Ruhm, B

von Daniel Kehlmann, Bühnenfassung Erik Schäffler

Vagantenbühne Berlin, 2019

Regie: Hajo Förster, Ausstattung Olga Lunow
mit: Lisa Marie Becker, Marion Eiskis, Felix Theissen, Urs Fabian Winiger

Wenn das Ich verloren geht…

Das ist ein teilweise vergnüglich-infames Spiel um die eigene Identität, um Entscheidungen, die ein jeder in seinem Leben zu treffen gezwungen wird, zu Taten, denen oft nichts mehr hinzufügen ist; sie geschehen, sind geschehen und nicht mehr revidierbar. Und dazu ein Marionettenkünstler, ein Dichter, der Schicksale literarisch bearbeitet und dabei Wirklichkeit nach seiner Vortellung formt, was ja bekanntlich dem journalistischen Ethos widerspricht – darf denn ein Schriftsteller die Realität für seine Zwecke umformen? Darf er unbeteiligter Zuschauer und “Verwerter” etwa eines politisch-menschlichen Dramas sein? Was darf Kunst, heiligt der Zweck die Mittel und Methoden – eine sehr weit führende Frage, die aber mit dieser Inszenierung nicht unbedingt angesprochen wird.

Damit hat sich der Regisseur eine schwierige Aufgabe gestellt, wie man das ja bei Literatur-Dramatisierungen kennt. Was im Wortverlauf spannend und – gerade bei Daniel Kehlmann – gewieft und gewitzt klingt, tönt dann auf der Bühne schon ein bißchen anders, teilweise angestrengt, verhakt in dem Bemühen, das Spiel zur Durchsichtigkeit zu führen, was sowohl für die verworrenden Handlungssstränge als auch für den philosophischen Überbau nicht gelingen kann. Wenig inspirierend erscheint da auch die mit Sitzwürfeln dekorierte Bühne, die neue Verhältnisse, spannende Orte, unmögliche Verhältnisse andeuten und Lebenswege in den doch sehr verzwickten Situationen markieren sollen.

Da ist der müde Angestellte einer Telefonfirma, der Anrufe erhält, die für einen Mann namens Ralf bestimmt sind, wieder und immer wieder, bis er der verführerischen Frauenstimme nachgibt und in das Leben eines fremden Mannes schlüpft, der wiederum seine ruhmumwobene Identität vollends aufgegeben hat bis zum Nobody. Nicht nur das monotone Leben des Einen wie auch das überstrapzierte Dasein des Anderen wird sich ändern, auch das vieler anderer Menschen, die Kehlmann Revue passieren läßt. Gerät ein Waggon aus dem Gleis, folgen mehrere nach. Ein Mann lernt eine andere, jüngere Frau kennen, die ihn sexuell fesselt, und er gerät in die Räder der Untreue, der Lüge und des Betrugs an seiner Familie.

Und da taucht ein überspannter Schauspieler auf, der, ebenfalls seiner selbst und des anstrengenden Ruhmes überdrüssig geworden ist und sich nun doubeln läßt. Doch er und seine Manager werden der Flut der Doppelgänger nicht mehr Herr, und der Schauspieler mit Namen Ralf verliert letztendlich sich selbst und sein echtes Ich, falls er das überhaupt noch kannte. Und seine Geliebte findet nur an dem Double Gefallen, denn das hält sie für das Original.

Der Schriftsteller ist hier eine gespaltene Persönlichkeit – hilflos im Alltag, unempfindlich allem und jedem gegenüber, bei dem er Stoff für seine Phantasie spürt, den er der Realität raubt, verfremdet und verdichtet. Er benutzt die Menschen, die ihm vertrauen, die ihn an ihrem Leben teilhaben lassen. Und weil dieser Mann, bereits ein ermattetes Nervenbündel, das zwar ruhmreichen, aber ermüdende Showgeschäft  nicht mehr ertragen kann, schickt er eine Kollegin an seiner Statt in ein fremdes Land, in dem absolute Diktatur herrscht, und die Frau, die mit seiner Identität reist, gerät in die Schlingen einer unbarmherzigen, korrupten  Bürokratie.

Und dann gerät auch dieser Schriftsteller in Not: er wird seinen Roman nicht fortschreiben können, er wird die todkranke Frau retten müssen und der Realität und dem Erfolgsprodukt ein Opfer bringen. Sein Herz ist doch noch irgendwo und irgendwann erreichbar. Und in der Wüste, wohin ihn seine Freundin führt, um ihm das Elend der Flüchtlinge und Kriegsopfer erfahren zu lassen, muss er darüber nachdenken, wie weit er jegliche Moral außer Acht läßt, wenn er die Not der Menschen für seine Absichten benutzt.

Die Inszenierung trifft nicht alle Charaktere, kann auch die seltsame Lebens- und Daseinsphilosophie eines manisch – selbstverliebten Spaniers, dessen Spruchweisheiten zuweilen in der Kulisse auftauchen, nicht umsetzen bzw. karikieren. Dazu ist die Vorlage des Romans zu sehr auf die    spannende Entwicklung seiner Charaktere angelegt. Und die einzelnen Kapitel könnten je für sich eine Inszenierung ausfüllen. Für die schnell in neue Rollen, in neue Identitäten schlüpfenden Schauspieler ist diese auf gewaltige Kürzungen und gestraffte Dialoge umgesetzte Fassung ein Versuch, die tiefgründigen Identitätskrisen und Wirklichkeitsverluste in Grenzsituationen transparent zu machen.

Vielleicht ist es aber auch hauptsächlich eine Persiflage über die Eitelkeit der Künstler? A.C.

 

 

 

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