Fontane, Kästner und andere, B
Theater im Palais Am Festungsgraben,Berlin, 2019
z.Zt. “Fontane: Alles Unsinn! Und die Frage bleibt! Eine bitterböse, knarzige Abrechnung Fontanes mit dem Unsinn des Alltags.
Komposition und Klavierbegleitung: Ute Falkenau; mit Gabriele Streichhahn, Jens-Uwe Bogadtke, Carl Martin Spengler u.a.
Ein buntes literarisches Theaterprogramm u.a. mit Berliner Geschichten: Otto Reuter …” und so kommen wir aus der Freude gar nicht raus”; Erich Kästner “Das Glück ist keine Dauerwurst” ; Kurt Tucholsky” Affenkäfig Berlin”; Ernst Gennart, Berlins berühmter Kriminalkommissar “Der Buddha vom Alexanderplatz”; Alfred Henschke “Ick baumle mit dee Beene”.
Die Geschichte Berlins im Visier seiner Dichter
Für Insider, die dem seit 1991 fest verankerten Kammertheater seit Jahrzehnten die Treue halten, bedarf es keiner Ermutigung – für alle Berlinbesucher aber sollte ihr Augenmerk, abseits der Highlights – Oper und Philharmonie, Museen und Schauspielhäuser – für einen Abstecher auf das Palais am Festungsgraben gelenkt werden. Das Palais ( 1753 als Donnersches Palais zur privaten Nutzung gebaut. 1787 zog die preußische Finanzbehörde unter der Leitung des Freiherrn von und zum Stein in das Haus ein. Als einziges Palais Unter den Linden unzerstört, fanden hier bereits 1945 die ersten Konzert- und Theaterveranstaltungen nach dem Krieg statt. Zwischen 1950 bis 1990 war es das zentrale Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft) ist seit beinahe 30 Jahren nun ein Vielzeckbau mit zahlreichen kleineren und größeren Sälen, die zeitweilig Kunstausstellugnen und dem Empfang verschiedener Gästegruppen dienen. Auf der unteren Ebene – vorbei an einem einsamen Portier – befindet sich die Heimstätte eines eingeschworenen Ensembles, das eine vorbildliche Tradition pflegt. Hier sind die Schauspieler, ihre Leiterin, ihre Gastspielfreunde in seltener Harmonie nicht nur aufeinander eingespielt, sondern auch absolut auf ihr treues Publikum ausgerichtet.
Zugegeben, alle sind sie etwas in die Jahre gekommen, aber sie haben – oben auf wie unten vor der Bühne – eines gemeinsam: sie lieben das Spiel, sie lieben ihre Autoren, die irgendwann, als Ureinwohner oder Zugereiste zu echten Berlinern geworden sind, die Sprache und Mentalität widerspiegeln, die diese Stadt so einzigartig macht – zu jeder Zeit, und immer ewas anders. Aber wer hierher kommt, spürt die ganz besondere Atmosphäre, auch wenn er sich über Baustellen , Abfalldekorationen, U- und S-Bahn-Verspätungen und Umwege ärgert – die Luft, die berühmte alte unaustilgbare Berliner Luft lebt; eine intensive Begrünung trotzt allen echten und befürchteten Umweltschäden; der Tiergarten, die großen Parkanlagen und die Gewässer und Flüsse, die durch die Stadt strömen und ihre Außenbezirke umarmen, locken Touristen und zahlreich vor allem auch junge Leute an, die hier leben, studieren und arbeiten möchten. Es ist ein neuer unternehmungsfreuiger Geist, der die heutige Attraktivität der Stadt bestimmt, während Kunst und Kultur dafür Sorge tragen, dass der Alt-und Uralt-Berliner Charme nicht in Vergessenheit gerät.
Das kleine Theater im Palais hat diesen Charme konserviert, behütet, bewahrt und für jede neue Inszenierung, die Barbara Abend in früheren Jahren, heute Annette Klare und das Team in gemeinschaftlicher Produktion erarbeiten, bewahrt. Ihr Repertoire umfasst Heinrich Heine, Erich Kästner, Theodor Fontane, Heinrich von Kleist, Otto Reutter, KLABUND (Alfred Henschke), Kurt Tucholsky wie viele andere mehr, die sich mit ihren besinnlichen wie frech-frivolen Moritaten und Liedern ein ewiges Andenken verdient haben. Viele Abende sind ihnen gewidmet, die “Goldenen Zwanziger” sind überdies evergreens für jedes Alter. Doch es ist nicht nur die amüsant-bedenkliche und bedächtige Muse, die hier ihren Stammplatz hat – da gab es eindrucksvolle Bühnenbearbeitungen von Don Quichote, Jud Süß, Oscar Wilde (vor Gericht, ein großartiges Spektakel!), und neben und mittendrin in diesem Team der Herren Jens-Uwe Bodgadtke und Carl Martin Spengler (unter anderen) Gabriele Streichhahn,(Intendantin seit 1919) die seit Mädchentagen mit einem ganz bezaubernden Charme jedem Spiel Pfiff und Brillanz gibt. Liebreizend, naiv, gutmütig, verführerisch, auch bösartig, wenn die Rolle es verlangt, durchtrieben, verzagt – sie sind Künstler aller Variationen. Und sie haben wohl immer wieder großen Spaß an ihren Rollen, wie sonst wäre es zu erklären, dass so ein relativ kleines Team in solcher Harmonie Abend für Abend die kleine Bühne mit Leben erfüllt; es muß schon an der unauslöschbaren Leidenschaft zum Theater liegen. Und natürlich wäre ohne Ute Falkenau, deren musikalisches Talent jede Aufführung mit der notwendig variierenden Intensität inspiriert, das Ganze nicht vollständig. Auch das Team, das für Organisation sowie einen reibungslosen Ablauf auf und hinter der Bühne und auch noch für die Bewirtung zuständig ist, gehört natürlich zur Vollständigkeit des Theaterbetriebs, der zudem Werbung, Tourneen sowie die Gastspiele vor Ort planen muss. Der Senat hat schon vor eingier Zeit begriffen, welches kulturelle Kleinod sich hier etabliert hat und die Tradition Berlins weiterträgt, und ihm mit fester finanzieller Unterstützung Anerkennung gezollt.
Zwischen dem Maxim-Gorki-Theater und dem chicen Anbau des Zeughaus-Museum, abseits der belebten Straße unter den Linden erlebt man im Palais ein selten gewordenes Theaterspiel, heiter – vergnüglich, nachdenklich – besonnen, immer die Geschichte Berlins und seiner berühmten Dichter und Schriftsteller im Visier der Zeit. In diesem Sommer spielt sich natürlich Theodor Fontane mit seinen 200 Jahren auf dem Buckel, mit einer reichen Vita und einem umfassenden Oevre, erfolgreich in den Vordergrund. A.C.