Die Dreigroschenoper, HB

von Berthold Brecht
Musik Kurt Weill, Uraufführung 31.8.1928

Theater am Goetheplatz, Bremen, Wiederaufnahme 2023

Regie: Klaus Schumacher, Musikalische Leitung: Tobias Vethake, Dramaturgie: Regula Schröters, Bühne: Katrin Plözky, Kostüme: Karen Simon, Licht: Christian Kemmetmüller
mit: Annemaaike Bakker /Polly, Martin Baum/Tiger Brown, Guido Gallmann/Bettlerchef Mr.Peachum, Susanne Schrader/ Mrs. Peachum, Martin Baum / Tiger Brown, Simon Zigah /Mackie Messer, Irene Kleinschmidt/Jenny, Karin Ensler als Lucy,  Alexander Swoboda /Filch, Siegfried W. Maschek/Moritatensänger/ Smith, Platte / Huren: Judith Goldberg, Lisa Guth, Irene Kleinschmidt, Siegfried W. Maschek, Alexander Swoboda
Band: Romy Camerun, Andy Einhorn, Daniel Gaiser, Oliver Helmert, Chris Lüers, Matthias Schinkopf, Stefan Ulrich, Tobias Vethake

Die Moritat von Meckie Messer

Eine Mixtur aus Moritat, Comedy, Comedia dell` Arte, Polit-Satire, ein bißchen Kasperltheater a la Otto Walkes oder doch Opera Buffa – von allem eine gute Portion, viel Bewegung, hingebungsvolle Gesangspartien, teils zu schön, um Slumelend und Mordgesellen zu karikieren, dann aber doch wieder frech und friviol á la Brecht. vor allem Susanne Schrader singt und spielt wirklich so schrill als ob  ihre Wut direkt aus der Gosse käme: Als Xanthippe und Peachums bessere Hälfte – doch Pack schlägt sich – Pack (v)erträgt sich. Vor allem, wenn es um das Unschuldslamm Polly geht, die sich dem Mordsbuben Mackie an den Hals geworden hat, dem Oberschurken der Londoner Ganovenvereinigung und bestem Freund von Poiizeichef Tiger Brown, den Hans Baumann als zappeligen Hanswurst mit wirren Worten und abstruser Haartracht über die Bühne hoppeln läßt. Die ist schräg  konstruiert, von Fallstricken im Londoner Nebel festgehalten, also ziemlich heikel für all die skurrilen Gestalten, ob Bettler, Huren oder Mordgesellen – sie alle fallen, rutschen, schlagen sich mehr schlecht als recht durch die nächtliche Unterwelt.

Aber alles hat seine Zeit, und so beginnt auch das unverwüstliche Spektakel um die berühmte Bettleroper, einst größter Theater- und Kassenerfolg in der Weimarer Republik, mit dem schrecklichen Elend der Armen, die, vom Kapitalismus genauso wie von ihrhsgleichen in neuer Hierarchie ausgebeutet und erniedrigt werden. Denn Mr.Jonathan Peachum ist zwar ein friedfertiger, aber doch ein harter Ganove, der die Außenseiter der Gesellschaft für einen Hungerlohn auf die Straße schickt. Aber das ist nun einmal so bei Brecht und Co.: man ist gar nicht so richtig ergriffen oder erbost über Ganovenmoral und Kapitalismuskritik, sondern vielmehr amüsiert, freut sich über die finsteren Gestalten und über die fetzigen Songs, die von Annemarie Bakkers Polly so lieblich und schön in den nächtlichen Himmel gesungen werden, dass man dem verliebten Mädchen seine hingebungsvolle Naivität gar zu gerne glauben möchte. Denn dieser Mackie Messer ist ja mit dem schwergewichtigen Simon Zighar ein  mächtiger Anführer, von dem man nicht so gerne durch die Luft geschleudert werden möchte… Doch die Damen seines Milleus lieben ihn, und sind gerne bereit, sich um seinetwillen gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Polly ist zur Zeit die Favoritin, Susanne Schrader als Spelunken-Jenny  und Karin Ensler als kreischende Lucie parieren ihre Rolle dafür mit beängstigendem Unterwelt-Charme und schmissigen Ohrwürmern. Ihr Zickenkrieg um den beinahe schon am Strick baumelnden Liebhaber bleibt etwa harmlos.

Berthold Brecht hat für die Dreigroschenoper u.a. Lieder von Francois Villon entlehnt (und dafür Strafe zahlen müssen), wurde von Rudyard Kiplings Ballade “Screw-Guns” zum Kanonensong inspiriert, und später, nach vielen desaströsen Inszenierungsversuchen, kurz vor der Premiere, schrieb noch Karl Kraus eine zweite Strophe zum “Eifersuchtsduett”, angeblich für ein erwartungsvolles Publikum. Zunächst war diese sogenannte Bettleroper, die “Beggar’s Opera” von John Gray (Text) und Johann Christoph Pepusch (Musik) aus dem Jahre 1728  als ein Stück mit Musik in neun Bildern gedacht bis Brecht sie in der Übersetzung von Elisabeth Hauptmann übernahm und weiter in ein politisch engagiertes Theaterstück mit 22 Gesangsnummern umgestaltete, nun nicht mehr für Opernsänger, sondern für singende Schauspieler mit 22 Liedern.

Aber gerade deshalb oder dennoch entstand ein großes und großartiges Musical, das mit heftigen Bildern und hämmernder wie ebenso zarter Musik betören und begeistern könnte, wenn es nicht immer wieder die Regisseure zu eigenen Weltanschauungs-Umdeutungen verleiten   und das Geschehen mit zuviel Bewegungsabläufen unterfüttern würde, um aktuelle politische Ansätze oder zeitnahe Vergleiche zu erzielen. Das geht zuweilen auf Kosten der überrraschenden Effekte, der immer wieder neu eingestreuten Situationskomik und der musikalisch-spielerischen Balance. Warum übrigens, so fragt  man sich hier, tragen die Bettler und Landstreicher, Verbrecher und Erotikdienerinnen so überaus häßliche Kleidung, die kein Bettler je tragen würde, oder kann man sich Männer und Frauen außerhalb des Theaters etwa in Unterwäsche auf den Trottoirs der Weltstädte vorstellen…

Herzlicher Beifall für die schauspierlische Darstellung, für die songs, die noch viele Generationen begeistern werden, vor allem aber für die vorzüglich spielende Band, die damit natürlich die schönsten Akzente setzte. A.C.

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