Jugend ohne Gott, B

von  Ödön von Horwáth
in einer Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer
Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin, 2019
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Angelika Götz, Video: Sébastian Dupouey, Musik: NilsOstendorf, Dramaturgie: Florain Borchmeyer, Licht: Michael Gööck
mit Bernardo Arias Porras, Damir Avdic, Veroika Bachfischer, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler, Lukas Turtur – in verschiedenen Rollen, die sie nicht nur dank der großartigen Maske so überzeugend bewältigten!

Ein polit-psychologischer Meisterkrimi

Er kämpfte, dachte und schrieb sein Leben lang gegen Dummheit und Lüge  – “Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur“ ein satirisches Bekenntnis des österreich-ungarischen Schriftstellers und Bühnenautors Ödön von Horváth, der sich zunächst noch in jugendlicher Verwirrung um die deutsche Staaatsbürgerschaft bewarb, sich aber spätestens nachdem er die Bekanntschaft mit eben jenen Menschen gemacht hatte, die durch Dummheit und Lüge ein Volk, eine Welt ins Unglück stürzten, von dieser Idee Abstand nahm. Die Jugend war und blieb daher sein Thema: jung, unwissend, verführbar, tatendurstig und erlebnishungrig, aber unreflektiert ein Opfer von gefährlichem Populismus.

Die Horwáth- Renaissance ist zur Zeit in Berlin und München besonders ausgeprägt durch zwei Inszenierungen von Thomas Ostermeier in diesem Halbjahr einmal mit “Die Italienische Nacht” und im September mit “Jugend ohne Gott”. Das kommt natürlich nicht von Ungefähr. Und München greift mit einer detailgetreu ausgeleuchteten Ausstellung in seinem Theatermuseum Leben und Werk des Dichters mit drei seiner Bühnenstücke exemplarisch visuell und auditiv auf. Es ist Zeit, so möchten die Initiatoren mahnen, dass wir achtsam sind auf alles, was sich – und wenn es auch nur ansatzweise ins Bewusstsein drängt  – in ähnlicher Form politisch von Zeit zu Zeit wieder ins Spiel bringt.

In Berlin verkörpert Jörg Hartmann einen sanftmütigen, entscheidungsunfähigen, ängstlichen Lehrer, der zunächst – was nicht original Horwáth entspricht – als ein regimetreuer Hitleranhänger und überzeugter Mitläufer, auftritt, der wenig reflektiert, was an Propaganda im Radio verkündet wird, doch zunehmend jenen verbreiteten Klischees mißtraut, die ihn als Pädagogen und Wissenschaftler in Bedrängnis bringen. Damit schmilzt sein Schutzschild, das ihn vor übereifrigen Schülern und deren nazitreuen, mißtraurischen  Eltern unangreifbar machen sollte, und er setzt nach altem klassischen dramaturgischen und empirischen Gesetz eben doch jene Maschinerie in Gang, der er entrinnen wollte.

Sein Zögern und Zaudern, sein verdrängtes Ehrgefühl für Gerechtigkeit und die Verteidigung von wahrhaftiger Historie und sprachlicher Exaktheit verfängt sich in seiner mangelnden Zivilccourage als er der politischen Korrektheit trotzt und in dem Aufsatz zum Deutschen Kolonialismus einem Schüler die Formulierung der rassischen Minderwertigkeit afrikanischer Einwohner, wenn auch nur ansatzweise, zaghaft redigiert. Doch dieses kleine “Vergehen” wird ihn die Existenz kosten. Denn der regimetreue Vater des betroffenen Schülers protestiert, der Schüler muckt auf, die Klasse formiert sich gegen den “Herrn Lehrer“, der den aufziehenden Sturm nicht wirklich ernst nimmt, wohl aber zunehmend verunsichert ist. Auch sein kurz vor dem Ruhestand stehender Direktor kann ihn nur zum Schweigen raten.

