Salome, OL

Musikdrama in einem Aufzug von Richard Strauss
Text nach der gleichnamigen Tragödie von Oscar Wilde in der Übersetzung  von Hedwig Lachmann
Uraufführung 9. Dezember 1905, Königliches Opernhaus in Dresden

Theater am Goetheplatz, Bremen 2024

Musikalische Leitung der Bremer Philharmoniker: Stefan Klingele, Regie Ulrike Schwab, Dramaturgie Caroline Scheidegger, Bühne Rebekka Dornhege Reyes, Licht Norman Plath-Narr
mit: Herodes: Christian Andreas Engelhardt, Herodias: Nadine Lehner, Salome: Yannick-Muriel Noah, Hochanaan: Michal Partyka, Narraboth: Oliver Sewell, Page der Herodias: Constance Jader; Ian Spinetti, Junho Oh, Luis Olivares Sandoval, Stefan Hahn als jüdische Sklaven, Bruno Vargas auch als Kappadozier; Christoph Heinrich, Hidenori Inoue als Soldaten. Statisterie des Theaters Bremen

1905: Nichts für schwache Nerven

2024: Man soll allein die Liebe betrachten

Es hat unzählige höchst dramatische und heiß diskutierte Versionen dieser liebeskranken, seelisch vernachlässigten und männermordenen orientalischen Prinzessin gegeben, aber vielleicht nicht so eine heißblütig vibrierende, ekstatische Dynamik ausströmende wie jetzt im Oldenburger Staatstheater – wo ohne Pause fast zwei Stunden lang die Spannung nicht nur vom ersten Ton an gehalten, sondern bis zum bitteren Ende kontinuierlich in verzwickten Tonfolgen gesteigert wird und auch dann, als sich die Handlung nur noch in der Musik entfaltet, sogar am stärksten wirkt.

Diese Salome ist natürlich eine nicht zu fassende, dynamische, extroviertierte, egozentrische, rücksichtlose Persönlichkeit. Die kanadische Vollblut-Sopranistin Yannick-Muries Noah verweist auf berühmte Kolleginnen – Weltstars wie Jessey Norman, Leontyne Price, Grace Bumbry und natürlich auf  Anja Silja, die im Tanz der sieben Schleier mit dem ersten Striptease in der Oper eine mitreißende Wirkung erzielte. Dieser findet hier nurmehr in einem elegisch bis ektastisch sich steigernden zärtlich-expressiven Rausch des Orchesters in den Köpfen aller statt, von Salome-Noah dirigiert.

Mit der unheimlich düsteren Verkündigung “Es wird Schreckliches geschehen” fährt die Regie die Spannung mit der ersten Minute auf Hochtouren. Kraftvolle Männerstimmen, Tenöre, Baritone, Bässe in Gestalt von Sklaven und Dienern sind seitlich der Bühne und mit Jochanaan sogar im Zuschauerraum placiert, während das Orchester im rückwärtigen Bühnenraum die bereits tosenden emotionalen Elemente in Gang setzt.
Unheilvoll ertönen die Rufe von allen Seiten, warnend vor jeglichem visuellem Kontakt mit der Prinzessin, die anzusehen verboten ist, sie anzusprechen bereits mit Todesstrafe geahndet wird. Der Blick, das Schauen, die visuelle Kraft der Verführung, des Begehrens sind die Antriebsfedern dieser Inszenierung, dieses Stückes an sich, das Oscar Wilde sich mit überschwänglicher Poesie und überbordenden Sprachbildern wohl von der Seele geschrieben hat, Salome verfallen im Rausch des allgemeinen Hype zu Beginn des vorigen Jahrhunderts.

