwelt nur noch ein fragmentarisches Konzept für sein Drama der Armut hinterlassen konnte. Seitdem der amerikanische Musiker und Schauspieler Tom Waits die Bühne für seine Interpretation des globalen Elends entdeckt und im Jahr  2000 in Kopenhagen zusammen mit dem genialen Bühnenzauberer Robert Wilson den “Woyzeck” in Kopenhagen zur Uraufführung brachte, hat diese musikalisch aufgepolsterte Version des bemitleidenswerten Erbsenschluckers Franz Woyzeck eine ins absurde Theater führende, faszinierende Dimension erhalten. Zwischen theatralischer Popoper und Musical angesetzt, ist die mittelalterliche Geschichte des Friseurs, der seine Braut ermordete, mit atemberaubender Wucht nun auch auf das Theater am Goetheplatz gebracht worden.

In Bremen toben, klettern und fallen die Darsteller wie Simon Zigah als stimmgewaltiger und von Hunger und Liebesleid gepeinigter Franz Woyzeck über die Treppen einer steil aufragenden Tribüne, wo ihn Martin Baum als sein Freund Andres als stummer, trauriger Schatten begleitet, Guido Gallmann als irrsinniger Doktor mit unerträglicher Hektik und sadistischen Kommentaren verfolgt, Susanne Schröder als weiblicher, lasziver Hollywood-Hauptmann mit sarkastischer Arroganz die letzte Würde nimmt, Annemaaike Bakker auf dem schmalen Grad des Abgrunds zwischen mitfühlender Gefährtin  und sich nach dem smarten Tambourmajor verzehrenden Frau unserer Sympathie sicher sein kann. Denn dieser Woyzeck ist ein Berserker, ein Verzweifelter, ein Rasender, der, am Ende der Leiter angekommen, die Verachtung und Entwürdigung seiner Brotgeber wohl noch ertragen würde, nicht aber die Untreue seiner Frau. Als Versuchsobjekt des Arztes, der sein wissenschafltiches Image aufzubessern versucht, indem er an Woyzeck testet, wie sich ein Mann, der sich wochenlang nur durch Erbsen ernährt, verhält wird Woyzeck wahnsinning – vor Hunger, vor Angst und vor Leid und ersticht am Ende seine Marie, die er über alles liebt.

Ihr Kind, ein Baby noch, bleibt zurück und wird das traurige Schicksal aller Waisen erleiden. Das ist die bekannte schreckliche Geschichte. Wie Waits und Wilson sie aber genialisch verzaubern, ist deshalb so ungeheuerlich, weil sie den Ablauf der Handlung in eindringliche Melodien kleiden, deren Harmonie und Zärtlichkeit über die schreckliche Moritat hinwegtäuschen. Und nicht nur darüber, sondern die Band spießt abwechselnd mit voller musikalischer Härte und milder Poesie Tod, Mord, Krieg, Wahnsinn in   spannender choreografischer Umsetzung und mit hervorragenden Stimmen auf – hier konkretisieren die Schauspieler ein weltuntergangsartiges inferno, über dass sich nur Luzifer freuen kann, den man beinahe hinter dem Gazevorhang vermutet, wo die Band zuweilen ein musikalisches Höllenfeuer entfacht.
Glaubt man Tom Waits, so hatte er nie zuvor von Kurt Weill gehört. Aber er hat tausende von Kilomtern entfernt eben genau jene neoklassische und neobarocke rauhe Sprache verwendet, die sich zwischen Jazz, Folklore und eingängigen Songs bewegt, und die perfekt seiner Beatgeneration gerecht wurde, die, gesellschaftlich ausgestoßen, mit Drogen und Melancholie ihre Wut kanalisierte. A.C.

Die meisten Lieder, die Waits und Wilson bei “Woyzeck” verwendeten, finden sich in dem Album “Blood Money” wieder.

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