Richard III., B

von William Shakespeare
Theater am Lehniner Platz, Berlin, 2016
Wiederaufnahme
Übersetzung und Fassung von Marius von Mayenburg, Regie:Thomas Ostermeier
Mit: Thomas Bading , Robert Beyer, Lars Eidinger, Christoph Gawenda, Moritz Gottwald, Jenny König,Laurenz Laufenberg, Eva Meckbach, Sebastian Schwarz und Thomas Witte (Schlagzeug); Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Florence von Gerkan, Musik: Nils Ostendorf, Video: Sébastiaen Dupouney, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Licht: Erich Schneider, Puppenbau: Ingo Mewes, Karin Tiefensee, Puppentraining; Susanne Claus, Dorothee Metz, Kampfchoreografie; René Lay

 Game of Thrones – schlag nach bei Shakespeare!

Was bleibt vom Traum der absoluten Macht, wenn sich die Toten wie auf einem Familienfoto auftürmen und zum Albtraum mutieren? Was bleibt als Genugtuung der absoluten Rache, wenn der Hass als Waffe die eigene Moral zum Teufel geschickt und alles Gute in sich vernichtet hat? Was bleibt von allen Siegen, wenn der Mensch letztendlich sich selbst als seinen Hauptfeind erkennen muss?

Dieser Richard ist eine Ausgeburt des Bösen, ein Kind des Teufels, ein Satansschüler – den Lars Eidinger wie eh und je so exzessiv, so exentrisch und diabolisch gibt, dass es schon wieder Spaß macht, ihn in all seinen Masken zu erleben, in denen er hinter den Kulissen zum Mord antreibt, vor allen Verwandten und Höflingen aber den Biederen, Sanftmütigen, Unschuldigen spielt, den Werbenden, verletzt in seinen wahren ehrlichen Gefühlen, mit betörender Sanftmut als Verführer sich ganz und gar entblößt vor der trauernden Witwe am Sarg ihres gerade eben erst verstorbenen Gatten. Mit der Wucht eines umwerfend reichen Wortschatzes, den Shakespeare dieser Absurdität der Menschlichkeit eingibt, spinnt er die verzweifelte, hassende, wütende Anne in sein dichtes Netz, taucht das tödliche Garn für den Augenblick in Honigsüße und reicht ihr gar den Dolch, ihn zu töten! Was für eine Farce! Was für ein Spaß an dieser Verschlagenheit, mit der uns Eidinger als Inkarnation des gut getarntenTeufels ins Vertrauen zieht, uns verführerisch einlullt in seine militärisch exakt geplante Vernichtungsstrategie!

Und dann diese blitzschnellen emotionalen Wechsel des Wahnsinnigen, das zornige Aufbrausen, das die noch eben ausgelassen feiernde höfische Gesellschaft das Fürchten lehrt, die abgefeimte Häme, mit der dieser Krüppel, seit Kindesbeinen an von allen verachtet und gedemütigt, sein mörderisches Kalkül treibt, den Zuschauer als stummen Zeugen grinsend, häßlich, gemein in seine wahren Absichten einspannt.

Und wie naiv, unterwürfig, arglos kindlich er den lieben netten Kretin spielt, der niemandem Böses will, alle Menschen in sein großes armes Herz eingeschlossen hat und nur stets Gutes tut –  die mephistofelische Metapher als  “die Kraft, die stets nur Gutes will und doch das Böse schafft”…? Die Dramen Shakespeares, in denen das Morden der Königsgeschlechter Englands in eine ewig gültige Form gegossen ist, sind eine Offenbarung menschlicher Seelentiefen, sind unübertroffene Gleichnisse menschlichen Machtstrebens, eingebettet in gigantische Satzwolken dichtester Poesie und tiefster  Empfindungen. Und dann dazwischen – schrillste, schmerzende Schlagzeuggewalt, die den schönen Schein der schnell vergehenden Macht zerschmettert. Und die kurzen, treffsicheren Einschübe heutigen Sprachgebrauchs, die unsere Wahrnehmung ins banal Reale zurückbeordern, eingefügt und eingeflochten in die Dramatik der überbordenen Synthax. Das ist excellent gemacht, denn so wird, wie nebenbe,i die wahre, echte Denkungsart des rachelüsternen tollwütigen Fuchses offenkundig. Was scheren denn ihn die Flüche der Altvorderen, der Ahnherrin zum Beispiel, die mit erschreckender Stimme die todverheißenden Flüche von der Empore auf die Partygesellschaft herabschleudert? Hör auf Oma, mit deinem Unsinn, unterbricht der herbeihumpelnde Richard die furchtbaren Voraussagen der alten Dame, die von einem der besten Schauspieler dieser Bühne, Robert Beyer, exzellent gesprochen wird (später wird er als ebenso stummer wie undurchsichtiger Dienstbote Richards die Macht im HIntergrund ahnen lassen). Der Königinmutter Drohungen verhöhnt Richard ebenso wie auch die der Witwen und Waisen und aller Opfer der wütenden Rosenkriege, die mit der letzten Schlacht, die sein Bruder Edward mit Hilfe Richards für sich entschied und damit den Thron besteigen konnte, beendet zu sein scheinen.

