Clavigo, B

nach Johann Wolfgang v. Goethe
Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
Deutsches Theater Berlin, 2015

Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Eva-Maria Bauer, Kostüme: Johanna Pfau, Musik: Pollyester, Video: Julian Krubasik, Lambert Strehlke, Dramaturgie: Sonja Anders, Licht: Matthias Vogel

mit: Susanne Wolf, Clavigo; Moritz Grove, Carlos; Marcel Kohler, Marie Beaumarchais; Kathleen Morgeneyer, Beaumarchais, Franziska Machens, Buenco; Kamerateam: Thorsten Wiedershausen, Till-Jan Meinen, Paula Trimbur

 Drei Frauen und ein Todesfall

Das Bühnenbild, ein ruhender Fesselballon am Boden, ist ein echter Hit in seinem schillernd bunten Farbspiel. Anfangs noch ziemlich bedeutungslos, erst i m Schlussbild wird eigentlich transpartent, das er uns die Bodenhaftigkeit des Poeten und seinen zuletzt doch mißglückten Abflug in höhere Sphären vor Augen führen soll. Zunächst einmal ist  Rollentausch angesagt, genderübergreifend leidet der Mann an der Geliebten, die ihn verläßt und trotz aller verspäteten Liebesbeteuerungen die zugefügten Verletzungen nicht wiedergutmachen kann. Susanne Wolf in der reich und phantasievoll umkleideten Clavio (a) -Rolle, die ihre Selbstverwirklichung schon einigermaßen auszutoben versteht und dabei selbstverliebt nahe ans Entertainment eines Michael Jackson heranrockt. Der Beleidigte und Erniedrigte ist Marcel Kohler als Marie Beaumarchais, ein wild tätowierter aber sonst recht farbloser Jüngling, der hilflos in die Videokamera äugt, ein mit viel Traurigkeit umflorter, hilflos Verlassener.

Kräftig und wild dagegen Kathleen Morgeneyer als Maries Bruder, der von der feschen Claviga (p) Genugtuung und Demut erzwingt und doch das zerbrochene Glas nicht wieder zusammenfügen kann. Stumm verharrt die dritte Dame/Herr und vollendet das mit grellen Leuchten umrahmte Spiegelportrait der drei Betrogenen und Verlassenen: überwiegend stumm bleibt Franziska Machens als Maries Verehrer Buenaco,  er sich ebenfalls in beleidigte Ehre flüchtet, wo Mitfühlen angesagt wäre. Für Carlos alias Moritz Grove, den zweiten Dichter in dieser späten Werther-Depression (wirklich eine männliche Besetzung) gibt es einen tollen Monolog, der machiavellistisch erklärt, was einen Dichterfürsten wirklich ausmacht: Pure Egozentrik, reine Orientierung auf das eigene Genie, das natürlich überhaupt nicht in Frage gestellt wird, gnadenlose Abwendung von jedweder Bürgerlichkeit wie Liebe und Familie, schon ganz und gar kontraindiziert ist die einseitige Hinwendung etwa zum sogennannten häuslichen Glück. Dann darbt der Genius, alle Kreativität wird versiegen. Goethe wußte selbst nur zu gut, wovon er sprach – reine Liebe nur als realitätsferne Verehrung und Verherrlichung, ohne Bindungsverpflchtung, auch wenn es das Leben kostet.

Und wie sieht so etwas heute aus?

Unterhaltung und leichte Muse binden den heutigen Clavigo an sein Mikro, sein überspanntes Ego tobt sich auf der Bühne des Erfolgs aus, die Hingabe ist ohne wahre Emotion und Leidenschaft, sondern reine Torenmaske als Tarnung im gespielten Leben der Verzückung und HIngabe, der sich selbst beobachtenden und zugleich schon wieder karikierenden Wahrhaftigkeit. Das ist schon eine gute Idee, aber die hat Kimmig, der Hausregisseur des Deutschen Theaters, zu grell und grotesk konterkariert.  Weder Goethes noch Kimmigs Versionen der leidenden Dichterseele und der verstoßenen Geliebten erreichen die heutige Welt noch unmittelbar in ihren gewählten Formen – die eine ist zu romantisch fremd, die andere tiefgefroren und lächerlich.

Das Beste kommt zum Schluß, wenn Marie in den Ballon steigt, der sich nun in voller Pracht aufgerichtet hat und sie vermeintlich in höhere Sphären bringen soll, der aber leider nicht abhebt. Nur drei Clowns umwirbeln ihn wütend und ohnmächtig. Clavigo wedelt noch einmal mit dem barocken-skurrilen Reifrock, aus dem sie sich zu Beginn bereits wie eine Schmetterling aus der Raupe schälte, aber nur um fortan als blonde Barbie in Glamour-Kostüme zu schlüpfen und aus der Hochsprache ins Vulgäre zu wechseln.

Das reicht in Berlin aber immerhin zu einem freundlichen Applaus. A.C.

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