Doctor Atomic, HB

Oper in zwei Akten von John Adams, Libretto von Peter Sellars
Uraufführung am 1.Oktober 2005, San Francisco Opera
Theater am Goetheplatz, 2023, Bremen
Bremer Philharmoniker – musikalische Leitung: Stefan Klingele, Regie: Frank Hilbrich, Dramaturgie: Frederike Krüger, Bühne: Volker Thiele, Kostüme: Gabriele Rupprecht, Video: Ruth Stofer, Licht: Christian Kemmetmüller, Choreografische Mitarbeit: Jacqueline Davenport, Chor: Noori Cho/Alice Meregaglia; Statisterie des Theater Bremen .

Robert Oppenheimer: Michal Partyka; Kitty Oppenheimer: Nadine Lehner; General Leslie Groves: Elias Gyunkseok Han; Edward Teller: Hidenori Inoue; Robert R. Wilson: Oliver Sewell/Stefan Hahn; Jack Hubbard: Christoph Heinrich, Captain James Nolan: Wolfgang von Borries, Pasqualita: Constanze Jader.

Götterdämmerung

Die Geister, die sie gerufen haben, werden wir nun nie wieder los. Hätten sich Wissenschaftler und Politiker je nach den Erkenntnissen der Weisheit und Weitsicht der Dichter und Denker gerichtet – dann wäre der Welt viel Unheil erspart geblieben.

Doch der faustische Mephisto als Antrieb und inkarnation allen forschenden und poltischen Ehrgeizes packt sich den eher in weltlichen Angelegenheiten hilflosen amerikanischen Wissenschaftlicher Robert Oppenheimer, der dem Auftrag nicht widerstehen kann, das große Manhattan-Projekt in der Los Alamos-Wüste als organisatorischer und wissenschaftlicher Leiter zu übernehmen; und damit die Atombombe weiter zu entwickeln um, seinem Wunschdenken entsprechend, mit dieser diabolischen Warnung jedwede weiteren Kriege der Menschheit zu verhindern. Und so wird die furchtbarste Waffe der Menschheit  am 16.Juli 1945 als Versuch gestartet  – und kurze Zeit später entgegen vielen moralisch fundierten Argumenten seitens der an der Entwicklung beteiligten Wissenschaftler gegen Japan eingesetzt,

Robert Oppenheimer steuert ein kleines Camp, eine Mannschaft von 2000 Mitarbeitern und ihren Familien in Los Alamos, in der Wüste von Neu Mexiko, um an 16. Juli 1945  die erste Atombombe zu testen;  der Termin ist vom Pentagon festgesetzt, aus Sorge, die Deutschen könnten ihnen zuvorkommen. Denn dort arbeitet der ebenso fähige Wissenschaftler Heisenberg an der nuklearen Vernichtungswaffe. Hier beginnt die Inszenierung: Das Team ist  noch nicht soweit, weder psychisch noch physisch noch mit letzter technischer Sicherheit ; die Männer stehen unter starkem Druck, zeitlich und moralisch. Vor allem ihr Chef, Julius Robert Oppenheimer, der in seiner Naivität ebenfalls an forderster Front aller Kollegen in Europa wie in Amerika steht: die Bombe soll lediglich abschrecken, aber das Ausmaß ihrer Kraft, die Katastrophe, die sie in sich trägt, wird verdrängt. Erst als der Testversuch erfolgt ist, wird man sich der Tragödie bewußt, die jetzt auf sie alle zukommen wird-  Teller und Wilson bestreiten die Notwendigkeit eines Ensatzes der Bombe, nun, zumal Deutschland bereits besiegt ist. Leo Szilard fordert im Namen der Kollegen, die poltisch-moralische Verantwortung  zu übernehmen. Doch Oppenheimer lehnt ab, die Verantwortung liege bei den Poltikern in Washington, bei Präsident Truman. Er plädiert aber dafür, man solle  jetzt mit Japan in Verhandlung trefen und die dort stationierten Männer abziehen.

Das Orchester spielt diesmal auf der rückwärtigen verdunkelten Bühne, davor agieren die Sänger vor den Zuschauern, abgetrennt teilweise durch einen durchsichtigen Vorhang, durch den nur die vielen Pultlämpchen wie Sterne funkeln, der Himmel könnte so nah sein…. Davor, auf dem Orchestergraben, schwebt ein durchsichtiger Wohnkasten hoch und runter, in dem die drei Physiker: Oppenheimer, Teller und Wilson in großer Anspannung mit dem drängenden und drohenden General Groves ( unnachgiebig wie auch im Film Tom Hanks nachdenklich, entgegenkommend, auch er unter dem Zwang des Gehorsams sichtbar leidend) über mögliche Verschiebung des Testtermins diskutieren. Sie können und wollen den genauen Zeitpunkt nicht vorhersagen, weil ein drohendes Unwetter verheerende Ausiwrkungen auf die gesamte Technik haben könnte. Doch das Pentagon drängt, um den Krieg in Japan schnellsten zu beenden. Am 6. August schon wird die erste Bombe über Hiroshima abgeworfen.

