Ein Oscar für Emily, B

Komödie von Folker Bohnet und Alexander Alexy

Renaissance Theater, Berlin, 2022

Regie: Peter Jordan und Leonhard Koppelmann, Bühne: Marianne Röhrbein, Kostüm: Ariane Warns, Dramaturgie: Joachim Flicker;
Emily White: Leslie Malton; Henry Porter: Felix von Manteuffel; Jeff Bloom: Jonas Minthe

Spiel des Lebens

Warum, so fragt man sich zunächst, fliegen die Bonmots so pfefferscharf von Frau zu Mann und von Mann zu Frau – warum ist da so viel Aggression hinter den scheinbar harmlosen Spitzen? Doch allmählich löst sich der Nebel: denn all die Bösartigkeiten, der schnellen Wortgefechte, die bei Emily wie bei John Wutanfälle, Trauerkaskaden und Verzweiflungsgesten auslösen, sind entliehen: aus ihrem Bühnenrepertoire, aus Stücken, die sie einst beide gemeinsam oder getrennt in Wunsch und Wirklichkeit erlebten und nun temperamentvoll memorieren, um sich ihre Ausstrahlung zu vergegenwärtigen. Und immer wieder folgt ein Happy End, eine Versöhnung, ein jähes Umschwenken in die Normaliät – oder meistens jedenfalls. In der kleinen, hübsch dekorierten Wohnung von Emily White und John Porter, zwei mittlerweile aus dem Berufleben ausgeschiedenen Schauspielern, findet aber nicht nur dies Memory Puzzle als ausbalanciertes Rollenspiel mit allen möglichen theatralischen Mitteln und Mätzchen statt – es ist auch eine Balance, die sich immer wieder zwischen dem Paar auspendelt, das mit heftigen Emotionen beginnt, die langsam verebben, so daß wohl ein Beifall eingesetzt werden könnte. Der findet aber auch nur imaginär, bis auf eine Ausnahme, in der Erinnerung statt.

Hinter den auf- und abschwellenden Monologen und Dialogen, die Lesli Malton, kapriziös in     ausgefallene Gewänder und theatralische Gesten gehüllt, mit köstlich exaltierten Divaallüren in ein unaufhörlich auf- und abschwellendes Emotionenskarussell verwandelt, scheint sich aber eine tiefe Sehnsucht, vielleicht ein verdrängter Verlust zu verbergen. Wenn sie dabei blitzschnell zwischen Trauer und Erschütterung wieder ins normale Tagesgeplauder zurückkehrt und ihren Henry erbarmunslos ins Gebet nimmt, hat Felix von Manteuffel einen wahrlich schweren Stand. Denn er wird von dieser quicklebendigen Evastochter ständig gefordert, kaum, dass er dazu kommt, seine Morgenzeitung nach gutbürgerlicher Manier endlich in Angriff zu nehmen oder sich auf den abendlichen Festakt vorzubereiten.

Emily scheint an diesem Tage besondern gut drauf: sie serviert Ophelia oder Medea und auch ein bißchen Goethe, und John muß beweisen, dass er noch immer topfit ist und ihr Florett parieren kann. Dabei fällt er immer wieder gern in seine Lieblingsrolle, Hamlet, zurück, und der Wettstreit, wer nun in diesem Stück besser war und ist, bleibt wohl für immer offen. Die großen tragischen Rollen sind Emilys Lieblingsauftritte, und Lesli Malton spielt sie alle mit großer Grandezza, hingegeben, leidenschaftlich, herausfordernd, doch immer mit glanzvollem Humor. John muß nicht nur reagieren und agieren, sondern auch, so ganz nebenbei sein Gedächtnis aufpolieren, dass so hin und wieder doch kleine Alltagslücken aufweist. Auch Emily ist da nicht so ganz frei von Lücken.
Man kann alles überspielen. Erstes Gebot gegen das Älterwerden – denn Stars werden niemals wirklich alt -: die Gedächtnismängel werden gnadenlos angegangen und aufgefrischt; Leidenschaftlich wird gespielt und mit Verve aufgewärmt, zuweilen auch siedenheiß serviert, Hysterie contra Sanftmut, und   Liebesbeteuerungen – echt oder nicht echt, auch das ist zuweilen die Frage – , folgen wie warme Duschen. Und man glaubt es dann doch, weil plötzlich die Bühnen von einst sich jetzt in eine einzige Lebensbühne von heute verwandeln, und alle Fehler und Fehltritte der Vergangenheit mit aufrichtiger Liebe zugedeckt werden. Jedenfalls vorerst. Irgendwann, vielleicht schon am nächsten Tag, in der nächsten Runde – Virginia Woolf läßt grüßen – werden sie wieder aufgefrischt, fortgespielt und fortgespült bis zur erneuten Versöhnung. Auch so können Szenen einer Ehe aussehen.

Das hinreißende Spiel der Beiden wird unterbrochen, nein, eigentlich fortgesetzt, als der nette junge Jeff vom Catering Service ihnen das tägliche Mittagsessen bringt und aufbaut. Er ist, wie sich bald herausstellt, eigentlich und immer noch der einzige Zuschauer und dritte Mitspieler, wenn die Beiden sich ihre Bälle zuwerfen – bis er plötzlich eine Frage in den Raum stellt, die abruptes, jähes, ungewohntes Schweigen auslöst. Wie festgenagelt harren die Beiden auf ihren Einsatz, für den ihnen aus ihrem Repertoire nichts einfällt. Aber wer gibt ihn, wer beendet die Antwort nach dem gemeinsamen Sohn, der ja auch in absentia ständiger Zankapfel zwischen Emiliy und John ist. Für Emily ist er ein toller Arzt in New York, für John erfolgreicher Anwalt in Philadelphia. Wo und was ist er wirklich? Der junge Mann, von Jonas Minthe einfühlsam gespielt und wie sich herausstellen wird, das nicht ohne Grund, möchte doch nun wissen, bitte ohne Theater, wo der Sohn wirklich ist. Und die Antwort erschüttert und bleibt bis nach der Pause unbeantwortet..

Es wäre kein gutes Stück, wenn es nicht mit Spannung und Intensität und neuer neuer Tiefe weiterginge. Und sich nach und nach das Lebensrätsel dieses seltsamen Paares enthüllte, auch ihre permanente Streitsucht, wenngleich in Bühnenrollen verpackt, offenbarte, was an ihrer Seele frißt. Und wie gut, dass dieser Jeff da ist und ihnen hilft, nach und nach wieder die Realität zu sehen. Bis zur Überreichung der großen Trophäe werden ihre Träume in eine Gegenwart angekommen sein, die für Emily und Henry nun zu einer ganz großen Kunst führt: der weisen Akzeptanz der ungeschminkten Wirklichkeit hinter der Fassade, die sie nun nicht mehr benötigen. Denn das reale Leben hat sie eingeholt und ihnen versöhnlich die Hand gereicht. Ein verdienter Oscar, nicht nur für Emily. A.C.

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