Le Nozze di Figaro, HB

Opera buffa von Wolfgang Amadeus Mozert – Text von Lorenzo da Ponte
nach der Komödie “La Folle Journée ou le Mariage de Figaro (1778) von Beauchmarchais.
Uraufführung am 1. Mai 1786 im Wiener Hoftheater

Theater am Goetheplatz, Bremen, 2015
Musikalische Leitung: Clemens Heil, Regie: Felix Rothenhäusler, Bühne: Evi Bauer, Kostüme: Kamila Poívkováw, Chor: Daniel Meyer, Dramaturgie: Sylvia Roth, Licht: Frédéric Dautier; es spielen die Bremer Philharmoniker, Chor des Theater Bremen
mit: Marysol Schalit (Susanna), Christoph Heinrich (Figaro), Patricia Andress (Contessa), Gustavo Feulien (Conte Almaviva), Silvia Hauer (Cherubino), Nathalie Mittelbach (Marcellina), Patrick Zielke (Barotolo), Christian-Andreas Engelhardt (Basilio, Curzio), Narita Pokvytyté, Daniel Wynarski/Johannes Schefferl (Antonio), Anne-Kathrin Auch/Luise Ghazaryan, Julia Huntgeburth, Martina Parkes (Due Donne)
, Rezitaivbegleitung: Roman Lemberg

 

Ein Kampf mit den Hormonen

Im Sparprogramm des Bremer Theaters steht vielleicht verordnet – dass alle Requisiten mehrmals zu verwenden seien. Und, so hat man sich offensichtlich gedacht, was für das Theaterstück “Der Idiot” gut war, könnte sich auch für die Inszenierung von Mozarts schönster Opera buffa verwerten lassen. Stühle also, unterschiedlichster Art, aneinandergereiht, obendrauf die Sänger, ein wenig verkleidet: Marcellina als Barbiepuppe, der Graf lässig im dunklen Seidenmantel, stets bettfertig, Susanna im Schürzchen, ihrem Bräutigam in Zimmermannsgarnitur zittern schon die Knie, der frühreife Knabe Cherubino im leuchtend roter Pagendress wippt übermütig auf einem blauen Gymnastikball herum, der clowneske Bartolo im wenig attraktiven Turnanzug reißt gewohnt tolle Possen, die Gräfin im geblümten 60erJahre Kleid weint bereits herzzerreißend um ihren untreuen Ehemann, und der einfältige Gärtner orginell in Gärtnerkluft. Na, das kann ja heiter werden. Und so erwärmen sich Diener und Herrschaft ersteinmal sitzend und klären die eindeutigen Vorhaben, während unten im Orchestergraben Streicher und Bläser die hormongeschwängerte Atmosphäre der Damen und Herren wie Wellen ans Ufer spülen.

Was schnell einsichtbar wird: bei so viel erotischem Überdruck muss die Handlung schnellsten vorangetrieben werden, damit der sich in fortschreitend notierten Tempi aufbauende Kampf zwischen Frauen und Frauen, Mannern und Männern, Frauen und Männern zügig entwickeln kann. Wie ein Feuerwerk zündet die Liebe und zündeln die Gedanken, denen verwickelte Taten folgen. Der arme  Figaro, der schnellsten seine Susanna heiraten will, damit ihm der einfallsreiche liebestolle Fürst nicht in die Quere kommt, ist nicht der Einzige, der Höllenqualen leidet. Auch die Gräfin sinnt mit Susanna über eine Strategie, wie sie die erloschende Liebe ihres Mannes zurückerobern kann, und der süße Cherubin ist allen “holden Frauen” überaus sinnlich zugetan. Klar, dass sich in ihm – und vor allem in seiner himmlisch schönen Arie – der einst für alle Kapriolen stets aufgeschlossene Komponist reizend widerspiegelt!

Der zunächst befremdliche Regieaufbau erschließt sich mit fortschreitendem Geschehen in seiner wachsenden musikalischen Finesse. Für die Darsteller höchste Anforderung: sie müssen zunächst allein mit Stimme, Mimik und Gebärden die dramatische Spannung aufbauen; die Frauen zicken bereits mit- und gegeneinander, die Männer balzen, buhlen und toben, die Intrige nimmt ihren Lauf. Die Noten kullern und steigen, überschlagen sich im Forte und versinken wieder im zärtlichsten Pianissimo,  gewaltige Gefühlstubulenzen wechseln sich ab, Kalt- und Warmduschen überhitzen die Gemüter und kühlen sie wieder ab; es ist einfach genial, wie geschickt Mozart und da Ponte ein Revolutionsdrama (von Beaumarchais) scheinbar in ein lustvolles Gesellschaftsspiel verwandelt haben; dass der Text in Bremen jetzt verändert und zum Teil auf heutige Sprachebene verlagert wurde, wäre nicht nötig gewesen, führt aber zuweilen zu Heiterkeit. Und es ist ja eine opera buffa, deren Menu gewürzt ist mit Verführungskünsten, Versteck- und Verkleidungsspiel. Irrungen und Wirrungen geraten nach und nach aus den Fugen, die Stühle auch. Und letztlich sind alle Sänger auf den Beinen, kämpfen um ihre Liebe (und ihre Rechte!) als ob es um ihr Leben geht. Und bei dem armen Cherubino könnte man das ja auch wohl annehmen, als ihn der rasende Graf zu den Soldaten schickt.

Gustavo Feulien verinnerlicht den Almaviva mit einer großen Palette von wechselnden Emotionen, die er unheilvoll gegen seine Widersacher Figaro und Cherubino schleudert. Eine bella figura macht er ohnehin, wie der Italiener sagt, vor allem natürlich bei der süßen kecken Susanna, für die Marysol Schalit alle, aber auch alle Register der Weiblichkeit zieht,  gurrend, zirpend, tirilierend das tolle Spiel vorantreibend, immer darauf bedacht, sowohl ihren eifersüchtigen Figaro als auch den liebestollen Grafen bei Laune zu halten, damit jeder das letztendlich bekommt, was ihm zusteht. Und so wie Silvia Hauer als liebesverliebter Cherubino die Damen in seiner Jugendfrische mit den süßesten  Beteuerungen überschüttet, die man sich überhaupt nur auszudenken vermag, das ist einfach hinreißend. Für die einsame und betrogene Comtessa, in deren Rolle hier Patricia Andress hingebungsvoll hineinschlüpft, bleibt die Schlussarie ihr großer Triumpf – und die innigliche Zärtlichkeit, mit der sie der echten Liebe durch Vergebung berührenden, inneren Glanz verleiht, gibt dieser Frau ihre Würde zurück und stellt Frau Andress in die Reihe bedeutender Interpretinnen.

Wie man mit spärlichsten Verkleidungsstücken auskommt, auf Szenenbilder und dramaturgisch ausgefeilte Darstellung im traditionellen Stil verzichtet, das Spiel der Commedia dell’ arte nur noch andeutungsweise (vor allem in den verkasperten Figuren der ausdrucksstarken Marcellina und des kraftvollen Bartolo) zugunsten einer allein mit Lichteffekten und musikalischem Spielfeuer betriebenen  Handlung bis zum – nicht unbedingt für alle – glückseligen Ende vorantreibt, das ist dann doch ausgesprochen erlebenswert. Chor, Orchester und Sänger verwandeln mit großer Gefühlsakrobatik ein gesellschaftliches Szenario in total ver-rückte Verhältnisse.  A.C.

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