In welcher Not sich die Physiker befinden, wird in der dramatisch drängenden Stimmführung des Komponisten spür- und hörbar. Die kämpferische Stimmung der hart argumentierenden Wissenschaftler verhindern jeden Gedanken an eine gemütliche Zusammenkunft. Oppenheimer, von Muchal Partyka mit kräftiger Leidenschaft versehen, kämpft nicht nur um organisatorische Glaubwürdigkeit, sondern sieht  auch die schreckliche Wahrheit, die sich in der fortgeschrittenen Entwicklung der nuklearen Bombe immer deutlicher zeigt: eine solche Vernichtungswaffe wäre doch angesichts der deutschen Kapitulation gar nicht mehr von Nöten…das aber spricht wider den Kommerz: Milliarden von Dollars sind investiert und müssen sich den Abgeordneten im Ergebnis zeigen. Ein schnelles, strahlendes, vernichtendes Ergebnis muß her…

Dass die Maske die Protagonisten mit künstlichen, geschniegelten Perücken und bizarrem starren Gesicht ausgestattet hat, zeigt zum Einen die marionettenhafte Führung einer nicht mehr frei agierenden und forschenden Wissenschaft, die sich dem faustischen Wahn der letzten Wahrheit verschrieben hat, und zum anderen das einengende psychische Gefängnis, in dem sich ein jeder der Forscher befindet; es gibt für ihre Genialität, ihr Spüren, ihr Experimentieren, ihren Erfolg keinen Ausweg mehr, kein Zurück zum Ahnungslosen, keine Unschuldserklärung. Und auch keinen Kontakt zur realen Außenwelt. Alle Mitarbeiter sind samt ihren Familien eingeschlossen in der Wüste, damit kein Sterbenswörtchen der Forschungsergebnisse nach außen dringt (Dennoch wurde Verrat begangen; einer der Mitarbeiter hatte engen Kontakt zu Russland, nicht Oppenheimer, wie ihm später vorgeworfen wurde).

Selbst Angst und Trauer von Kitty Oppenheimer, von Nadine Lehner sehnsuchtsvoll und kämpferisch mit exaltiertem Habitus eindringlich in allen Tonlagen vorgeführt, dringen nicht in die Geheimniszelle ein zu ihrem Mann, aber ihre Verbundenheit zetgt sich in der Poesie, die in ihre beiden, zeitweilig atonalen Gesangs- und Klangbilder von beinahe kryptisch-visionärer Dichtkunst (Beaudelaire und John Donne) in Sphären dringen, die sich so schnell nicht erschließen. Aber es wird deutlich, wie sehr der Librettist und Schriftsteller Peter Sellar die – der Wissenschaft übergeordnete  – weibliche Spiritualität und Sensibilität der Frauen, wie auch die der indigenen Freundin von Kitty, mit Mut und Zuversicht versieht.

Robert Oppenheimer, eher ein Faust als ein Prometheus des 20. Jahrhundert, hat mitsamti seiner Kollegen in aller Welt für die Menschheit mehr als nur ein wärmendes Feuer entzündet, sondern mit einer unbeschreibbaren Macht kleinster Materie künftigen Potentaten die Möglichkeit in die Hand gegeben hat, die Welt zu vernichten. (In der zum Teil sehr realitischen Verfilmung dieses Dramas trifft Oppenheimer auf Albert Einstein bei einem frühen Forschungsaufenthalt in Deutschland, und wird von diesem mit der Warnung überrascht, dass er die Möglichkeit in den Händen  halte, die ganze Welt zu entzünden.

Es ist dieser Konflikt, der durch die Musik zieht und den Sängern ein hohes Maß an musikalischer Variationsfähigkeit abverlangt, ob sie gegen den Käfig und damit auch gegen den unbequemen General ansingen müssen, der sogar das Wetter befehligen will, um seinen Auftrag gegen alle Moral und Vernunft zu erfüllen. Außerhalb begegnen sich dann Jack Hubbard, der auf glühenden Kohlen die Entwicklung der Gewitterfront verfolgt und Captein James Nolan, der die Wetterfronten im inneren Kern der Männer auszutarieren versucht. Nicht ganz gelingt dies, jedenfalls nicht in diesem schweren Moment, wo alles auf denTest hinfiebert, um zu registrieren, dass der Physiker Edward Teller unter der Dominanz von Oppenheimer versucht, sich zu positionieren. Edward wird später, als Oppenheimer der Prozess unter Senator Joseph McCarthy als langjähriger aktiver Kommunist gemacht werden wird, zu dessen seelischer Vernichtung beitragen. Noch aber sitzen alle in einem Boot, gefoltert von der ungeheuren Anspannung, die sich in dröhnenden Schlägen, grausiger Zeitmarter der Uhren und wirbelnden Paukenwirbel entlädt, die dann in einer unheimlichen Stille mit zarten Harfenklängen, Celesta und verhallenden Gongschlägen langsam verlischen, während der vorzügliche agierende und singende Chor in stampfende Rhythmen aus dem Bhagavad Gita- Epos intoniert, das ja mehrere Wellen irdischer Weltenvernichtungen in der indischen Klassik philosophisch verdichtet. Grelle Scheinwerfer erzeugen Angst und HIlflosigkeit. Ein Frauenstimme wiederholt  japanische Sätze einer Überlebenden aus Hiroshima. Das ist dramatisch eindringlich dosiert..

Heftigster Beifall für die erste Premiere zum Saisonauftakt! A.C.

 

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