Die schöne Helena, B

Opera bouffe in drei Akten von Jacques Offenbach, Libretto von Henri Meilhac und Ludovis Halév
Uraufführung am 17. Dezember 1864 in Paris

Komische Oper Berlin, 2025 Wiederaufnahme

Musikalische Leitung: Adrien Perruchon, Inszenierung Berrie Kosky, Spielleitung Tamara Heimbrok, Choreorafie Otto Pichler, Bühnenbilder Rufus Didwiszus, Kostüme Buki Shiff, Dramaturgie Johanna Wall, Chor David Cavelius, Licht Diego Leetz.

mit: Nicole Chevalier Helena, Tansel Akzeyybek Paris, Christoph Späth Menelaus, Karolina Gumos Orest, Johannes Stermann (Gesang) und Tamara Heimbrik (Spiel) als Kalchas, Dominik Königer Agamemnon, Ivan Tursic Ajax´1, Philiipp Meierhöfer Ajax 2, Peter Boroding Achill, Karlheinz Oettel Brieftäubchen, Daniel Daniela Ojedda Yrureta Bacchis, Zofe Helenas, Karsten Redlich Philokomus, Philipp Schreyer Euhtykles
Bandeneon Juri Tarasenok, Orchester, Chor, Chorsolisten und Komparserie der Komischen Oper Berlin

Tänzer/innen: Lorenzo Soragni, Michael Fernandez, Mark Lenskaer Fries, Dandiel Daniela Ojeda Yrueta, Kai Chung Chuang, Jeffrey Socia

Warnung: hier gibt es jede Menge Nonsense, Erotik und schönste Musik!

Mit brausendem Applaus wurde der erste Solist des Abend begrüßt: Berrie Kosky himself kündigte die Doppelbesetzung des stimmgeschwächten Kalchas an. Und zugleich, dass die Wiederaufnahme dieser Inszenierung eine Hommage an ihre Uraufführung vor 15o Jahren in Paris sei und er viel Spaß und Freude wünsche. Und genau darauf war das abendliche Publikum  vorbereitet, sich köstlich zu amüsieren. Und es wurde nicht enttäuscht. Alles entsprach den hohen Erwartungen: Romantik und Rhythmen des Orchesters, die prächtigen Stimmen der Protagonisten, die Spielleidenschaft des spritzigen Chores, der in eine verschwenderische, bunt schillernde und glitzernde, ebenso offenherzige wie übermütige Kostümpracht gepackt war, dem auch alle Karnevalvereine begeisterten Beifall gezollt hätten.

Es ist aber auch eine wirklich amüsante wie zeitweilig hintergründig kritisch surrealistisch durchwirkte Ballade, die von der alten klassischen Liebesgeschichte zwischen der Frau des Königs Menelaos, Helena, und dem schönen Prinzen Paris, dem Thronerben Trojas, erzählt, der durch die Intrige des Zeus den Wettstreit, wer von den drei olympischen Göttingen Hera, Athena und Aphrodite  die Schönste sei, Aphrodite wählt, Helena gewinnt und Troja verliert. Das Drama ist oft und weltweit und in vielen Facetten gespielt und erzählt worden und immer wieder voller Leidenschaft über alle Bühnen der Welt gerollt.

Hier allerding muss sich der flotte Paris als Weltenbummler ziemlich bemühen, bis er die Schöne heimführen kann, denn der alte Menelaus ist dann doch noch nicht zu vergreist, um die Intrigen um ihn herum nicht zu bemerken. Es dauert drei Akte bis er endlich auf sehr pfiffige Art überlistet werden kann und seine Frau selbst in die Verbannung schickt, die als Strafe für ihren Ehebruch von dem listigen Seher Kalchos vorgeschlagen wird. Der Großaugur, praktisch Kalchos Chef, selbst ist es, der mit sonorem Auftritt Helenas Verbannung auf die ferne Inselverkündet, in seiner Begleitung natürlich.   Allerdings in der Eigenschaft als Paris, was nun wiederum alle merken außer Menelaos, der mal wieder nur an Rache, Ruhe und Geld denkt. Da der Inselaufenthalt irgendeinem religiösen Zweck als dienlich gilt, bezahlt ihn das Volk.

