Pique Dame, B

von Peter Tchaikowski nach der gleichnamigen Erzählung  von Alexander Puschkin Uraufführung 19.12.1890 in St. Petersburg

Komische Oper Berlin

Arm am Beutel,krank am Herzen

Wer das gewohnt außerordentlich ansprechende und informative Programmheft zu dieser Inszenierung aufmerksam studiert, wird nicht umhin können, Absicht und Wirkung miteinander zu vergleichen – und – auch das ist nicht neu – erstaunt registrieren, wie weit die Intention der Bearbeitung von dem Erscheinungsbild entfernt ist.

Da sitzen in einem lang gestreckten Raum, dessen Interieur an das postmoderne, kapitalistische Russland angepasst sein soll – in eher düsterer Hotelfoyer-Atmosphäre- einige Männer kartenspielend an einem der Seitentische, während den Raum auf der rechten Seite   Bahnhofsgaststätten-Bestuhlung, auf der linken Seite geschmacklose 50erJahre-Polstermöblierung ausgestalten. Im Hintergrund weisen drei Spiegeltüren zu den Aufzügen des Casino-Hotels, das als Dauergäste eine feierfrohe Partygesellschaft zu beherbergen scheint. Vor allem aber sind diese Türen zum einen für die beiden die Oper tragenden Frauen – die alte Gräfin und ihre nicht mehr ganz so junge Adoptivtochter Lisa – gedacht, die weihe- und würdevoll in glitzernden Roben den eher tristen Spielsalon aufsuchen, um hier Lisas Verlobung mit dem Grafen Tomski zu feiern und die Gratulationen in gewohnt russischer Langeweile entgegenzunehmen.

Inmitten dieser in Flitterfummel gekleideten Animiermädchen, die eigentlich wohl die Damen der neuen Geldaristokratie darstellen sollen, irrt im flatterndem Trenchcoat – nein, nicht der skurrile US-Detektiv Colombo alias Peter Falk -, sondern der deutsche Ingenieur Hermann herum, von dem die Regie annimmt, dass Tchaikowsky meinte, der sich wiederum Puschkins bedient, so sehe wohl ein typischer deutscher Techniker aus: langweilig, ordentlich, unentschlossen in Liebesdingen, verwirrt, arm am Beutel und krank am Herzen.

Aber dieser Hermann, der eigentlich überhaupt nicht daran denkt, sich dem Glücksspiel zuzuwenden, schwelgt zunächst in einer platonischen Liebesglut, mit der er die für ihn unerreichbare Lisa verehrt. Es ist der Rausch einer imaginären Lust, der ihn zunächst vollauf zufrieden stellt, und auch seine Karten mischenden und kräftig zechenden Freunde können ihn mit ihren gutmütigen Neckereien zunächst nicht aus seiner somnambulen Welt in die Realität locken.

Doch als die Schöne stracks vor ihm erscheint und ihm auch ihre Gefühle unmissverständlich offenbart, ist es mit der Contenance um den armen Hermann geschehen, und er läßt sich in einen fatalen Schicksalsstrudel hineinreißen, der viele Menschen das Leben kosten wird.

Wie gesagt, das alte und immer wieder neue Opernthema: Liebe, Leidenschaft und Tod, gebündelt in einem melancholischen, typisch russischen Melodram, in dessen Mittelpunkt die unerfüllte und unerfüllbare Liebe zwischen einem gesellschaftlich ungleichen Paar steht, gehört zu den machtvollsten Opernkompositionen Tschaikowskys. Jedoch die Geschichte um die geheimnisvolle Vergangenheit der Gräfin, in ihrer Jugend eine fanatische Spielerin, die in früheren Pariser Zeiten im Zentrum der Pariser Gesellschaft stand, hat hier Gleichrangigkeit. Denn ihre Kartenkombination, die den Erfolg des Spiels garantiert, und das sie einst von einem mysteriösen Freund erhielt, versucht Hermann nun zu erforschen, um mit genügend Geld Lisa ein ebenbürtiger Ehemann sein zu können. Doch die störrische Gräfin gibt ihr Geheimnis nicht preis. Bei Hermanns rigoroser Befragung erliegt sie einem Herzinfarkt. Aber Hermann hat Träume und Visionen, und diese verraten ihm die gewinnversprechende Kartenkombination – bis er einen Tages alles Geld auf die falsche Karte setzt, die er – im Programmheft äußert sich eine Psychologin eingehend über das Phänomen der ” Freud’schen Fehlleistung” –  unwissentlich zieht. Das Spiel ist aus, Lisa scheint verloren, das Leben ohne weiteren Sinn.

Doch -in dieser eigentlich tiefsinnig durchdachten Inszenierung von Thilo Reinhardt und in der Besetzung mit Kor-Jan Dusseljee als herumirrender und verwirrter Hermann und Orla Boylan als die vor Liebe und Leidenschaft glühende Lisa sowie Anja Silja als unnahbar- aristokratische alte Dame von Welt, die längst einer anderen Zeit angehört, will die Rührung nicht richtig rüberkommen; obwohl sich in dem wohlstimmigen, artikulationsreichen Tenor von Kor-Jan Dusseljee schon Hermanns tiefe Qual und sein bejammernswerter Zustand des aufkommenden Wahnsinn bereits deutlich widerspiegeln als er die wehrlose Gräfin tätlich angreift und sich Lisa mehr zwingend als verführend zu eigen macht.
Es ist alles ein wenig zu gewalttätig und düster – unheilvoll zeigt sich die Sucht, die den Verstand zerfrisst, in der wilden Ästhetik der instrumentalen Zuordnung! Dazu läßt das Orchester unter der Leitung von Alexander Vedernikov die Pein der zur falschen Wahrnehmung und blinden Obsession verdammten Menschen in der russischen Melodramatik zuweilen ziemlich isoliert. Die rabiate und teilweise groteske Inszenierung gewinnt stellenweise die Führung; nur einmal – trotz der sinnbildlich verfehlten Hinweise auf das Hammer- und Sichel-Emblem des kommunistischen Sowjetreiches  – hat man im rokoko-sanften Liebespiel einer Schauspieltruppe die Assoziation eines spannungsgeladenen Einschubs, der dann allerdings die existenzielle Entscheidung zwischen Geld und Liebe nur in lächerlicher Weise besingt. Denn diese musikalische Zärtlichkeit und Innigkeit, so soll wohl deutlich werden – gehört einer alten, längst vergangenen Leichtigkeit an. In der Moderne rollt der harte Rubel. Mozart ist out.

 Eigentlich ist Pique Dame ein von Leidenschaft erfülltes, spannendes Musikdrama, dem man hier mit sicher eingesetztem kräftigen Stimmpotential durchaus Rechenschaft trägt, aber diese Inszenierung hat einfach keinen Charme, sie ist weder unheimlich noch milieutypisch. Die einzige, die uns als Opern-Schauspielerin wirklich einige Momente der Bewunderung und Faszination beschert, ist Anja Silja. Wie schön, dass ihre Kunst noch hin und wieder auf der Bühne zu bewundern ist. A.C.

 

 

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