Die Walküre, OL

Die Nibelungen, 2.Teil von Richard Wagner
Staatstheater Oldenburg, 2022
mit: Brünnhilde: Nany Weißbach, Wotan: Kihun Yoon, Siegmund: Zoltán Nyári, Sieglinde: Ann-Beth Solvang, Fricka: Melanie Lang, Hunding: Sami Luttinen, Helmwige: Joo-Ann Bitter, Gerhilde: Martyna Cyberman,  Ortlinde: Susanne Serfing, Waltraute: Maren Enbgelgardt, Roßweiße:  Hanna Larissa Naujocks,  Grumgerde: Sarah Alexandra Hudarew, Schwertleite:Maiju Vaahtoluoto; Oldenburiisches Staatsorchester, Leitung Hendrik Vestmannn; Oldenburgisches Staatsorchester; Inszenierung Üaul Esterhazy, Dramaturgie: Stephanie Twiehaus, Bühne &Kostüme: Mathis Neidhardt, Licht: Ernst Engel, Choreinstudierung: Thomas Bönisch

Ein genealogisches und pschologisches Drama

Sturm, Gewitter, Blitz und Donner und Dunkelheit; ein Wolfsrudel zieht per Videoeinspiel über die dunkle Bretterwand der Drehbühne, vom agressiven Dröhnen der Hörner begleitet; doch die Hatz, vor der die Tiere in wilder Panik fliehen, gilt nicht so sehr ihnen, sondern dem Menschen im Tier – Siegmund, dem Wölfling, dem Wälsungensprössling, dem Flüchtenden nach einem Kampf auf Leben und Tod. Mit letzer Kraft robbt er sich als fellbemanteltes Wesen in eine dunkle, fremde Waldhütte und bleibt ermattet auf dem Boden liegen. Das Orchester braust derweil mit wohlklingender Kraft; Streicher, Violinen, Bratschen, Violoncelli und Kontrabässe wühlen in Höchstzahl eine höchst dramatische Szene auf. Mörder auf Menschenjagd, ein einziges Toben und Wüten in einer von Naturgewalten durchtosten Nacht. Das hat schon mal was, und nicht wenige Zuschauer zucken ob dieses wilden Getöses zusammen.
Der zweite Teil der in Oldenburg in vier Abende aufgeteilten mythischen Sagenwelt um Liebe und Macht und Gold und Tod und Untergang der Götter ist von mächtiger Dynamik, spannend, aufwirbeln, beunruhigend. Anfang und Ende bleiben in lebhaftester Erinnerung; denn so wie das Unheil sich bereits ankündigt, sobald der Fremdling Siegmund in der Waldhütte auf seine vor langer Zeit entschwundene Zwillingschwester Sieglinde trifft und beide in großer Liebe zueinander entbrennen, so nimmt das irdische Drama seinen Lauf bis in die Götterhimmel hinein; denn Wotan ist an all dem natürlich nicht schuldlos. Aber sein Disput mit seiner Lieblingswalküre Brünnhilde, die er für immer und ewig auf den vom Feuer umloderten Felsen verbannen wird, zeigt eine weite Dimension von Verfehlungen und Feinheiten der menschlichen Psyche. Wie Wotan wütet und seinem Schwur treubleiben muß, wie er unter sich selbst und seiner Schuld leidet und sich windet, zeigt Kihun Yoon als ein gebrochener Gott! Der Unfreieste unter allen Kreaturen, wie er selbst erkennt. Wie Brunnhilde sich majestätisch überlegen in ihr Schicksal fügen und mit unglaublicher Verstandesklarheit die wirren Fäden ihres Vater-Tochter, Gott-Untertan-Problems entwirrt, ist eine psychotherapeutische und dramaturgische Meisterleistung, ganz abgesehen von der gesanglichen Herausforderung, die Nany Weisbach mit Bravour beherrscht. Dieser letzte lange Dialog, dieser Kampf um Leben und Überleben, um Schicksal und Bestimmung, Menschen und Götterwille – das versöhnt mit manchen Textkapriolen des großen Komponisten, dessen Talent nun wirklich nicht in einer verständlichen Sprachartistik liegt. 

Zurück zum wild-wütenden Geschehen in der nächtlich einsamen Waldhütte der Eheleute Hunding. Die Verfolger sind abgeschüttelt, und die Frau des Hauses robbt ebenfalls auf Knien, um ihren von der Menschen-Jagd heimkehrenden Mann eine unterwürfige Dienerin vorzutäuschen. Dass sie unter der Knute steht, weiß der rüde Ehemann (Sami Luttinen) nicht nur mit einem starken Bass zu beweisen, sondern auch noch durch seine unpassende Kleidung – Soldatenuniform samt Pistole – zu unterstreichen. Wie soll denn so das Duell später mit dem verfolgten Siegmund ausfallen, selbst wenn der Wotans Schwert unter assistierendem Motiv von Holzbläser, Basstrompete, Oboe und Englischhorn aus der Weltenesche zieht, die seltsamerweise direkt durch dies Haus gewachsen ist.  Wer sollte da wohl schneller an Ziel gelangen, würden nicht Brünnhilde und Wotan sich zunächst noch um Siegmunds Schutz bemühen…Aber der Gatte kommt ja nun ersteinmal nach Hause, ungünstig jedenfalls gerade in dem Moment, wo Siegmund und Sieglinde nicht nur ihre Zwillingsliebe erkannt haben, sondern auch die sexuelle zwischen Mann und Frau. Vertrackt, allemal, zudem sich das folgende Drama sowohl auf der Erde als auch in Walhall abspielen wird, zwischen wundersamen zarten Liebeswallungen und sehnsuchtiger Betörung der Harfen für das Motiv der Liebenden und dagegen auf höherer Ebene wütenden, tobenden Eifersuchts- und Wutanfällen zwischen Wotan und Fricka.  