Zuvor aber gibt nach höfischer Sitte, wie auch zu Hoffmanns Zeiten, einen Augenschmaus,  wunderschöne Tänze, festlich-frivole Showeinlagen, übermütigen Gesang, der nicht nur Helena bezaubert, denn Tensel Akzeybek als Paris leitet seine wirklich verführerische Stimme, dem das Orchester gut gelaunt folgt, gefährlich in Herz und Ohr. Und auch Helena, hier von Nicole Chevalier vital in Szene gesetzt, selbst weiß, wie sie mit stimmlicher Akrobatik den fremden Mann zielgerichtet bezaubern kann. Von der körperlichen Beweglichkeit ganz abgesehen. Und da übertrifft sie alle anderen an Temperament und Einfallsreichtum. Erträumt sie doch glatt die Liebesnacht mit Paris und findet auch dann einen Ausweg, als der überraschend eintreffende Ehemann, wie in Vergnügungen dieser Art üblich, in das Gemach der Ehefrau einbricht und sie inflagranti mit dem Gast erwischt. Doch es war ein Traum… Wer sollte und wollte das bestreiten, um nicht die Königin der Lüge zu bezeichnen! Davor wallten die Götter ! Der ganze Hof glaubt, was er glauben soll, und die Helden der Antike entblöden sich nicht, in kindischen Spielen fröhliche Unschuld zu zeigen. Während die Husarengarde, hier wohl  eher französisch kostümiert oder auch mal – der Abwechslung halber – auch recht spärlich bekleidet, sich junger schöner Burschen bedient, deren Aufgabe es ist, über Sitte und Anstand zu wachen oder auch nicht.

Menelaus (recht spitzbübisch  Christoph Späth), der die Verschwörung an seinem Hof wie ein alter Fuchs wittert, folgt dem übermütigen Singen und Treiben höchst argwöhnisch und ist erleichtert, als ihm der Seher Kalchos eine Strafe für Penelope ankündigt. Doch vorerst herrschen französischer Charme, der sich mit jüdischen sehnsuchtsvollen Erinnerungen verbindet, denn Offenbach  kann die jüdische Musiktradition, die verborgenen Arien, die er als Knabe in der Synagoge in der Musik immer im Gedächtnis festgehalten hat, in seinen Kompositionen nicht ausblenden. Doch zugleich verbindet er diese Musik mit der zeitgenössischen Absurdität des aufbegehrenden, alles Bürgerliche verhöhnenden Dadaismus.
Den Ernst hinter allen sprachlichen, bildlichen und musikalischen Eskapaden zu suchen, ist zwecklos. Er liegt in sich selbst genügenden und immer wieder hinterfragenden Wellen musikalischer Phantasie und malerischer Phantasterei, Vielfalt der Verschmelzung unmöglicher Dinge – wie hier bei Hofe die Verwirrungen eher der Shakespeare`schen Komödie als dem deutschem Lustspiel entnommen sind.  Ein Geheimnis der Operette: Freude daran, das große Mythos der trojanisch-griechischen Liebesgeschichte einfach in eine Selbstverständlichkeit zu verwandeln: Haben  aus politischem Kalkül von den Vätern an alte Patriarchen verscherbelte junge Frauen nicht das Recht auf ein eigenes Leben, in dem sie ihre wahre Liebe selber finden und ihr Schicksal  zu bestimmen?
Das war anno 1864 wirklich ein toller Skandal. Dagegen die leichtlebige Offenherzigkeit der sich amüsierenden Aristokratie und reichen Bürger, die sich selbst überhaupt nicht in Frage stellten. Erst auf der Bühne erschien ihr Spiegelbild, dem sie zumeist, blind genug, erheitert Beifall zollten. Und man mußte alles ja auch nur in so viel Ulk und Albernheit verpacken, dass selbst der gehörnte Ehemann im Publikum sich herzlich amüsieren konnte.

Das ist nun 150 Jahre her, und die Selbstbestimmung der Frau, die frei gewählte Verbindung und Bindung zwischen den Geschlechtern ist noch lange nicht auf aller Welt selbstverständlich. Daher: Oper und Operette werden niemals unaktuell, und da sie bisher nicht gestorben sind, werden sie wohl ewig weiterleben! A.C.

 

 

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