Die Italienische Nacht, B

von Ödön von Horváth, Uraufführung 1931 in Berlin
2019 in einer Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer an der
Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin, 2019
Regie: Thomas Ostermeier, Dramaturgie, Bühne Nina Wetzel, Kostüme Ann Poppel
Mit Veronika Bachfischer, Annedore Bauer, Marie Burchard, Johannes Flaschberger, Christoph Gawenda, Traute Hoess, Laurenz Laufenberg, Juri Padel, Andrej Reimann, David Ruland, Benjamin Shröder, Sebastian Schwarz, Konrad Bingr, Alina Stiegler, Lukas Turtur, Hans-Joachim Wagner,/ Bernd Hölscher, Inga Wolff sowie Darsteller einer düster grölenden anonymen Nazitruppe

Bevor die Nacht einbricht

Das alljährliche Fest der “Italienischen Nacht” steht bevor, und die Gruppe der Sozialisten hat sich bereits in Erwartung eines feucht-fröhlichen Tanz- und Schlagerabends im dörflichen Gasthaus Lehninger eingefunden. Man spielt Karten und teilt herbe Sprüche aus. Es gärt jedoch bereits zwischen den jüngeren, von revolutionärem Tatendrang befeuerten Männern unter ihrem Anführer Martin und dem proletarisch cholerischen Stadtrat Ammetsberger und seinen Anhängern, die das aufziehende Gewitter des Naziterrors ignorieren wollen, an eine faire demokratische  Auseinandersetzung glauben und den Heißspornen in eigenen Reihen nach einer mächtigen Schlägerei unter Parteifreunden die Tür weisen.

Horváth hat ein Volkstheaterdrama geschrieben mit allen erdenklichen Grob- und Gewitztheiten, mit derben Typen, Machos und machtgeilen Typen sowie gefügigen, aber auch klugen und aufmüpfigen Frauen, mit gruseligem Spass kunstvoll nach eigenem Erleben konstruiert – und Ostermeier hat – natürlich – die neuen Akzente auf den aufkeimenden Rechtsextremimus unserer Tage gelegt und somit ein schauriges Allzeit-Drama in Schwebe transferiert. Man lacht mit düsterer Vorahnung, denn man   weiß, dass die Nebelschwaden in der Dämmerung nicht nur die Italienische Nacht ankündigen, und die Dunkelheit nicht nur die Liebesaffären und Konflikte der jungen Paare verbirgt, sondern dass auch die schwarz vermummte Truppe, die wie Wölfe heulend um das Gasthaus streunt, den Festsaal ebenfalls an diesem Abend gemietet hat, um ihre eigene Demonstration der Macht mit so ungehuerer Wut  und Hard Rock-Aggressivität gräßlich-schaurig zu demonstrieren versteht, dass einem Angst und Bange wird. Eine Inszenierung, die eine bürgerliche Kneipe in ein politisches Tollhaus verwandelt, mit kraftraubenden Auseinandersetzungen unter den Sozis, deren geistiger Horizont wie auch ihre Phantasie noch nicht so weit ausgebildet erscheinen, wie es angesichts der politischen Entwicklung vonnöten wäre. Und die jungen Leute, die das schwarze Gespenst nicht nur sehen, sondern auch dummerweise herausfordern, indem sie das den Nazis heilige Kriegerdenkmal umstürzen, wissen genauso wenig wie der Großteil der Bevölkerung, wie man intelligenter mit dieser Situation hätte fertig werden können. Niemand wußte es, wenige wagten es, ohne Erfolg.

Dieser Realismus macht natürlich beklommen, denn er zeigt hüben wie drüben die Unbarmherzigkeit, die Machtsucht, die egozentrische Nabelschau der Dorfälteten genauso grob wie die sanfte Demut und Unselbständigketi der Intellketuellen und Künstler, die Engstirnigkeit der revolutionären Genossen, er zeigt, wie naiv die Alten am Glauben der Heilkraft der Demokratie festhalten, an alten Regeln und Riten kleben, an der Vorherrschaft der Mächtigen, und sie sind in ihrer Blindheit für den Dramatiker nicht weniger gefährlich wie die politischen Aufsteiger. Ein großartiges Beispiel liefert Lorenz Laufenberg als hübscher blonder Nazi-Student, der sich von Martins Gefährtin anlocken läßt, sie sanft umsäuselnd zu betören versucht, doch als er die Absicht hinter ihren Fragen versteht, sie brutal vergewaltigt; später wird er der “Marktschreier” auf dem Podium der Gaststube stehen, auf dem er, untermauert von der Wucht der Bässe, seine völkischen Parolen brüllt.

Auf der anderen Seite des Gasthauses spielt sich Hans Jochen Wagner als beängstigender, cholerischer Stadtrat und brutaler Macho auf, der über seine alten Anhänger herrscht wie ein Dorfkönig; Und sein Gegenspieler Martin, von Sebastian Schwarz nicht minder radikal und herrschsüchtig dargetellt, ist ein Mann, der nicht die Welt gerechter machen, sondern am liebsten mit Granaten gegen alle Ungleichheit ankämpfen möchte. Doch da seien die friedfertigen Alten vor, die lieber zu netten Schlagern bierselig tanzbärartig über die Bühne torkeln, und auch die jungen Frauen, die sich zunächst noch willig als politische Spitzel missbrauchen lassen, um dann allerdings aufzubegehren, noch durch die allseitige Vorherrschaft der Männer gebremst, aber im Ansatz schon abwehrbereit und mutig.

Wer die feinen Pfeilspitzen innerhalb dieses bajuwarischen Gerangels nicht zu spüren vermag und eine kraftvollere Version dieses Themas angesichts der Gewalttätigkeiten der neuen Rechten in unseren Tagen bemängelt, sollte sich noch einmal in aller Konzentration die Video-Aufnahmen in den Mediatheken ansehen. Die Unheimlichkeit, mit der Ostermeier dieses “Volksstück” untermalt, ist ausreichend suggestiv, und das wüste Spiel scheint ein gefundenes Fressen für die Riege der Vollblutschauspieler, die hier mit vollem Einsatz an der Liebe, an den Kämpfen, an der Verzweiflung und Traurigkeit, aber auch an am zähen Willen und der Selbsterhaltung ihrer Charakltere festhalten. Und der Spaß am Toben, an den Wortgefechten, an der Klopperei, am hintergründigem Witz der Berliner Schnauze, an tiefer Situationskomik, die zeitweilig den Schatten durchdringt, der über dieser Nacht liegt, die so ganz verkorkst daherkommt, läßt nicht einen Augenblick Zweifel an der Absicht und Aktualität dieses Kunst-Stückes aufkommen. A.C..

 

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