Verführung, B

von Lukas Bärfuss
Deutsches Theater Berlin, 2023
Wiederaufnahme (Premiere 23.9.2023)
Regie:AndrásDömötör, Dramaturgie: Juliane Koepp; Bühnenbild: Magda Willi, Kostüme:Fruzsina Nagy, Licht:Thomas Grauel
mit: Ulrich Matthes, Birgit Unterweger, Julia Windischbauer und Tamás Matko, Pianist

Wer betrügt wen?

Wie stellt man sich einen Heiratsschwindler vor? Und dann einen, der nach sechs Jahren  Haft wegen sieben Millionen erschlichener Euros nun wieder von zwei Frauen auf sehr unterschiedliche Art und Weise umgarnt wird. Soll er sich wehren, soll er vorsichtig um die Falle herumtapsen und wieder der Dumme sein? Ulrich Matthes weiss um die Gefahr, die zum einen von seiner angestrengt bemühten Therapeutin Tania ausgeht, mit der er seit sechs Jahren Katze und Maus spielt und seinen Joker (das Versteck) bisher nicht aus der Hand gegeben hat. Die will ihn festnageln, weiterhin an der Fußkette halten und als Fabrikarbeiter ins erzkatholische Fulda schicken. Ein studierter Mann, ein Sprachgenie und Sektenangehöriger, am Rande nur erwähnt, jedenfalls ziemlich ausgebufft. Das bleibt alles etwas undurchsichtig. Und beide wissen darum. Das Spiel ist noch nicht aus, und, wenn man genau hinschaut, wie langsam und beinahe liebevoll Tania dem gebeugten, vom Leid der unfreien Gefängnisjahre gezeichneten Mann die letzte Fessel abnimmt, ihr viel zu enges Kostüm zurechtzupft und ohne eine Miene zu verziehen, ihre schreckliche Warnung in den Raum bläst. Es kann alles geändert werden….aber sollte er nicht zuvor das Versteck des Geldes verraten?

Das liegt nun allerdings an einem äußerst interessanten Ort, wie man am Endes Stückes erfährt, was nicht ohne Witz ist. Zwischendurch aber halten sich die Darsteller am Piano fest, wo ein einsamer Spieler musikalische Einwürfe macht und die Sänger am Mikro unterstützt, wo sie nicht leicht zu erschließende Texte zelebrieren. Und während Matthes als Hauke Born, einst gefürchteter Frauenbetrüger, nunmehr gebeugt und mißstrauisch zwischen Charmeoffensive und Rückzugsmanöver durch den leeren Raum schlendert bis eine neue Gefahr auftaucht: eine Tochter, Sonja, die zwar bereits verheiratet ist, aber überzeugend als herausfordernder Teenie auftritt. Born freut sich nun nach anfänglichem Zaudern und Zögern über den weiblichen Zugewinn und tänzelt mit neuem jugendlichen Elan und rosigen Zukunftsaussichten über die Bühne. Denn indem er der jungen Frau das Versteck der Millionen verrät, macht er sie zur Komplizin für seinen nächsten klugen Schritt. Nicht aber, ohne ihr zuvor die furchtbare Geschichte der Herkunft des Geldes zu erzählen. Reinwaschung sozsuagen.

Warum er der reichen einsamen reichen Frau das Witwenerbe ein wenig gekürzt hat? Weil ihr Vermögen aus Kriegsverbrechen stammte, von Firmen, die sich an der Not der Zwangsarbeiter bereicherten. Dass auf dieser zweiten Ebene des Stückes die Inszenierung aus dem Ruder läuft, zeigt die Problematik moderner Autoren: Ihr Versuch, die Schrecknisse des Dritten Reichs, des Krieges und der Konzentrationslager auf der Bühne gegenwärtig zu machen, verlangt eine äußert sensible Handhabung des Sujes und die Fähigkeit, beides tief miteinander glaubwürdig dramaturgisch zu verflechten. Dazu ist das Stück nicht ausgereift, und die Inszenierung konnte die Distanz zwischen beiden Erzählsträngen nicht überwinden. Nur das reine Deklamieren oder Vorlesen der Schicksale der Zwangsarbeiter von “KZ Mittelbau Dora” genügt nicht, um Thesen wie “Vor der Liebe und dem Tod gibt es keine Rettung” oder  “Wer ist frei von Verführung?” zu beantworten. Verführt uns Geld oder der Mensch oder die Liebe? Wer manipuliert wen? Am Ende ist der Delinquent frei und mtitellos, die Therapeutin hat auch kein wirkliches Interesse mehr an ihm, und die vermeintliche Tochter ist ohne historische Schuldgefühle und genießt ihren geschickten Coup. Das Schicksal der Menschen interessiert sie mitnichten. Schade um die Bemühungen der Schauspieler und des Pianisten. A.C.

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