Am Hof des Tetrarchen Herodes herrscht reges Treiben, fast wirr und dem Wahnsinn nahe, denn die Prinzessin wünscht den  im Verlies wütenden, fluchenden Jochanaaan zu sehen. Ihr Lieblingssklave, ergeben bis zum Tod, verweigert ihr, vor Angst vergehend und zugleich vor Liebe zu der Schönen sich verzehrend, diesen Befehl bis sie ihm ihren “Anblick”, ihre Zuwendung verspricht… aus der Tiefe der Gefängnisses steigt Jochanaan, mit dem polnischen Bariton Michal Partyka eine genau passende Besetzung: schank, schmal, asketisch, mit ausdrucksstarkem Varationsvermögen eines alle Laster am Hofe verfluchenden, gotterergebenen Wüterich und einer doch gespaltenen, sich verweigernden Männlichkeit.
Als Rächer Gottes betritt er die Bühne, sich der zunehmenden Verführungkunst Salomes widersetzend, ihre lasterhafte Mutter Herodias höhnend und verfluchend und der dann, für Augenblicke, kaum wahrnehmnbar, ihrer zärtlichen Avancen sich kaum noch zu widersetzen fähig ist. Und während diese mit Wildes’ wilden und romantischen Bildern von Blumen, kalt funkelnden Edelsteinen und silbrigen Monden, Sternen und allerlei prächtigen Auen des Liebesparadieses lockt, verfügt sich Jochanaan grollend in seinen stacheligen Panzer bis er die totale, vernichtende Wut der zutiefst verletzten Salome entfacht hat. Er weiß vielleicht sogar, dass er seinen Tod herausgefordert hat, indem er Salome in einen unsagbar heftigen Liebestaumel versetzte, für den der große englische Dichter seine ganze Sehnsucht und  unerlaubte Liebe zum männlichlichen Geschlecht in einer Flut von poetischen Kapriolen verströmt.

Pychoanalytische Deutungen hin oder her, Sache ist, dass Salome allerdings erst auf die schreckliche Rache sinnt als Herodes sie mit tausend und einem Versprechen bis hin zur Teilhabe am Thron beredet, für ihn zu tanzen. Man weiß. dass es um Schleier und deren Entledigung geht, und dass der Tetrarch ziemlich lüstern auf die junge Stieftochter schaut, von deren Mutter Herodias argwöhnisch bewacht. Und es muß erst ganz zum Schluß in Salomes geknickter oder verderbter Seele der Gedanke aufgestiegen sein, dass sie ihren Wunsch mit der Hinrichtung des verlorenen Liebhabers rächen könnte. Es ist alles ziemlich kompliziert und spannend zudem, so daß man den alten Herodes eigentlich gar nicht so widerwärtig finden kann, denn seine Frau ist ziemlich zickig, und wer die coole Stimme von Nadine Lehner liebt, kann sich gut vorstellen, wie sie zur Nervensäge zu mutieren imstande ist.ist. Denn in schneidender Wut ersticht sie den lüsternen Gatten mit Worten, sägt sich in das Herz der Tochter und tötet letztlich damit den Propheten, vor dem Herodes große Achtung und vielleicht auch Angst hat, auch wenn er von dem Wunder vollbringenden Jesus bisher noch nichts gehört hat, ihm allerdings weitere Wunder verbieten will. All das kann Christian-Andreas Engelbach mit einem kräftigen dramatischen Tenor, der sich Bahn bricht durch die Untiefen der verkommenen Seelenlandschaften und die hohen kompositorischen Anforderungen der Strauss’schen Klangorgien. Er kann wimmern und flehen, er kann zürnen und drohen – es nützt ihm alles nichts, am Boden hingestreckt, selbst gebrochen durch den unerbittlichen Hass der Stieftochter, ahnt er Schreckliches. Das Morden hat noch kein Ende.

Wie wunderbar, erschreckend und berührend wird am Ende die untröstliche Salome dem Toten die Bitterkeit und Süße ihrer Liebe, ihres Verlangens und Begehrens gestehen wird. Sie wollte ihn doch nur küssen. Das die letzten Szenen die Contenance halten, ist gut, wie überhaupt alles aus einem Guß erscheint. Das Bühnenbild ist als klassisches Historienbild zerbrochener Figuren fragmentarisch mit Zitaten und Erklärungen auf Laufbändern angereichert. Auch Videos werden eingespielt, während Salome-Noah den Schleiertanz mit dem Orchester inszeniert, und ihre blitzenden Augen Unaussprechliches verkünden.

Das kleine Gewässer, in dem alle herumpatschen müssen, dient ja teils als Weihwasser für den toten Diener, den Jochanaan hingebungsvoll salbt sowie als Sektpfuhl, der die lustvolle Völlerei am Hofe symbolisiert. Dass Herodes am Ende noch in der Pfütze ausrutschte, war sicher nicht vorgesehen und führte zu einer leider erheblich verkürzten Schlußpräsentation.  Die stehenden Ovationen werden sicher nachgeholt. Es gibt noch genügend weitere Aufführungen.

Ein großartiger Abend. A.C.

Die historische Salome sah natürlich ganz anderes aus. Gut nachzulesen in der Bibel oder im Programmheft. Das ist etwas übersichtlicher.

 

 

 

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