Der Idiot, OL

Oper nach dem Roman von  Fjordor Dostojewskij
 Musik von Mieczysław Weinberg (1919- 1996), Libretto Aleander Medwedjew
Staatstheater Oldenburg 2015

Musikalische Leitung des Oldenburgisches Staatsorchesters: Vito Christófaro, Inszenierung: Andrea Schwalbach, Ausstattung: Anne Neuser, Herrenchor des Oldenburgischen Staatstheaters: Leitung Thomas Bönisch, Dramaturgie: Annabelle Köhler, Steffi Turre, Licht: Ernst Engel
mit: Zurab Zurabishvili (Fürst Myschkin), Irina Oknina (Nastassja Filippowna), Daniel Moon (Rogoschin), Kammersänger Paul Brady (Lebedjew), Tomasz Wija (General Jepantschin), Melanmie Lang (dessen Frau), Yulia Sokolok (Aglaja), Anna Avakian (Alexandra), Aleander Murashov (Ganja<9, Ute Biniaß (dessen Schwester), Alwin Kölblinger (Tozkij), Carlos Vázquez/Nikolas Nägele (Pianist)
  

 Eine Literaturoper aus der Schatzkiste 

Es gab und gibt sie überall und immer wieder, die Leisetreter und Liebediener jeder Gesellschaft, die immer präsent und über die Verhältnisse wichtiger Leute bestens informiert sind; sie machen sich unentbehrlich, weil ihre Informationen zwar mit Verachtung, aber mit heißer Wissbegierde verschlungen werden, und man die eigenen Geheimnisse preisgibt noch ehe man es sich versieht. So einer ist Lebedjew, bei Dostojewskij ein übler, aufdringlicher Bursche, der von der besseren Gesellschaft notgedrungen geduldet wird, und der sich ihrer auf seine Weise bestens anzudienen weiss. In der fulminanten Oldenburger Inszenierung ist er genau dieser Strippenzieher, wortwörtlich und sinnbildlich. Er zieht an den Seilen, die wie Fäden der Parzen vom Bühnenhimmel hinunter in die Salons fallen ; er reißt an ihnen solange wie das Schicksal ihn dazu benötigt; dann ist das Spiel aus, nichts bewegt sich mehr, der Vorhang fällt, und alle sind erschrocken, erschüttert, geschlagen. Die christliche Nächstenliebe hat ihr gnadenloses Ende gefunden. Der kranke Fürst Myschkin kehrt zurück in sein Schweizer Sanatorium, aus der er vor noch gar nicht so langer Zeit heiteren und frohen Gemüts ins heimische Russland zurückkehrte, und sein Freund und Rivale Rogoschin wird nach Sibirien gehen und seine Strafe verbüßen…

Doch noch sitzen die beiden so ungleichen und doch seelisch so eng verbundenen Männer einander,   im vorsichtigen Gespräch ihre Herkunft abtastend, im Zugabteil gegenüber, an dessen Fenster dank Videobildern eine schöne Schneelandschaft vorüberzieht, während auf der seitlichen Bühne bereits eine Anzahl von Menschen in einem hohen herrschaftlichen Raum auf künftige Begegnungen verweist. Trompetenfanfaren verkünden, begleitet von vielfarbigen Blas- und Schlaginstrumenten, das dunkel getönte Leitmotiv, das das Schicksal dieser beiden Männer begleiten wird.  Auch Lebedjew ist bereits im Zugabteil mit von der Partie, der mit dem für Seinesgleichen eigenen sechsten Sinn für Sensationen sich ebenso ungebeten wie unbeirrbar in das Gespräch der beiden Männer einmischt – und sich bereits unentbehrlich macht, indem er Informationslücken um intime Details zu füllen versteht.
Als Rogoschin – vom schmerzerfüllter Erinnerung an die verehrte und geliebte Nastassja aufgerüttelt – sich jäh voller Wut auf den taktlos tönenden Lebedjew stürzt und ihn kraftvoll zu Boden ringt,  greift ein weiteres starkes musikalisches Motiv bereits auf künftige Ereignisse vor. Indem sich eben noch die warme Zärtlichkeit der Oboe beim Betrachten von Nastassjas Bildnis in die Seele des jungen Fürsten einschmeichelt, zerreißt schon bald schon die Piccoloflöte die träumerische Idylle und weist auf das tödliche Ende der unglückseligen Dreierbeziehung hin. Großer Schlagwerk- und Bläsereinsatz bestimmen die Dramaturgie, die keinen Zweifel daran aufkommen läßt, dass sich hier für den kaum genesenden Epileptiker Myschkin alles andere als eine heile Welt auftun wird. Der Regisseurin Andrea Schwalbach ist hiermit ein facettenreich zusammengefügtes Puzzlespiel gelungen..