Bleibt auch die Geschwisterliebe dem blindwütigen Hunding verborgen, so muß er dennoch das Duell anfordern, weil der Fremdling zwar sein Gastrecht erhalten muss, aber die Rache der Neidungen an dem Übeltäter keinen weiteren Aufschub verdient, ist er doch just der Gejagte, der in Sippenhaft hingerichtet werden sollte.
So endet die – wie alle anderen Szenen auch –  im Düsteren der Zwischenwelten und in nordischer Holzarchitektur;  die Liebesszene abrupt, allerdings unter heißblütig anschwellender tosender Musik, die dem Paar noch irgendwo ihre Vereinigung ermöglicht, damit der spätere Held Siegfried geboren und Brünnhilfe aus ihrem Feuergefängnis erlösen kann. (3.Teil!). Aber das ungleiche Duell zwischen Siegmund und Hunding  wird anderswo entschieden, nicht zwischen Pistole und Schwert, ohnehin lächerlich, sondern zwischen Wotan und Fricka. Was nun folgt ist eine herrliche Eheszene, wenn man denn Kampf und Keifen und Rechtfertigungen in dieser Form gutiert. Denn Fricka ist die Hüterin der Ehe und eine unerbittliche Kämpferin gegen Untreue, beim eigenen Gatten stets gegenwärtig, weil auch die Zwillinge  aus seiner Verbindung mit einer Menschenfrau gezeugt wurden, wie übrigens die ganze Schar der Walküren! Und es ist deshalb nicht nur der Inzest, den Fricka mit heftigsten Attacken gegen einen Schutz für Siegmund aufbringt, sondern die  Ehre der Gattin und die Glaubwürdigkeit der Ehe an sich stehen für sie auf dem Spiel. Und Wotan knickt ein, befiehlt seiner geliebten Tochter Brünnhilfe, den jungen Mann nicht mehr mittels des eigens hierfür in den Baumstamm gepflanzten Schwertes zu retten, sondern ab in das Krankenlager in Walhall zu überführen, wo bereits sehr drastisch ein im Bühnenbild immer wieder hervorgedrehtes Totenzimmer blutige Leichenzeigt, die für den großen Endkampf der Götter gegen all ihre Feinde konserviert werden. Das ist kein ästhetischer Anblick, auch die schönen Walküren mit ihren flehenden Bitten und Lamentos in höchsten Sopranen sind mit ihren blutbefleckten Schlachterschürzen keine Augenweide. Dass Walküren keine Engel sind, sondern harte, emotionslose Kriegerinnen, die das Heer Wotans verkörpern, sollte allseits bekannt sein. Und Brünnhilde ist die Oberste Feldherrin. Ausgerechnet sie aber erlebt nun Siegfrieds innigste Gefühle, die ihr eine bis dahin unbekannte Liebessehnsucht offenbaren. Und sie wird ihn allem Verbot entgegen dennoch zu retten versuchen und den Göttervater damit aufs Tiefste für Ewig und alle Zeiten verprellen. Was bleibt ihr zu tun übrig? Sie kann nur Sieglinde retten, in den Wald schicken, wo Wotan sie nicht suchen wird, weil dies das Reich der Riesen und Drachen ist. Und die bewachen das Rheingold…

So atemlos, wie sich die Geschichte über die Bühne drehen läßt, so atemlos verfolgt man dieses genealogische Durcheinander, mehr in Worten und Tönen als in Taten, weil alles sich in einer den Personen und Situationen  vielfältig emotions- und handlungsangepaßten, mitreißend variierenden Musiksprache entwickelt und dreieinhalb Stunden lang keine Sekunde Stillstand erlaubt.
Ein großer Opernabend, ein bemerkenswerter Einsatz starker, beweglicher, volltönender Stimmen von Brünnhilde, Fricka, Sieglinde und Siegmund, dem Gast aus Ungarn, der einem Oscar Matzerath die Stirn  bzw. Stimme bieten und alle Widersacher eigentlich zersingen könnte so wie er sprachlich die Luft, die er eigentlich zum Atmen brauchte, in schmetternde Töne verwandelt. So eine Stimmgewalt erlebte man hier bisher kaum. Allerdings bleiben die zärtlichen Momente ein bißchen auf der Strecke – wohl auch in archaischer Vorzeit nicht so üblich. Aber seine Liebe zu Sieglinde überzeugt letztlich auch Brünnhilde, mehr als ihr lieb ist und diese wird ja dann auch zu ihrem eigenmächtigen Handeln gegen Wotan und zu ihrem vorläufigen Untergang führen wird.
Aber das alles muss so sein, denn nun – 20 Jahre später –  kann Siegfried auftreten, und man wird nach diesen beiden Abenden sicher sein können, dass Spannung und Dynamik auch in der 3.Inszenierung garantiert sind. A.C.

 

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