Denn mit seinen auspendelnden, aber wenig klaren Entscheidungen ist er ein unberechenbarer Gegner für die Jugend, deren Ungläubigkeit hier gar so keine entschiedene oder entscheidende Rolle spielt, das göttliche, also übergeordnete moralische Element fehlt nicht zuerst der Jugend, sondern der Erwachsenwelt. Die Zöglinge, die dem Lehrer in einer kriegsvorbereitenden Freizeit anvertraut sind, bleiben ihm fremd, feindlich, unheimlich. Gegner auf einem Terrain, das der feingeistige Historiker nicht begreifen kann. Kriegsspiele und nächtliche erotische Eskapaden, Geheimnistuerei, Schlägereien, Machtkämpfe, die er moralisch beeinflussen könnte, sind ihm unangenehm. Bei Hörwath beschreibt der sehr sensible, an die Mutter fixierte Mann in einem Briefwechsel die Gründe, warum er nicht den Beruf des Arztes gewählt hat, nämlich, weil er nicht kranken, sondern gesunden, jungen Menschen Bildung und Weitsicht, Geist und Bildung für ein moralisch und ethisch festes Lebensbild vermitteln will. Ein Mensch also, der zum Scheitern in diesem politischen Zeitgeist geprägten Umfeld verurteilt ist, wenngleich er nicht hilflos daneben stehen müßte. Doch seine eigene, moralisch durchaus nicht einwandfreie Initiative und daraufhin mangelnde Zivilcourage führt zur allgemeinen großen Katastrophe.

Damit beginn jetzt eigentliche Geschchte, die mehr einem psychologisch geschickt konstruierten Krimi gleicht als einem politischen Mahnappell. Die soziale Komponente trtt stark in den Vordergrund als die Jungentruppe mit einem geheimnisvollen Diebstahl konfrontiert wird, und der Lehrer auf nächtlicher Wache feststellt, dass einer seiner Jungen sein Verhältnis mit einem Mädchen aus der Armensiedlung des nahen Dorfes in seinem gut gehüteten, verschlossenen Tagebuch beschrieben hat. Nun dreht sich eigentlich nichts mehr um die faschistisch infiltrierten Köpfe der jungen Männer, sondern  um vernachlässigte, fehlgeleitete, seelisch und körperlich misshandelte Mädchen und Jungen. Und es zeigt, zu welcher Dramatik Feigheit, Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit führen bei Jugendlichen wie Erwachsenen. Dass der Geistliche in diesem Spiel ein gewiefter Jesuitenschüler sein könnte, dessen Dialektik seine unglaublich zynische Abgeklärtheit gegenüber den von Armut und Schutzlosigkeit betroffenen Menschen im nahen Dorf erklärt, zeigt Horwarths kritische Ambivalenz gegenüber der Kirche zu jener Zeit. Sie macht nicht nur den Lehrer sprachlos, dessenArgumente an der rhetorisch polierten Wand abprallen.

Die Schüller als alter ego ihres Lehrers? Eher sind es wohl doch eigene unreife Charaktere, mit bösen häuslichen Problemen belastet, für die sie keine andere Lösung haben, als sich mit Gewalt und Trotz zu wehren, und wie im Fall des tagebuchschreibenden Schülers, mit Poesie aus der Realität zu entfernen.  Dass ein menschenwürdiges Miteinander, eine aufrichtige Gesellschaft, die Verantwortung und Zivilcourage zeigt, doch möglich sein könnte, lässt der Autor zum Schluss als Hoffnungsschimmer aufleuchten. Regisseur Ostereier übernimmt das unwahrscheinliche Happyend, das die Ehrlichkeit ans Licht holt, die Missetäter sich selber richten läßt und den Lehrer mit einem ausgesprochen interessanten Exil „belohnt“, wohl eher Galgenhumor des Autors.

Eine Inszenierung, die mit darstellerischer Eindringlichkeit vor allem die gesellschaftliche Biederkeit und Engstirnigkeit einer kleinstädtischen Gesellschaft transparent macht. Zeitlos?

A.Cromme

 

 

 

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