MIlchwald, HB

von Fritz Kater
Uraufführung
Theater am Goetheplatz, Bremen 2021
Regie: Armin Petra, Bühne: Julian Marbach, Kostüme: Annette Riedel, Musi: Jörg Kleemann; Video: Lin Klose, Cantufan Klose; Licht: Norman Plathe-Narr
mit: Delia:Lieke Hoppe; Dylan: Simon Zagah; Sylvester: Christian Freund; Benny: Ferdinand Lehmann; Frau Nieburg: Susanne Schrader; Laila: Fania Sorel; Somni: Caline Weber/Emira Mdiourat

Trostlos und verlassen, verängstigt und entmutigt

Der Milchwald ist ein ziemlich leerer Wald mit einem Bunker irgendwo zwischen Deutschland und Polen, wo sich die kleine Gruppe junger Bremer – Grenzgänger allemal -, aufhalten, um den Wächtern zu entgehen. Warum sie zwischen den Staaten hin- und herwechseln, bleibt zunächst offen; irgendwann geraten sie an eine Amtsperson, die aber gnädig mit ihnen verfährt und eigentlich nur wissen will, warum zum Beispiel Laila erst von Russland nach Deutschland, dann wieder zurück, und jetzt erneut von der Ukraine in die Bundesrepublik einreisen möchte. Des Terrors in ihrem Land wegen, sagt Laila; Der Kinder wegen, weil es ihnen im Westen besser geht, und der Vater sich verflüchtigt hat, sagt die Beamtin. Denn da hat man in den deutschen Akten Einiges festgehalten, und Laila wird Asyl verweigert.

Bei allen anderen Teilnehmern dieser zweistündigen Hysterienspiels bleibt das Motiv etwas unklar. Denn dass sie so wüten und zerstören und ihre Füße als Liebesbeweis ins Feuer halten, dass sie sich selbst massakrieren und ihre fragmentarischen Unterhaltungen, die eigentlich nur aus mehr und minder zusammenhanglosen Sätzen bestehen, im Nebulösen verhallen – gehört wohl zur Absicht des Autors. Das Programmheft gibt sich ebenos intellektuell wie kryptisch. Aber wer Armin Petras’ Arbeiten kennt, vielleicht sogar noch seine Berliner Anfänge am Maxim Gorki Theater, wo er einfallsreich und ausufernd seine Schauspieler sowohl körperlich wie psychisch herausforderte und sein Publikum nicht minder auf die Durchhalte-Probe stellte, weiß, dass er eben ein Grenzgänger der experimentellen Bühnendarstellung geblieben ist.

Seine kleine hanseatisch eingebürgerte Mannschaft, die ausgezogen ist, die abgewiesene Russin zurückzuholen, bewegt sich wahrscheinlich per Bus und zu Fuß oder auch mit der Bahn ins Grenzland Polesien, wo einst Hitlers Schergen herrschten, und damit ist auch der übliche Bezug zur Nazivergangenheit hergestellt. Eingebaut ist sogar ein alter Bunker aus Pappmasché, der nach und nach eingerissen wird, was eine ziemliche Schweinerei auf der Bühne hinterläßt. Die kleine Gruppe will also die Asylbewerberin Laila samt Kinderschar zurückholen und fällt dabei nicht nur einmal aus der Rolle und auf die Nase. Dann und wann bläst der weiße Bühnenebel über die Darsteller hinweg, die sich unter der Führung eines gewichtigen Bodybuilders in permanente Unannehmlichkeiten katapultieren. Aber solange mit Marx und Marcuse und Aristoteles  – auch Antiogone und Medea dienen als Wegbegleiter – ermutigend  argumentiert wird, ist wohl alles in Ordnung.

Na ja, eigentlich nicht; es grenzt schon sehr an den Versuch einer Psychadelic-Show mit Protagonisten, die sich mit unglaublichem Einsatz ins Spiel werfen. Dabei steht als schauspielerisches Beispiel die Grande Dame des kleinen Ensembles, Susanne Schrader, als Frau Nieburg (Tänzerin in jungen Jahren, Mutter und demente Greisin) für nunancierte, unaufgeregte und dennoch eindringliche Darstellung allen zur Verfügung. Und auch Christian Freund als bulliger und sensibler Bodybuilder Sylvester hat gelernt,  sorgfältig zu sprechen und Betroffenheit lautlos zu zeigen. Fania Sorel ist eine wirklich traurige Laila, stets den Tränen nahe, doch ungemein starrsinnig als es um ihren verschwundenen Ehemann geht, der des Terrorismus verdächtigt wird. Aber auf den begleitenden Videos schaut sie recht selbstbewußt und mit gepflegter Kinderschar zufrieden in die westdeutsche Wohnküche. Bleiben Lieke Hoppe als Delia, Simon Zigah als Dylan und Ferdinand Lehmann als Benny in ihren Rollen als intelligente  Multitalente, die aber eben diese leider verschwenden in heftigster turnerischer Verausgabung, kletternd, schreiend, gequält und verzweifelt.

Mehr verrät das Programmheft, das da sagt und schreibt: ein Stück voller Sprünge, Verdichtungen und Perspektivwechsel, das Menschen unserer Zeit und ihre polarisierenden Fragen portraitiert. A.C.

Viel Beifall dafür am Premierenabend.

 

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