Aber der Wolf im Schafspelz humpelt durch die sandige, vom Blut des hingerichteten Bruders Clarance noch rot gefärbte Arena, schnellt die Treppen des Gerüstes hinauf, um von der Empore Geistlichkeit und Kirche verhöhnend, sich selbst als gottesfürchtigen bescheidenden Mann zu proklamieren, jedoch nach diesem Theater immer rasender zum Mord anstachelt, um jedwede Widersacher oder Ansprüche auf den Thron zu vernichten. Als er sogar vor den Kindern der Königinwitwe nicht Halt macht, die hier pietätvoller Weise als Puppen vorgeführt werden, verläßt ihn auch sein williger Ratgeber Buckingham, den Moritz Gottwald eiskalt, unbewegt die Mechanik des Macht- und Ränkespiels beherrschend, verkörpert.
Er ist das Hirn, der Richard die Köpfe der Widersacher auf dem silbernen Tablett serviert, in dem der neue König sich nach lustvoll vorgetäuschter Weigerung, die Krone anzunehmen, genußvoll  spiegelt. Bevor ihn Richard töten läßt, gelingt Buckingham allerdings die Flucht. Und er wird den Untergang des Monsterkönigs einleiten, der sich vorher noch von seiner Frau Anne “befreit”, und der Witwe seines Bruders Edward – diesmal allerdings durch unverholene Drohung  – die Einwilligung erpreßt, ihm ihre Tochter ins Ehebett zu führen! Wie die nur noch scheinbar sich aufrecht haltende, zutiefst erschöpfte, fassungslose und vor Angst vergehende Frau diese Schmach erträgt, die Miene verzerrt vor Schmerz und Gram, die Finger verkrallt, der Worte unfähig ob dieser Teufelei, das ist überzeugend. Eva Meckbach und Jenny König gebührt später ein großer Teil des Beifalls als Elizabeth und Anne.

Und dann greift die Inszenierung wiederum zu einem guten Trick: sie läßt Richard im Schlaf bereits all das erleiden, was ihn anderntags im Krieg gegen Buckinghams schnell ausgehobenem Heer widerfahren wird: Seine Taten werden von den Toten verfolgt. Wie Erynnien setzen sie ihm zu, und der letzte Ruf nach einem Pferd, das ihn retten soll, ist so lächerlich wie diese ganze Figur, die sich nachher am Klumpfuß selber aufhängt.
Es gibt in diesem Spiel so viele verblüffende, die Anspannung lösende szenische Einfälle und typische Eidinger-Überraschungen, das es beinahe Spaß macht, diesem “Game of Thrones” zuzuschauen. An diesem Abend ist der Zuschauer Zeuge einer Aufführung, die alle Facetten der sich gegenseitig ausmerzenden degenerierten Machtelite ausleuchtet, die schier unerschöpfliche Abfolge von Intrigen, Morden und Machtwechseln überwiegend texgetreu, doch mit Abstand und Humor anbietet, übrigens in einem dem Londoner Globe Theatre nachgestellten Bühnenaufbau, der nur einen kleinen Zuschauerraum zuläßt. A.C.

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