Alle meine Söhne, OL

von Arthur Miller
Staatstheater Oldenburg, 2014
Regie: Peter Hailer, Bühne &Kostüme: Dirk Becker, Dramaturgie: Jonas Hennicke, Licht: Ernst Engel

mit: Matthias Kleinert (JoeKeller), Caroline Nagel (Kate Keller), Johannes Lange (Chris Keller), Diana Ebert (Ann Deever), Rajko Geith (George Deever), Thomas Lichtenstein (Dr. Jim Bayliss), Christina Kühnreich (Sue Bayliss), Alexandra Ostapenko (Lydia Lubey; Schauspielschülerin)

Wenn Lebenslügen entlarvt werden

Wie war denn es denn? fragte man mich nach meinem Theaterbesuch, und ich antwortete spontan: traurig. Es war einzigartig und traurig. Undf warum, so lautete die nächste Frage, gehst Du dann ins Theater, wenn es traurig ist?

Ich versuchte eine Erklärung und kam zu einem wesentlichen Ergebnis: Theater ist die Lebensschule für alle, für jung und alt, für jedermann. Denn es lehrt uns, wenn es so kunstvoll konstruiert ist, dass es zugleich zeitlos aktuell und doch eine aus ihrer Zeit heraus geborene und personenzentrierte Handlung aufbaut, die das Menschsein in seinen Facetten widerspiegelt, wir erfahren und erfühlen, dass es ein Stück von uns selbst ist. Zugleich gibt die Kunst eine Antwort auf Frage, der wir uns vielleicht von Zeit zu Zeit stellen sollten: Ist und war unser Handeln stets von Verantwortung, sozialem Verständnis, von Güte und Zivilcourage geprägt, sodass wir unser Leben bejahren könnten? Und wenn nicht, so gibt uns das Theater die Möglichkeit, jederzeit unser Denken, unsere Entscheidungen und unser Handeln zu überdenken und uns neu zu orientieren.

Für mich, und dies ist eine sehr persönlich Meinung und keine den Kriterien eines unabhängigen Kritikers angepaßte Überlegung, ist Arthur MIller einer der größten nun schon klassischen Dramatiker  der Theatergeschichte des vorigen Jahrhunderts. Seine Dramen sind perfekt aufgebaut, spannend und poinitiert in der Dialogführung: Das Geschick der Protagonisten wird einerseits einfühlsam und verständnisvoll, doch mit einer konsequenten und schmerzhaften Wahrheitsoffenbarung analysiert. Es ist unmöglich, sie unbeteiligt zu lesen oder anzuschauen. Dass das Staatstheater Oldenburg, dass der Regisseur und sein Team zum Auftakt der Saison und der neuen Intendanz eine geschickt verdichtete, fesselnde Aufführung anbieten, wird unter diesen Aspekten alle Theaterliebhaber zufriedenstellen.

Da ist die attraktive Kate Keller, Mutter zweier Söhne, die mit zermürbender Hysterie daran festhält, dass ihr seit drei Jahren nach dem Krieg noch immer verschollener Sohn Larry leben muss. Jeder Versuch von Familie und Freunden, sie mit dem Tod des jungen Jagdfliegers zu konfrontieren, endet in paranoiden Wutausbrüchen. Jeder meidet fortan dieses Thema. Caroline Nagel spaltet die Persönlichkeit der Kate exzessiv: Unbeirrrbar verteidigt sie Glaube und Aberglaube, mit deren Hilfe sie am Leben Larrys festhält. Den unerträglichen, hysterischen Ausbrüchen folgt zuweilen sanfte Freundlichkeit, die aber jäh in unverständliche Härte und Unerbittlichkeit gegenüber den Bedürfnissen ihrer Mitmenschen umschlägt. Diese elegante Kate ist ebenso furchterregend wie unheimlich, nicht nur als Neurotikerin, sondern weil man spürt, dass da im Untergrund etwas Anderes verborgen sein muss.
Joe Keller, ihr Ehemann, erfolgreich als Geschäftsmann und wieder gesellschaftlich geachtet nachdem er sich vor drei Jahren von dem Verdacht der mutwilligen Verdeckung tödlicher technischer Mängel an von seiner Fabrik bestückten Jagdflugzeugen freisprechen ließ. Statt Seiner büßt ein ehemaliger Mitarbeiter für das Vergehen. Matthias Kleinert zieht faszinierend die Register des erfolgreichen Emporkömmlings, der zwischen eitler Jovialität und herrischem Gehabe seine Familie dirigiert, dem Sohn Chris jede moralische Unterstützung verweigert, der die einstige Freundin seines Bruders nicht ohne die Zustimmung der Mutter heiraten will. Vom Vater wird er keine Hilfe erhalten – fürchtet dieser lediglich die Unerbittlichkeit seiner Frau, die wie am Leben des Sohnes auch an dessen Verlobung festhält?
Erst nach und nach entblättert Arthur Miller ein furchtbares, klassisch tragisches Geflecht von Schuld und Verdrängung. Dieser Joe spricht sich mit berserkerhafter Wut, doch zunehmend mangelnder Glaubwürdigkeit von jeder Schuld an der mörderischen Verfehlung frei und versucht die brökelnde Fassade seiner familiären Festung wie ein Ringkämpfer zu kitten, wie einst die Schadstellen an den defekten Flugzeugventilen. Er  weiß sehr genau, dass er bis zum letzten Atemzug wird kämpfen müssen, wenn er nicht alle Familienmitglieder ins Unglück reißen will. Und doch wird genau das geschehen. Dass man eher Mitleid mit ihm als Hass empfindet, liegt sowohl an Arthur Millters psychologischer Feinarbeit als auch an der punktgenau und haarscharf geleiteten Dialogregie, die klassisch exakt das Drama mit geschickt austarierter Spannung (und Kürzung) zum Höhepunkt führt.

