Flight, OL

Opernkomödie in drei Akten

Libretto von April de Angelis
Musik von Jonathan Dove

Urauführung Glyndebourne, 24.9.1998

Oldenburgisches Staatstheater, 2023

Musikalische Leitung: Vito Christofaro, Oldenburgisches Staatsorchester; Regie&Bühne&Kostüme: Kobie van Rensburg; Dramaturgie: Stephanie Twiehaus, Licht: Steffi Flächsenhaar – Statisterie des Ol.Staatstheaters.

mit: Nicolas Tamage (als Gast): Refugee; Martha Eason: Controller; Melanie Lang:  Older Woman, Paola Leoci: Tina; Gabe Clarke: Bill; Hanna Larissa Naujoks: Stewardess; Stephen K.Foster: Steward; KS Brady: Minskman; Ann-Beth Solvang: Minskwoman; Joao Fernandes: Immigration Officer

 

Alles fliegt…

Welch köstliche Inszenierung, verwirrend und unheimlich, spannend  und spaßig, aufregend! Was für Stimmen! Schneidend, wütend, werbend, zärtlich, gewaltig, fordernd, mitleiderreigend, stürmisch und dynamisch!
Und was für eine Musik! So viele Stilmittel, soviel Variationen, solch eine temperamentvoll flukturierende Breite von Einflüssen der Moderne, von Briten bis Glass und Jazz- wie barocken Elementen, die die Harfe festhält. Phantastereien passend zum Sujet – wenn Donner und Blitze urgewaltig herabfegen, das Unwetter draußen und drinnen entflammt wütet, die Liebe schwankt und doch letztlich das Leben sich seine Bahn bricht, und die Instrumente endlich in vollerTonalität schwelgen können!

Alles fliegt. Auch die Worte, die Buchstaben flattern einzeln  auf die Leinwand, setzen sich zu Wörtern, Sätzen zusammen und flattern wieder fort ins Nichts. Einmal gesagt, und schon verflogen. Wie viel wird gesagt und nicht gesagt- was verschwiegen und was wäre besser ungesagt geblieben? Auch die Bilder, die auf die Leinwand gebannt werden und den Fortlauf auf dem Flughafen und am HImmel in schnellem Wechsel heranholen, sind fantastisch. Ein tolles Erlebnis – diese Inszenierung.

Drei Stunden modernes Musktheater, das sich in aller Welt seit seiner Uraufführung zu den Festspielen im berühmten englischen Glyndebourne 1998 auf zahlreichen internationalen Bühnen seinen Platz eroberte; ein Kunstgenuß eigener Art, vital und mitreißend – man muß sich während der dreistündigen Aufführung nicht eine Minute langweilen. Und das ist letztlich für jede Inszenierung das einzig wichtige Kriterium. Das Libretto ist nicht so gänzlich erfunden, sondern ist der Autorin April de Angelis in einer Zeitungsnotiz beinahe vom Himmel gefallen, die von einem staatenlosen Iraner berichtete, der seit 1988 (bis 2005) auf dem Pariser FLughafen lebte, und dessen Schicksal mit Tom Hanks verfílmt und als Inspiration von Jonathan Dove für sein Werk übernommen wurde.

Im leeren Flughafen treffen nach die Menschen ein, die jemanden erwarten oder selber abfliegen wollen: ein junges Paar, dass seine ermüdete Liebe im Urlaub wiederbeleben möchte, eine attraktive Dame mittleren Alters, die auf ihre sehr viel jüngere Urlaubsbekanntschaft wartet, voller Zweifel, ob der Altersunterschied nicht doch zu groß ist, ein Diplomat mit seiner schwangeren Gattin, der in Minsk einen neuen Posten antreten soll und voller Zuversicht ist, während seine Frau dagegen voller Zweifel angstvoll in die Zukunft sieht. Ein Steward und eine Stewardess, die die Abreisenden betreuen sollen,  aber mit sich selbst in frischer Leidenschaft vollauf beschäftigt sind – und ein geflüchteter Mann, der im Flughafen eine heimliche Bleibe gefunden hat sowie eine menschenfeindliche Controllerin im Tower, die um das Geheimnis des Fremden weiß und ihn nicht mit anderen teilen möchte.
Die teils dramatischen und irrwitzigen Veränderungen und Erlebnisse zwischen und mit diesen Menschen sind das plaudernde Thema während der bangen Wartezeit, die, vom Unwetter bestimmt, sich diffus auf die Reisenden überträgt, als ob die Elektrizität in der luft und die von dem Fremden versprochene spirituelle Kraft seiner magischen Steinsammlung sich tatsächlich auf die Psyche aller überträgt.

Der Geflüchtete wird von Nikolas Tamaga mit einem bezwingenden Countertenor mit fortwährender Frische durch eine lange, für die Sänger sicher strapaziöse Aufführung getragen, flexibel und eindringlich intoniert  und  gespielt. Sein stimmlicher Gegenpart  ist die “Königin der Nacht”, Martha Eason als dramatisch eifersüchtige Mozartversion, die die Luft in höchsten Tonen durchschneidet und auf die verlassen und veloren wirkenden Fluggäste die Verzögerungen und Unwettervorhersage hämisch herabschmettert, stimmlich und mimisch auf der Leinwand groß und übergroß präsent.  Erst als alle Unstimmigkeiten und Probleme unter den Reisenden gelöst sind, kann auch sie sich von ihrer Aggressivität befreien, denn nun gehört der fremde Mann in der Halle wieder ihr allein.

Das Wetter wie auch die angepaßten persönlichen Divergenzen werden stilistisch mit Verve von dem vorzüglich agierenden Orchester kongruent mit Anleihen an Mozart, Rossini oder Verdis Fallstaff ebenso wie an den minimalistischen Philip Glass und lyrischen Benjamin Britten erinnernd verquickt, bestens erläuitert im ausgezeichneten Programmheft der Dramaturgen.

Schräg und komisch, ohne Gefühlsduselei, doch mit einfühlsamer Sympathie für die Wirrungen des Lebens, gibt die Oper allen Protagonisten die Möglichkeit ihrer schauspielerischen und gesanglichen Individualität. Eine satirische Opernkomödie, allerdings “very britisch”, wie ein Kriitker sie charakterisierte. Begeisterter Applaus in Oldenburg! A.C.

 

 

 

 

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