Der Liebestrank, HB

l’elisir d’amore – Melodramma giocoso in zwei Akten
von Gaetano Donizetti
(1797 -1848)
nach einer Inszenierung des Theater Aachen
Theater am Goetheplatz, Bremen 2014

Musikalische Leitung: Rolando Garza Rodriguez, Regie: Michael Talke, Bühne :Barbara Steiner, Kostüme :Regine Standfuss, Chor: Daniel Mayr, Choreografie: Jacqueline Davenport, Dramaturgie: Katinka Deecke, Licht: Christopfer Moos

mit: Marysol Schalit/Nerita Pokvytytè als Adina; Luis Olivares Sandoval/Hyojong Kim als Memorino; Gustavo Feulien als Belcore, Patrick Zielke als Dulcamara und Nerita Pokvytytè/Iryna Dziashko als Gianetta

  Adina findet (zu) Nemo

 Ein kleines italienisches Dorf hat sich in eine Welt voller Glitzer und Glamour verwandelt: Lametta fällt bodenlang von den Bühnenwänden und taucht die hübsche Liebesromanze dreier so ungleicher Menschen in ein gleißendes und funkelndes Rampenlicht. Da ist der unscheinbare, unbeholfene, schüchterne Nemorino, der die hübsche kesse Nadina so glühend heiß verehrt, dass er sich vor lauter Liebesnot in sich verkriecht wie ein kleines Mäuschen, dass sich der Verlockung nicht zu nahen wagt. Adina, eine echte Evastochter, spielt mit den Männerherzen, dass es nur so blitzt und treibt den armen Nemo immer mehr zur Verzweiflung. Nun ist das Ganze natürlich kein wirkliches Drama, sondern eine hintergründige Komödie, in der der Nebenbuhler als Sergeant auftaucht, ein Bild von Mann, ein moderner Macho, der die jungen Mädchen wie auch die reiferen Damen reihenweise erobert. Militär zog eben damals noch sehr, und weil es heuzutage seinen erotischen Reiz verloren hat, hat sich der Soldat kurzerhand in einen stattlichen Superman mit ausgestopfen Muskelpaketen, in schwarzem engen Outfit und silbernen Shorts verwandelt. Und Nadina tänzelt gar zierlich puppenhaft in hellblauem Feder- und Plüsch- Tinngeltangelkostümchen wie eine Offenbachsche Marionette über die Showbühne. Noch gibt sich auch das Orchester zackig militärisch bis sich die Streicher heranschleichen und den traurigen Seelenzustand des armen Nemorino (das kleine Nichts) aufnehmen. Ein jäher Tusch weckt allesamt aus dem Trauerschlummer auf und zieht sie in den Wirbel der märchenhaften Geschichte. Das hellblaue Zirkuspferdchen Adina träumt von einer Liebe wie der von Tristan zu Isolde und sehnt sich einen Zaubertrank herbei – zwei altertümliche Wikingergestalten zeigen sich kurz in der Rolle des tragischen Liebespaares und verschwinden wieder.

Nach und nach weicht das Premierenfieber der Tollheit der 1832 uraufgeführten genialen Komposition des italienischen Belcanato-Meisters, verwirbelt und verwirrt alle Herzen und kommt tollkühn zum Siedepunkt als der Magier der großen Show vom goldglitzernden Treppenpodest herabsteigt, flankiert von drei Assistentinnen, die mit Federbüscheln auf hochgetürmten Frisuren, knappen Trikots und greller Maske die Wundertränke des Dulcamaro offerieren, der, gewieft und wortgewandt, als geschickter Handlungsreisender dem Seelenforscher und Dramatiker Arthur Miller einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Wie gern doch werden die Menschen betrogen, wenn sie an ein Mittelchen geraten, dass sie von aller Not und Pein zu befreien verspricht! Und so tänzelt dieser Dulcamaro alias Patrick Zielke im Glitzerjacket über freier Brust mit roter Fliege um den Hals und toller Augenschminke stolz wie ein Spanier vor den Leuten des Dorfes einher, wortgewandt und gewieft und zieht sie alle in seinem Bann. Ein Zirkusdirektor, ein Puppenspieler, ein Marktschreier, ein Menschenkenner und – ein Genießer. Und nun trifft er Nemo, das heißt, dieser sucht ihn auf und erhält den glühend heiß ersehnten Zaubertrank, der ihm die Liebe Nadinas innerhalb von 24 Stunden verspricht.

