wagner – der ring des nibelungen, B

Recomposed by Thomas Köck mit Musik von Max Andrzejewski
Berliner Ensemble, 2021
Aufführungsdauer  ca 4 Std.,20 Min.
Regie und Bühne Ersan Mondtag; Kostüme Josa Marx; Dramaturgie Clara Topic-Maatutin; Video Bahadir Hamdemir; Mitarbeit Sounddesign Gerrit Netzlaff u.a.
mit: Corinna Kirchhoff: Wotan; Wolfgang Michael: Erda; Stefanie Reinsperger: Breünnhilde; Paul Zichner: Siegfried; Jonathan Kempf/Nico Holonics: Hagen, Siegmund; Peter Moltzen: Alberich, Deutsche GEschichte; Johnas Grundner-Culemann: Mime, Sieglinde; Peter Luppa, Philine Schmölzer, Emma Lotta Wegner: Rheintöchter, Walküren und Nornen

Schöne alte grausame Welt

Wotan, der Göttervater hat aus dem Holz der Weltenesche einen Zauberstab geschnitzt, der Menschen und Götter an einen gemeinsamen Vertrag binden soll, der Gesetze vor Gewalt stellt. Er ist der Vermittler, der Wanderer zwischen den Welten, der eine neue Welt, eine friedliche, schaffen will, in der Menschen und Götter unter der vereinbarten Ordnung leben sollen. Der Opernfassung Richard Wagners des Nibelungen-Clans und seiner Auslöschung stellt Thomas Köcks eine eigene Version entgegen: Wotan ist der Chirurg in einer Irrenanstalt, der den verwirrten Siegfried von seinen Wahnvorstellungen aus einer trüben Kindheit, in der Riesen, Zwerge, Nornen und Rheingötter, geraubtes Gold und ein mächtiger Ring und ein Wunderschwert ein szenisches Chaos veranstalten, mit einer Lobotomie “befreien” soll.

Vorzüglich, sprachlich prägnant und schneidend beeindruckt vor allem Corinna Kirchhoff als Wotan mit Schlapput und Zaubermantel. Es geht wie auch im Mythos und im Rheingold-Ring natürlich eben um diesen Schatz, den Wotan mit drastischen Mitteln dem Zwerg Alberich abnimmt, der ihn aus dem geraubten Gold der schönen Rheintöchter geschmiedet hat. Es geht um Macht und Vermögen, um die Beherrschung einer Sagenwelt. Und da Siegfried der vernichtenden geist- und verstandraubenden Operation entkommen will und weiß, dass er dazu den allmächtigen Ring benötigt, sucht er im Erdgeist “Erda” einen Verbündeten. Der ist hier ein weiterer schauspielerischer Lichtblick: ein alter, klappriger Mann, vorzüglich von Wolfgang Michael gespielt, abwechselnd mal englische, mal deutsche Satzfetzen  daherbrabbelnd, allwissend und zukunftsweisend und hinterhältig nach Nibelungen Art im bissigen Duell mit Wotan. So sehr gut können die beiden nicht miteinander. Weisheit und Machtwille haben sich noch nie verstanden. Wotan beharrt auf Vertragstreue, Erda weiss, was man davon halten kann.

Des unglückseligen Siegfrieds (Paul Zichner) ganzes Deklamieren und Herumturnen nützt ihm wenig, er tötet zwar mit dem Zauberschwert Nothing, das hier ein simples Skalpell ist, einen der Pfleger, die ihn fesseln wollen, doch unterliegt er letztlich der Macht der Walküren, die als Krankenschwestern getarnt, ihn brutal  überwältigen. Da nützt ihm auch seine Liebe zu der starken Brünnhilde letztendlich nichts, wie man ja weiß. Vom Vater/Chirurgen für medizinische Versuche mißbraucht, wird sie sediert (original inmitten der isländischen Feuerwalls auf einem hohen Fels für lange Zeit ruhiggestellt bis Siegfried sie, als werbender Gunther getarnt, erlöst – durch Verrat und Lüge). Brünnhilde erhält als Liebespfand den Ring von Siegfried; der erliegt den fiesen Einflüsterungen Hagens, fordert von Brünnhilde den Ring zurück und merkt den Betrug zu spät. Brünnhilde überlebt und setzt ihre Erkenntnisse in unsere  Welt. Und diese hat Stefanie Reinsperger bereits zuvor im 2. Akt in drastischer, überschäumender, leidenschaftlicher Wut in all ihren Facetten erfolgreich vorgeführt, mit herzlichem Szenenapplaus quittiert. Das alles vollzieht sich genauso haarsträubend wie beschrieben:

