Lehman Brothers, B

Lehman Brothers, Aufstieg und Fall einer Dynastie
Schauspiel von Stefano Massini, Bühnenfassung von Lars Georg Vogel

Vagantenbühne Berlin, 2025

Regie: Lars Georg Vogel, Dramaturgie: Fabienne Dür, Live-Video-Performance: Valtentin Berthelon, Videokonzeption: Stella Schimmele, Lichtdesign: Thomas Schick, Abendspielleitung: Alexander Schatte, Technische Leitung: Malte Hurtig
mit: Andreas Klopp: Emanuel Lehmann u.a., Urs Stämpli: Henry Lehmann u.a., Joachim Villegas: Mayer Lehmann u.a., Valentin Berthelon: Babette Newgass u.a.

Ein Parfour Ritt durch die Maschinerie der Macht 

Eintauchen in das frühe 19. Jahrhundert mit Henry, kräftig, ehrgeizig, zielbewusst, vom Pariarchen in Österreich auf die Reise nach Amerika geschickt mit den Worten: Mach Geld, Mach Geld, Mach Geld. In seiner ersten Wohnstatt, einem minimal Kabuff baut Henry sich in Monterey, Alabama, den ersten Gemischtwarenladen auf. Für die Baumwollfarmer und die Sklaven.  Erweitert werden Sortiment und Wohnstatt als Bruder Emanuel eintrifft, der die Überquerung ins gelobte Land überstand in der Gewissheit, seinen Bruder bereits im Wohlstand vorzufinden. Doch weit gefehlt. Beide stark, eigenwillig, kampfbereit, auch untereinander. Urs Stämpfli als Älterer und Andreas Klopp als Emanuel, Bruder Nr. 2, zeigen zwei gegensätzliche spannende Charaktere, doch geeint durch Vitalität und Pragmatismus. Beide von der väterlichen Autorität daheim gestärkt und getrieben, stets auch vom Heimweh, entwickelt sich gemeinsamer Sinn für die Möglichkeiten, voran zu kommen. Nahrungsmittel gehen immer und gut, dazu kleine Alltagsbedürfnisse, die gestillt werden, und das Geschäft läuft zunächst dank der mitgebrachten Ersparnisse durchaus zufriedenstellend für Henry, für Samuel aber unzureichend. Er will mehr und Größeres. Dann kommt Bruder Nr. 3, der Benjamin, aber genannt Kartoffel, weil er jung und unbedarft erscheint. Noch kein Bart, aber Grips. Für Joachim Villegas, allerdings mit Bart, steckt diese Rolle voller Möglichkeiten: als kleiner Bruder entfaltet er allerlei Showtalent. Ganz entzückend spielt er die spröden jungen Damen, um die nach und nach gefreit wird.  Zuerst als Rose, die Henry auf unbeholfene Art lange umwirbt und nicht erreicht. Erst als er sich einigermaßen geschliffen – und gleichsamm grollend – der Mentalität der Frauen im Allgemeinen und im Besonderen nähert, erhört sie ihn.

Es ist auch der kleine Mayer, die Kartoffel, der das Temperament der Brüder zähmt, hat er doch zumeist  einen sehr guten Vorschlag in der Tasche, wie man sich einigt und vielleicht einen dritten Weg beschreitet. Henry ist beispielsweise gehen die Beteiligung an der Eisenbahn, Samuel sieht die Chancen, Mayer findet den Kompromiss und noch andere lukrative Möglichkeiten, das Vermögen zu vermehren. Aber das ist erst später, nach dem Sezessionskrieg…

Als eines Nachts die Baumwollfelder in Flammen stehen und ein Video die Hitze der lodernden Flammen bis ins Publikum hinein spüren lässt, wird eine sehr ferne Vergangenheit plötzlich gegenwärtig. Da bricht nicht nur für die Farmer und deren Sklaven und Bedienstete ein großes Elend an, sondern auch die Lehmans müssen neu beginnen. Aber deren Panik ist nur von kurzer Dauer. Denn der kleine Bruder weiß, was zu tun ist:  man beliefert die Farmer jetzt mit Material zum Wiederaufbau ihrer Häuser und Felder und nimmt dafür ein Drittel ihrer Ernte in Zahlung.

