Iwanow, B

frei nach Anton Tschechow von Yana Ross (auch Regie und Direktion)
aus dem Russischen von Elina Finkel
Berliner Ensemble, Berlin, 2023
Dramaturgie: Karolin Trachte/Samuel Petit; Bühne/Kostüme: Bettina Meyer; Licht: Rainer Casper; Musik: Knut Jensen
mit Constanze Becker, Claude De Demo, Maximilian Diehle, Paul Hereig, Jonathan Kempf, Peter Moltzen, Veit Schubert, Zoe Valks, Amelie Willberg,Paul Zichner

Alles nur Netzroller

So ähnlich muß man sich den frühen Anton Tschechow wohl vorstellen; noch ist seine tiefe Schwermütigkeit, die er lebens- und leiderfahren seinen Protagonisten in späteren Werken stets unterlegt, noch nicht so ausgeprägt, sondern er versteckt sie in dieser Auftragskomödie recht suffisant unter der Oberfläche. Und Yana Ross, der neuen Regisseurin am BE, ist es hier gelungen, genau diesen raffinierten Unterschlag (Slize) auszukosten. Dafür hat sie brillante Schauspieler zur Seite, die diese Figurenpalette bestens garnieren, den rhetorischen Ballwechsel köstlich parieren, am Netz allerdings jämmerlich versagen. Netzrolle – So heißt sie nämlich, die Vereinsbar des Gütersloher Tennisclubs, in dem sich die chice, mit Tennisschlägern herumschwenkende und um sich selbst drehende, eng miteinander verbandelte Gesellschaft dreht. Ihre Mitglieder sehnen sich natürlich nicht nach Moskau, sondern vor allem nach Geld, Liebe, Paris und Berlin. Das ist an sich schon ein toller Gag angesichts des aktuellen Zustands der Bundeshauptstadt!

Dessen nicht genug. Denn diese Gesellschaft ist in die Gegenwart, und man glaubt es kaum, einfach so aus alten russischen Zewiten geschickt transferiert. Was unterscheidet die Menschen von damals und heute? In ihrer Sehnsucht nach Anerkennung, Wohlstand, Erfolg, einem bessern Leben, das sie aus ihrer Wohlstands-Langeweile und vom monitärem Mangel  erlöst? Aber dazu müßten sie sich ja bewegen, den Ball, der ihnen zugespielt wird, mit Geschick und Klugheit parieren und über die Hürde bringen. Netzroller plumpsen ohne Erfolg am Netz herunter und bewirken rein gar nichts, nur Minuspunkte.
Auch der nette kleine Tennislehrer Dirk (Paul Zichner) hat es eigentlich längst aufgegeben, der müden und matten Runde irgendeinen Schlag erfolgreich beizubringen. Ebenso erfolglos betet er die fesche  und vermögende junge Marta (Zoe Valk) an, die frisch aus Dubai in die fade Runde eingeflogen ist und sich dann doch für den viel älteren, nutz- und wirkungslos herumschlendernden, aber moralisch einigermaßen aufrechten und suffisanten Grafen Matthias (Veit Schubert macht aus dem Grafen eine eindrucksvolle, aber auch –  entsprechend allen Menschen in Tchechows Dramen  – eine bemitleidenswerte Persönlichkeit!)), speziell für seinen Titel entscheidet. Und rührend wie bei allen, wird sie dann ihre aufkeimende Liebe für Dirk (Kossych) schmerzvoll beiseiteschieben. Der Titel siegt. Und wieder finden drei Menschen ganz gewiß nicht in ihr Glück.
Wie auch die fesche, frühreife Sascha (Amelie Willberg als unglaublich harmloses Luder)  den energielosen Iwanow mit sexbesessenen, eigens verfassten Geschichten immerhin soweit in Rage bringt, dass er sie begehrt und nach dem Tod seiner schwerkranken Frau Sascha heiraten möchte – diesen wohl unbewußt herbeisehnend, um aus dem Gefängnis der Tatenlosigkeit herauszubrechen.. Aber irgendwie streiten sich in ihm alle Emotionen. Peter Moltzen verkörpert dessen Trägheit und fatale Entschlusslosigkeit ebenso ergreifend wie komisch. Die unterschwellig angelegte Gesellschaftssatire macht sich Luft und erlöst ihn von der unerträglichen Müdigkeit des Seins. Wie durchgängig Witz und Komik Takt und Inhalt bestimmen.
Dem um Durchblick bemühten Alkoholiker Lebedew, den Paul Herwig mit Verve in allen Nunancen durchspielt, gelingt es aber auch nicht, die tatenlose Gesellschaft aufzumischen. Keiner will und kann bezahlen, ständig muß er sich um ihrer Schulden willen erniedrigen. Seine Frau Stina, (Claude de Demo), die ihre Wut mit aufbrausendem Temperment nutz- und ergebnislos in die Runde schleudert, kann weder die Trunksucht ihres Mannes, noch das ausstehende Geld eintreiben, noch das Scheitern der Hochzeit verhindern. Es ist alles ein Scherbenhaufen.
Die arme Sarah erscheint auch nach ihrem Tode leidend dem hilflosen Iwanow, doch Constanze Becker hat auch post mortem keine Chance, die matten Menschen an Moral und Anstand zu erinnern. Denn auch Dr. Jürgen Lwow (Jonathan Kempf) als entschlussloser und scheuer Doktor konnte sie weder heilen noch ihr seine Liebe gestehen und ihr Leiden dadurch ein wenig lindern.
Und was treibt der ewig geldknappe Jüngling Michael (Borkin), dessen Vater- Iwanow – ihn weder finanziell noch moralisch noch in Sachen Lebenstüchtigkeit unterstützen kann? Er lungert herum, klopft kluge Sprüche und wird so auf keinen Fall etwas mit seinem Leben anfangen können. Maximilian Diehle ist dieser herrlich flapsige, langmähnige, alle überragende Junkie.

Dass alles so passend mit treffender Komik angefüllt ist, stößt bei den leider mehr auf scharfen Witz abbonnierten Berlinern natürlich auf Granit. Schade drum. Aber wer die Feinsinnigkeit des nordischen und englischen Humors liebt und den absurden Sarkasmus auch als kritische Aufforderung sieht, die darin verborgene Kritik an den Zeitgeist zu verstehen und nicht als Angriff auf das hehre Genre des Dramas, wird dieser inszenierung und Tchechows Intention mit Lust und Freude folgen.   A.C.

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