Unterwerfung, B

nach dem Roman von Michel Houellebecq
Deutsches Theater Berlin, 2016
In einer Fassung von David Heiligers und Stephan Kimmig

Regie: Stephan Kimmig, Dramaturgie: David Heiligers, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Sigi Colpe, Musik: Michael Verhovec, Video: Julian Krubasik, Licht: Robert Grauel
mit: Lorna Ishema, Camill Jammal, Marcel Kohler, Wolfgang Pregler, Steven Scharf

Aus aktuellem Anlass

Die Diskusion in den Medien nach der Verleihung des Frank Schirrmacher Preises an den französischen Literaturrevolutionär Michel Houellebecq im Herbst 2016 war noch nicht verklungen. Der Geehrte hatte seine Rede der FAZ zum Abdruck freigegeben, damit nun auch die breite Öffentlichkeit von seiner Einstellung zu Intellektuellen (denen er sich nicht zugehörig fühlt) und Schriftstellern (von dener er einer ist) und seinen literarischen und politischen Vorbildern erfahren sollte. Die Repliken erfolgten prompt an den folgenden Tagen und versuchten zu erklären, warum ihrer Meinung nach gerade und ganz besonders der Geehrte ein Intellektueller sei und somit verantwortlich für all das, was er nach seiner Wandlung vom Saulus zum Paulus – nämlich vom Edel-Kommunisten zum pragmatischen Sozialisten – der geistigen Elite Frankreichs mit bitterster Konsequenz in seinem Roman “Unterwerfung” vorwirft. Wobei die Ironie und die  aufreizende Kultur- und Gesellschaftskritik durchaus zum Widerspruch aufrufen.

Patient Europa – oder Angstneurosen helfen nicht

Das deutsche Theater hatte schon Anfang April eine harmlose Inszenierung nach der Bühnenfassung von Heiligers und Kimmig vorgestellt und damit keinen großen Eindruck in der Öffentlichkeit gemacht. Die Inszenierung wurde in der neuen Saison wieder aufgenommen, wohl weil es nun auch wieder opportun war, sich mit der unangenehmen Vorstellung auseinanderzusetzen, wie denn so eine schleichende Machtüberahme Europas durch die Muslim-Bruderschaft vor sich gehen könne – frei nach dem aufreizenden Roman des kühl sezierenden Schriftstellers. Aber, die Öffentlichkeit, die Besucher ließ die theatralische Fassung des müden, bequem und phantasielos gewordenen Literaturwissenschaftlers Francois als intellektuellen Versager, der nicht mehr in der Lage ist, Europa aus dem Tief der gedanklichen und politischen Lähmung herauszudenken, ebenso kalt wie eben diese Leute. Ihn stellt Steven Scharf als hypochondrischen, depressiven, seelisch vereinsamten Mann in den Mittelpunkt, läßt ihn in einem klinisch kühlen Krankenzimmer über seine Ängste und seine erotischen Vorlieben lamentieren, zeigt, dass er aber in Wirklichkeit kaum mehr als ein paar lahme Hüpfer zuwege bringt bevor er auf sein Bett zurückfällt und von einer schweigenden schwarzen Krankenschwester (patent und flexibel Lorna Ishema) gründlich gewaschen wird, was er lustvoll stöhnend auch gern mit sich geschehen läßt. Wie er überhaupt alles mit sich geschehen läßt, ohne Eigeninitative, ohne Empathie für andere Menschen, schon gar nicht für die Studentinnen, denen er als Macho lediglich sexuelles Interesse entgegenbringt. Das Leben enttäuscht ihn, er überlegt verschiedene Suizidmöglichkeiten, denkt über Christentum im Mittelalter, sein liebloses Elternhaus, über Demokratie und Fußleiden nach, findet auch das alles zu anstrengend und begibt sich nach kurzem Resumé der Ausweglosigkeit seiner gedanklichen Sackgassen wieder zu Bett.
Der Patient Europa, der Intellektuelle, der geistige Schrittmacher der Nation, der Vordenker ist bereits mit 40 Jahren ausgebrannt, mut- und tatenlos, ohne Familie, ohne Aufgabe, die ihn herausfordern könnte, die er aber auch seit langem nicht mehr sucht. Nun nimmt er hin, was man ihm anbietet, läßt sich pflegen und versorgen, wie es seiner Meinung nach des Staates und der Frauen Pflicht ist – und verfolgt leidenschaftlos und eher am Rande die aufregendste und für alle Zukunft entscheidende Wahl an diesem Abend im Jahr 2022 im französischen Fernsehen, die Mohammed Ben Abbes (Camill Jammal auch als Chefarzt attraktiv) als ersten muslimischen Präsidenten an die Spitze des Landes hebt.  Die Krankenschwester übernimmt auch die Rolle der Rechtspopulistin Marine le Pen wie später die der jüdischen Geliebten und scheint sich überhaupt als Mädchen für Alles bereits auf ihre künftige Rolle vorzubereiten, die die neuen Machthaber den Frauen zugedacht haben.

Und Francois, nun der eigenen Verantwortlichkeit enthoben, fügt sich, von dem charismatischen Ben Abbes umschmeichelt, in die überflüssige Aufgabe, die Geschichte eines längst ausgemusterten, dekadenten Schriftstellers aufzuarbeiten, der niemanden mehr interessiert. Sozusagen: ein sicherer Platz auf dem Abstellgleis. Willenlose Intellektuelle sind der neuen Regierung nur allzu willkommen, Anpasser ebenfalls und überhaupt alle politischen Parteien, die über Mißstände klagten und deren Probleme nun von den neuen Machhabern auf ihre ganz eigene, spezifische Weise gelöst werden. Keine überflüssigen Staatsausgaben mehr im Bildungsbereich, keine Privilegien für große Firmen und Konzerne, Ausdehnung Europas auf die südlichen Staaten, Gleichstellung aller Religionen, nachdem der Islam Staatsreligion geworden ist. Es wird alles so zurechtgebogen, wie es der Autor in beinahe diabolischer Konsequenz bis zum bitteren Ende führt – zur endgültigen Unmündigkeit Europas.  Er läßt allerdings seinen Francois am Ende Paris verlassen und zu einer Reise zu sich selbstaufbrechen.

Die Botschaft: Wer mehr erfahren möchte, sollte sich mit dem Buch beschäftigen, wer die Entwicklung in der Gesellschaft beeinflussen will, sollte vom Krankenlager aufstehen und die Initiative ergreifen und sich nicht freiwillig in ein System fügen, dass die Grundwerte der westlichen Welt nicht akzeptiert. Damit hätte Houellebecq schon mal sein Ziel erreicht, und die Frage, ob er selbst zu jenen Intellektuellen zählt, die sich still der Resignation hingeben, dürfte hiernach nicht mehr relevant sein. A.C.

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