Er wird einer starren, uneinsichtigen Gesellschaft begegnen, die seine Güte nicht versteht und als Idiotie abstempelt, er wird dieser zerstörten und gleichsam wunderbaren Frau Nastassja begegnen, sie auf eine beinahe christusähnliche Art lieben und damit den ohnehin psychisch stark verunsicherten Freund Rogoschin ins Bodenlose stürzen. Er wird zu spät sein eigenes unschuldiges Versagen an ihrer aller Unglück begreifen, weil der Mensch wohl nicht dazu geschaffen ist, sein Mittun an seinem Schicksal rechtzeitig gewahr zu werden.
So landen sie in Moskau. Ihr Parasit Lebedjew wird auf jedem der langweiligen Gesellschaftsabende ebenso anwesend und wie verachtet sein, wie Rogoschin und Msyschkin als ehrbare, reiche Männer umschwärmt und umschmeichelt werden, vor allem von den Müttern heiratsfähiger Töchter. Doch selbst, wenn über der Originalsprache keine deutschen Texte den Verlauf der Handlung offenbarten, würde die in wunderbaren Bögen rauschende und vielstimmig raunende Musik wie ein guter Opernführer alles sagen, was man zum Verstehen wissen muss. Da ist der freche klare jazzige Sound, der Lebendjew beigegeben ist, da sind Anleihen an einer wundersamen lyrischen Folklore, da ist die große konzertante Spannung zwischen symphonischer Klassik und eine frische Tonalität, die sich ohne Scnörkel  einer persönlichen Thematik verschreibt- wie die Musik auch stilistisch bei Benjamin Britten und Paul HIndemith einzugliedern wäre, wobei  sich Weinberg stark bei seinem Meister Schostakowitsch orientiert, allerdings doch durch seine melodische Ausrichtung und zurückgenommene Emotionalität eher zurücknimmt.

In der Rollenführung grenzt sich in dieser Auffürhung ganz klar Lebedjew als erzählender  Strippenzieher von dem unangenehmen Schmeichlertypus stark ab, natürlich auch und durch die Persönlichkeit von Paul Brady und dessen starker spielerischer Ausdrucksfähigkeit. Er ist zugleich Kuppler und Vermittler, begleitet das Geschehen mit Pläsir und treibt es intrigant mit überlegener Beflissenheit voran. Auch für Myschkin ist nicht das Bild des jungen, ausgezehrten an der Menschheit wie an seinen Gebrechen leidenden Abkömmling eines  alten russischen Adelsgeschlechtes vorgesehen. Mit seinem schwingenden intensiven Tenor und einer betonten Emotionalität zeigt Zurab Zurabishvili einen gutmeinenden, doch durchaus auch als sichere Persönlichkeit sich darstellenden Fürsten, dem sein Stand ebenso gewiss wie die Unvernunft und Bösartigkeit seiner Umwelt unbegreiflich ist. Und ganz sicher ist er der schönen Nastassja in durchaus erotischer Liebe zugetan und somit ein echter Rivale für den Freund.
Irinia Okninas Nastassja  ist zerrissen zwischen diesen eher undurchsichtig sich verhaltenden Mannsbildern, denn der dunkle, unheimlich und tiefgründig sich verirrende und unzurechnungsfähige Rogoschin ist als leidgeprüfter Liebhaber ebenso begehrenswert wie der in sich ruhende Myschkin. Daniel Moon spielt und kostet seine Leidenschaft in voller Tiefe aus, und man hört ihn zugleich als Othello und alle anderen verstörten und gedemütigten Liebenden der Operngeschichte. Irina Oknina wird im späreren Duell mit der jungen um den Fürsten buhlenden Aglaja die gewaltige Strahlkraft ihrer Persönlichkeit einsetzen müssen, um im Sängerduell der liebenden Frauen zu siegen. Denn auch Yulia Sokolik weiß um die Stärke weiblicher (und gesanglicher) Betörungskünste.
Wäre Fürst Myschkin weiblicher Macht und dem Dämon des Mammons verfallen, die seltsamen Gebaren seiner Mitmenschen, Geld zu verbrennen oder für die eigenen Töchter zu Markte zu gehen, würde ihn wohl nicht so entsetzen. So vergeudet die Generalin Jepantschina, mit Melanie Lang eindrucksvoll besetzt, ihre ganze Energie an der naiven Weltunerfahrenheit des begehrenswerten, trotz seiner Krankheit attraktiven möglichen Ehemannes.
– Während unten im Orchestergraben die sich schier verausgabenden Musiker unter dem absolut stringenten Dirigiat von Vito Christófaro die Geschichte einer überschäumenden Leidenschaft und eines göttlichen Mitgefühls und somit die stille Hoffnung des Dichters wie des Komponisten auf eine verständnisvollere Welt ad absurdum führen. A.C.

 

 

 

 

 

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2 comments

  • Alexander Sperber

    Sehr schöne Kritik. Gut geschrieben nur schade das sie die Regisseurin nicht nennen. Das war großes Handwerk.

    • Vielen Dank für Ihren freundlichen Kommentar. Gerne habe ich noch die Würdigung für die vorzügliche Regie und die übereinstimmende Orchesterführung hinzugefügt.

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