Biografie: Ein Spiel, B

Eine Komödie von Max Frisch
Deutsches Theater Berlin, Kammerspiele – Uraufführung 1968 im Zürcher Schauspielhaus
Regie Bastian Kraft, Dramaturgie Ulrich Beck, Bühne und Video Peter Baur, Kostüme Karin Rosemann, Musik Björn SC Designer, Licht Ingo Greiser
mit: Hans Löw als Hannes Kürmann, Maren Eggert als Spielleiterin und Antoinette Stein, Helmut Mooshammer als Spielleiter

Kann sich der Mensch neu erfinden?

“Wo, Herr Kürmann, möchten Sie nochmals anfangen, um Ihre Biografie zu ändern?” fragt der Spielleiter den Mann, der sein Schicksal noch einmal anders gestalten möchte. Dieses spannende Spiel im Spiel auf der schmalen, offenen Bühne in den Kammerspielen ist seit 2012 im Programm, ein Selbstläufer, wie man sagt, eine Hommage an die große Menschlichkeit des Schweizer Schriftstellers und Theaterautors Max Frisch, an die Dramaturgie des Deutschen Theaters und an die emphatische mitreißende Gestaltung der Darsteller.

Zunächst verwirrt ein leicht chaotisches Durcheinander auf der offenen Bühne: am linken Rand türmt sich ein Stapel mit Requisiten, am rechten Rand steht auf einem Schreibpult ein pyramidenförmiger Kartenständer, der bei Szenenwechsel als Erinnerunghilfe auf die Lebensabschnitte des Herrn Kürmann dient. In der Mitte: ein kubusartiger Pavillon mit teils offenen Glastüren und einem 50erJahre Mobilar. HIer spazieren die Protagonisten lebhaft ein und aus, vom Monitor am oberen Rand zusätzlich eingefangen und abgespielt, was nicht unbedingt nötig ist, zumal das Spiel selbst psychisch wie physisch alle Beteiligten ständig in Atem hält.
Maren Eggert und Helmut Mooshammer wechseln – die Frau ständig, der Mann nur, wenn er selbst in die Rolle von Kürmann – einsteigt, die Garderobe im Auf und Ab der zeitlichen und persönlichen Entwicklung in Kürmanns Leben. Hans Löw spielt ihn als nervösen, unbeständig wirkenden, hilflos um Neu-Orientierung in seinem Lebensspiel bemühten Mann, dessen emotionale wie auch intellektuelle Unbeweglichkeit erst nach und nach offenbar wird. Es könnte auch ein sehr ernsthaftes Spiel um die seelische Aufarbeitung eines todkranken schuldbehafteten Patienten in der Psychiatrie sein, hätte Frisch es nicht als Komödie gemeint und den Text mit erfrischendem Humor gewürzt, eine Inkonsequenz, die ihm die frühe Kritik sehr angekreidet hat.

Doch die vergnüglichen Bonmots würzen und entschärfen das Spiel, das sich zunächst noch heiter in der verstörten Unfähigkeit des Mannes ausnimmt, dem späten Gast, der seine Party überhaupt nicht verlassen will, souverän zu begegnen. Hannes Kürmann wird diesen für ihn wichtigsten Moment in seinem Leben nicht mehr ändern können, so sehr er sich auch bemüht, die Blockade zu brechen. Und Maren Eggerts Antoinette ist so ungerührt, so fest in ihrer verführerischen Selbstsicherheit, dass der arme Professor der Verhaltensforschung! in seinem Kokon der Verliebtheit gefangen ist.  Denn das war  der eigentliche Anlass für diese Party – seine Ernennnung an der Universität zum Professor.

Er wird Titel und Ehre bei einer späteren Versuch zur Veränderung seiner Biografie leicht abgeben, um sich als Anhänger des Kommunismus zu outen. Aber das ändert in der ironischen Betrachtung des Autors weder etwas an seiner Lehrtätigkeit noch an seiner Bindung an Antoinette. Die Ehe wird nicht gut verlaufen, Antoinette wird schon bald einen Liebhaber vorzeigen, doch der nächste Punkt, der Kürmann hätte helfen können, zur Scheidung einzuwilligen, wird an seinem Egoismus und der Unfähigkeit zur Selbstreflexion scheitern. Nur noch einige kleine unbedeutende Dinge wird er umgehen können, doch die wirklich große Veränderung wird er nicht schaffen. Das ist auch für den Spielleiter und  enttäuschend; denn er rackert sich bis zur Erschöpfung ab, um diesem Mann die Möglichkeit der Einsicht und Neuorientierung zu geben.

Das ist auch das Anliegen dieser Idee, die so neu nicht bei Max Frisch ist, denn Satre hat sie in der Beweisfühung seiner existenzialistischen Ideologie bereits in  “Das Spiel ist aus”  ad absurdum geführt. Der Mensch also kann seine Biografie nicht ändern, wenn er dies ohne HIlfe anderer Menschen (und anderer sozialer Bedingungen) bewältigen soll. Der andere, die anderen müssen mitspielen. Hier bleibt Frisch bei Bert Brecht und zielt durchaus auf die politische Ebene. Der erste Schritt kann in eine neue Richtung führen, aber ob die Stolperdrähte zwischendurch nicht wieder dieselben und auf  Persönlichkeitsstruktur und Lebensmuster zurückzuführen sind? HIer wäre die Psychoanalyse ein anderer Ansatz für einen durchgängigen Aufbau dieses Dramas (allerdings wohl keine Komödie mehr) gewesen. Denn irgendwann reißt der Faden, und eine völlig neue, unerwartete Situation schafft einen völlig neuen Ausgang. Der Bruch erklärt sich nicht sogleich. Denn der Spielleiter macht den Ausgang des Stückes jäh rückgängig und beginnt mit dem Paar noch einmal von vorn: am Abend der langen Partynacht. A.C.

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