Das klappt, und die Drei haben begriffen, wohin sie ihr Weg führen wird: in den Handel, kaufen und verkaufen. Valentina Berthelon ist abwechselt stumme schöne Braut und Live-Video Performerin, die die Rückwand hinter den weißen Papiervorhängen mit der jeweiligen Szenenbild belebt: mit Meereswellen und schmucken Villen,  Wolkenkratzern, Macht und Ansehen mit der Etablierung sowie einer neuen ferneren Ausrichtung der Geschäfte bis nach New York. Das Schicksal der Lehmans läuft voraus. Henry stirbt früh, 1855; Samuels Sohn Philip, 1861 geboren, wird eines Tages in Harvard studieren und das Geschäft von der Wallstreet aus leiten, dann übernimmt sein Sohn Bobby die Investition in Autoindustrie, Funk und Fernsehen.

Im Blitzzug durch die Geschichte der Lehman Brother werden auch der Krieg zwischen Nord und Südstaaten gestreift, aber dem können sie entgehen, und danach ist genügend Gewinn am Wiederaufbau und der Neuorientierung: Sie übernehmen noch mehr der Ernten, verkaufen die rohe Baumwolle weiter mit Gewinn und beteiligen sich letztlich am Boom der Bekleidungsgeschäfte, der Herstellung robusterer Hosen für die Arbeiter, genannt Jeans. Ungefähr gleichzeitig findet im fernen San Franzisco ein anderer jüdischer Auswanderer, Levi Strauss, nach hartem Anfang im Kurzwaren- und Tuchhandel, in Jakob Davis einen Freund und Partner, einen genialen Schneider, der erstmals für die Arbeiter reißfeste Hosen mit Nieten entwirft und näht. Aus dem Duo entsteht 1873 eine gemeinsame Firma und mit einem Patent auf die Blue Jeans. Die mit Indigo eingefärbte  Hose wird unter dem Label Levi’s 501 zum Klassiker werden. Aber diese Firma bezieht ihre Baumwolle aus Italien, und vielleicht kommen die beiden Familien  deshalb  nicht in Berührung, auch weil Levis und Partner bei ihren Leisten bleiben…

Derweil expandierten die Lehmans in den Handel und schließlich wird das Liebäugeln zur Börse zur Passion. Die Wallstreet lockt, noch mehr Geld, noch mehr und weitere Beteiligungen. Kriege machen die Firmen reicher, Wiederaufbau kostet Geld, Kredite, Regierungen müssen handeln. Lehmann  ist vermutlich der Größte weltweit.  Philipp und Bobby Lehman werden ihre Väter im Laufe des neuen Jahrhunderts machtvoll übertrumpfen; aus dem Handel mit Baumwolle, Eisenbahnaktien, Tabak, Kaffee, Öl usw. wird ein Handel mit Immobilien, Aktien, Fonds. Es wird weltweit investiert, auch und gerade da, wo es um den Wiederaufbau geht, Dann geht es um Fusionen, neue Gschäftsführer, neue Felder und Machtkämpfe.

Das alles spulen die drei Schauspieler im schönem Versmaß des Autors Stefano Massini in der gut gestrafften Bühnenfassung ab, so dass wenige Hinweise (und das Programmheft) genügen, um den rasanten Fortlauf zu verstehen. Der Untergang ist letztlich bekannt. 25000 Mitarbeiter weltweit und zahlreiche Banken und Anleger verlieren Job und Vermögen, als am schwarzen Montag 15.9.2008 die Börsenkure in den Keller stürzen. Der Staat wird die Lehman Brothers nicht retten. Heute ist man der Ansicht, dass dies ein großer Fehler war.

In der Vagantenbühne kann man Aufstieg und Fall der Generationen  und ebenso fasziniert wie fassungslos die Entwicklung dieser tüchtigen und erfolgreichen Unternehmer und ihren Größenwahn begreifen.  A.C.

 

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


acht + 4 =