Es ist kein Geheimnis, dass der wunderbare Bordeaux ihm zu neuem Selbstbewußtsein, Witz und Souveränität verhilft und Nadina in neugieriges Erstaunen versetzt – so eigentlich wünscht sie sich einen Mann, ein bißchen überlegen, aber nicht zu sehr, ein bißchen keck und eroberungsfreudig. Doch leider hat sie dem smarten Serganten schon so viele Avancen gemacht, dass der sie kurz vor seiner Einberufung noch schnell vernaschen will und schon den Notar zweck bürgerlicher Heirat und Moral gerufen hat. Und nun sinkt der arme Nemo wieder in tiefe Depression, ein Häuflein Unglück, und zu allem Überfluß und aller Pein wird er auch noch vom schadenfrohen Volk ausgelacht. Am Ende der ersten Teils steckt er im Affenkostüm – wie sagt denn der Volksmund so schön? Er hat sich zum Affen gemacht.

So geht es dann voller Kapriolen weiter mit hochfliegenden, berauschenden Duetten, Arien, Terzetten, mit schmachtenden Liebesschwüren und Beteuerungen, tausendundein sprudelnden Pizzicati, die ihre Tropfen wie ein Wasserfall von Noten über die Szenen ausschütten – ein Rausch an musikalischen Einfällen, deren wiederkehrende melodische Themen zu Donizettis Zeiten wohl schon Hits waren, die die Gassenjungen auf der Straße pfiffen. Dass am Ende natürlich Nemorino seine Adina in den Armen hält, mag daran iegen, dass die kluge Regie und die ausgelassene und ebenso ausdrucksstarke wie beflügende Instrumentensetzung vorab nichts Böses unterstellen: entweder hat der Wein wirklich Zauberkraft oder Nadina eine späte Einsicht, dass ein liebevoller Kuschelbär allemal besser als Ehemann taugt als ein ferner Kriegsheld (wie sonst wäre ihr Entschluß zu deuten, Nemorino aus der Armee freizukaufen?) – oder aber ist es die streng vertrauliche Nachricht, die Adinas Freundin Gianetta den Frauen des Dorfes überbringt, dass Nemorinos reicher Onkel jäh verstorben ist und dem Neffen eine große Erbschaft hinterlassen hat…?

Mit einer überzeugenden Besetzung – nämlich – in der Premiere die Schweizer Lerche Marysol Schalit als ebenso kapriziöse wie empfindsame, verführerisch gurrende und schmeichelnde menschliche Miezekatze, der Chilene Luis Olivares Sandoval, der als zärtlich- warmherziger Belcanto-Tenor unter jedem Balkon weibliche Herzen zum Schmelzen ( man denke an seine große Arie “Eine verstohlene Träne) bringen kann, der argentinische Bariton Gustavo Feulien, der als spielfreudiger und modulationsreicher Künstler eine gleichermaßen tolle Figur macht und natürlich Patrick Zielke, Motor und Macher in dieser Aufführung als superschlauer Menschenkenner, natürlich Bremer Publikumsliebling allemal! Für Gianetta, Adinas Freundin, bleibt diesmal lediglich die männerabweisende Nebenrolle. Das ändert sich ja aber von Zeit zu Zeit, wie man im Besetzungsplan sieht. Ein Chor, der vor allem in den großen Opern und Oratorien zuhause ist, und der so an Wagner und Verdi u.a. gewöhnt ist, dass er sich noch nicht so ganz in der Leichtigkeit des Seins zu tummeln versteht. Aber er wird sich bald in die leichtstimmige Tändelei dieser auch für Donizetti ungewöhnlich smarten Farce einfügen – die bizarren Kostüme und skurrilen Masken verheißen es allemal. A.C.

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