Chris Keller, der zweite Sohn, lebt als Firmenjunior und späterer Erbe noch immer im Elternhaus und hütet sich vor der Wahrheit und dem Zorn der Mutter, als er seine Verlobte Ann jetzt endlich vorstellen will. Auch Johannes Lange zeigt einen sympathischen jungen Mann, der aber zu schwach und gutgläubig ist, um gegen die mütterliche Macht und den Pater Familias wirklich aufzubegehren. Er leidet auf verlorenem Terrain, solange er sich der Lebenslüge seiner Eltern besseren Wissens beugt. Dass Ann Deever, ehemals Verlobte Larrys, sich seit der Verurteilung ihres Vaters als Hauptschuldiger an dem Tod von 21 Soldaten in den defekten Flugzeugen mitschuldig fühlt und sich von ihrem Vater konsequent abgewendet hat, ist eine schicksalshafte Verstrickung, die dramatisch loderndes Feuer schürt. Denn als ihr Bruder George, nun  Rechtsanwalt, jäh bei der Familie Keller auftaucht, um wieder aufzurollen, was einst geschah, wird nun auch die schöne, sanftmütige und doch moralisch unerbittliche Ann, die von Diana Ebert im düsteren Kostüm wie eine Unheil bringende Schicksalsgöttin im Abseits wartet, zur Inquisatorin, indem sie Kate die brutale Wahrheit beweist. Aber auch ihr Leben ist bereits zerstört.

Rajko Geith als George ist eher ein sensibler Sohn, der seinen Vater rehabilitieren möchte. Doch der ist, wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird, ein alter, zerbrochener, lebensmüder Mann. George will die Wahrheit, und da sie so tief vergraben ist, gerät er gegenüber den gefährlich schmeichelnden   Erinnerungen der vertrauen Nachbarin Kate zuweilen mit seiner Rolle als Rächer arg ins Wanken – wäre da nicht ein jäher kleiner Versprecher, der nun die Decke einstürzen läßt und die “Leichen im Keller” ans Licht holt. Alle meine Söhne, das sind die Opfer der feigen Manipulation an den defekten Ventilen, mit denen 21 Soldaten in den Tod flogen. Larry war nicht unter ihnen, denn er flog, als er von dem Unglück und der Beteiligung seines Vaters erfuhr, freiwillig in den Tod.

 Für den Autor, der dies Drama 1947 unter den Nachwehen des zweiten Weltkriegs veröffentlichte,  ist der Krieg die dramatische Instanz, die Schuld und Sühne, Tod und Liebe, Mut und Versagen der Menschen schonungslos aufdeckt – ohne pharisäerhafte Schuldzuweisung. Sie ergibt sich von allein – durch die Überbewertung gesellschaftlicher Position, durch die Bindung an Geld und Macht, die Absicherung von Wohlstand und Akzeptanz, vor allem aber durch den Mangel an sozialer Verantwortung, das Fehlen des common sense; Allein auf die Familie ausgerichtet, wie dies in vielen Gesellschaften der Fall ist, fehlt das Bewußtsein für Zivilcourage im gesellschaftlich-politischen Kontext. A.C.

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