Schuld und Schulden, Geld und Gold als Ziel aller Gier und Leidenschaft. Das Chaos nach dem Weltenuntergang hat, darf man der Inszenierungsidee glauben, noch lange nicht aufgehört. Noch immer kämpfen die Mächtigen um den Erhalt ihrer Verträgte, irren von Konferenz zu Konferenz,hängen an   ihrem Gold, feilschen um ihr Geld, schleudern Berater und Staatsphilosophen wie Brünnhilfe ihre klugen Einsichten vergeblich wie stumpfe Speere auf blinde Staatenführer, gehen Kinder auf die Straße, um die Welt zu retten.

Es wird viel deklamiert, assoziiert, resümiert, intellektualisiert, geklagt und beschrieben, wie es um Mythen und Menschen heutzutage steht, wohin sie driften und warum man den falschen Gottern nicht Einhalt gebieten kann. Das jährliche Festival auf der Bayreuther Nibelungen Höhe wagnerscher Prägung wird als unabänderliches, längst entmyzifiziertes Mysterium weiterhin Jahr für Jahr sektglasschwenkend zelebriert und verewigt werden; die Ur- und Erbsünde wird fortlaufend von der Kirche zementiert, und irritierende Naturphänomene werden als gegeben hingenommen. Der alte Vertrag zwischen Götterdominanz und menschlicher Ohnmacht  läuft noch immer, obwohl Wissenschaft und Verstand dem längst neue Verträge hätten geben müssen, was jedermann längst in Goethes Faustischem Epos hätte nachlesen können.

Es sind viele Warnungen, die hier im Laufe von vier endlosen Stunden im Raum verhallen und im Wahnsinn versinken nicht nur die alten Götter, Mythen und Märchen, sondern wohl auch Regisseur und Komponist; denn es ist eine grelle, blutige sinnlose Schlacht, die hier ausgetragen wird, für die Alten ist kein Ausweg in Sicht, das Fenster bleibt vergittert, die Hilferufe verschallen, die modernen Ärzte löschen die eventuell erhellenden Erinnerungen, wetzen die modernen Waffen, um Ruhe in den Hirnen zu schaffen, und Wotan, Gottvater, Hüter der Weltenesche, zieht wütend weiter auf ewigen Bahnen.,

Ein Vergleich mit “American Gods”:

Da die Autoren die Beiträge viel mit englischen Sätzen verkapseln, liegt die Vermutung – auch angesichts des darstellerischen Chaos’, nahe, dass man sich hierbei auch an den Büchern von Neil Gayman und der Filmserie “American Gods” orientiert hat, die weitaus agressiver und spannender, auch handlungs- und zielorientierter daherkommt. Brutal  und erbarmungslos agieren die Götter der Unterwelt gegen die verarmten, verelenden, einst so mächtig in ihren Mythen erstrahlenden Götter, die alle aufgerufen sind, sich unter dem Weltenbaum noch ein letztes Mal zusammenzufinden, um ihrem Untergang in einer geistig und moralisch verarmten Menschheit entgegenzusteuern. Ihr Held Siegfried, ein Halbgott, der sich zunächst opfern muß, um die in weiter Zukunft (am jüngsten Tag?) noch liegende Errettung zu verkünden, zieht als unwissender Wanderer durch die Vereinigten Staaten, begegnet den Menschen, die einst Götter waren – Sklaven, Huren, Zuhälter, Wucherer, Händler, schuldige Schuldner – , die seit der Eroberung der Neuen Welt  durch eine unersättliche, gewissenlose und ungläubige Zivilisation ihre magischen Fähigkeiten verloren und sich selbst ihrer Identität beraubt haben. Die Wucht dieses Epos wäre es wert gewesen, der Götter Dämmerung mit der Auflösung ihrer alten Verträge einen neuen Anfang zu bescheren und den Weg aus ihrem historischen Gefängnis zu weisen. Die Botschaft ist die Gleiche: Ein Weckruf zur Besinnung auf die alten Werte und Weisheiten, auf ihre Dynamik und ihren Auftrag, die ihnen anvertrauten Völker in ihren Schranken zu halten, könnten die globalen Wegweiser sein.  Man muß die alten Mythen und Märchen nicht entzaubern, denn sie bergen alle Weisheiten dieser Welt; aber der Sinn für dieses Erbe ist der Menschheit zunehmend verloren gegangen. A.C.

 

 

 

 

 

 

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