Der Parasit

von Friedrich von Schiller
Berliner Ensemble
Inszenierung: Philip Tiedemann,,Bühne: Etienne Pluss, Kostüme: Stephan von Wedel
Musik: Jörg Gollasch,,Dramaturgie: Hermann Wündrich,,Licht: Ulrich Eh

mit: Nobert Stöß als Minister Narbonne; Axel Werner als Madame Belmont, seine Mutter; Laura Tratnik als Charlotte, seine Tochter; Thomas Wittmann, Alexander Ebeert und Roman Kaminski  als Subalterne des Ministers; Dejan Bucín als Karl Firmin; Andreas Seifert als Michel, Kammerdiener des Ministers; Roman Kanonik als Robineau, Selicours Vetter; Uli Pleßmann, Mathias Znidarec, Stephan Schäfer, Marko Schmidt, Michael Kinkel und Peter Luppa als Selicour 2 bis 7; Peer Neumann und Matthias Trippner: Musik

Sprosse für Sprosse

Ein Mann will nach oben – den Weg eines kleinen Beamten zu Reichtum und Macht beschreibt der Franzose Picard mit wohlwollender Ironie, der Romantiker Schiller mit hintergründiger Finesse, und der Regisseur Tiedemann versetzt alle Protagonisten in ein Kaspertheater.

Marionette der Macht auf verschiedenen Stufen der Karriereleiter, das ist in siebenfacher Ausführung der maßgeschneiderte, geschniegelte Selicour, ein Intrigant, ein skrupelloser Aufsteiger in der ministerialen Bürokratie, der die Verlierer an die Seite drückt, auch zerdrückt, wenn es ihm dienlich und zweckmäßig erscheint. Der Parasit, der sich an die Mächtigen hängt, sie umgarnt, umflattert, weiß, wie er täuschen und tricksen muss, um ihr Vertrauen und ihre Dienste zu erwerben. Die anderen, die Bescheidenen, die Schamhaften, die Tüchtigen benutzt er für eigene Zwecke und denunziert jedermann, der ihm auf der Kletterpartie nach oben gefährlich werden könnte.

Und dennoch, irgendwie hängen auch die Menschen in seiner Umgebung am Band der Mächtigen. Der Parasit braucht sie, um sich selbst voran zu katapultieren; sie sind sein Fußabtritt, damit er sauber dastehen kann vor den Vorgesetzten, den Referenten, Abteilungsleitern, Ministerialbeamten und letztlich vor dem Kanzler. Hampelmänner sind sie alle, mit beweglich kurzen Beinchen, die auf den verschiedenen Ebenen der sich nach oben verjüngenden Pyramide um ihre Existenz ringen. Das ist grotesk und lächerlich, wie im wirklichen Leben, wenn sich die Bürokratie, die Kleingeistigkeit, die Pedanterie zum Selbstzweck macht und dabei noch einen Herrschaftsanspruch erhebt, der ebenso unfassbar wie allgemein üblich und zeitlos gültig ist – wider alle Menschlichkeit, Moral und Sitte.

Als Kasperpuppen gerieren sie sich hier: der naive alerte Minister Narbonne, seine tumbe Tochter Charlotte, die geile Großmama Madame Belmont, der bescheidene tüchtige Untertan Firmin und sein Verse schmiedender verliebter Sohn Karl als blonder Einfaltspinsel, sowie der ungeschickt um seine Existenz kämpfende Subalterne La Roche und letztlich auch Robineau, der geschundene Verwandte. Sie alle schlackern und schlenkern – in ihrer aufrechten Naivität und Anspruchslosigkeit – willenlos umher, geführt von einem skrupellosen vielgesichtigen Mann, der seine Mitmenschen wie Hühner auf der Treppe umherscheucht.

Das ist erheiternd, frisch-fröhlich und so ziemlich eine der besten gesellschaftskritischen Persiflagen, die man zur Zeit auf den Berliner Bühnen zu sehen bekommt. Auch wenn Regisseur Philip Tiedemann sich sehr stark an den großen Bühnenmeister Robert Wilson anlehnt, seine grotesken Maskenbildnisse, die skurrilen Turmfrisuren und die bizarren Kostümierungen übernimmt, so bleibt er aber realistischer als Wilson, verlässt sich nicht allein auf das Widersinnige der bildnerischen Performance, sondern gibt den einzelnen Personen trotz aller Kaspertiraden noch eine wahrhaftige Persönlichkeit. Dass der Parasit, der sich mit dem Blut der anderen vollsaugt, um  voranzukommen, gleich in siebenfacher Identität daherkommt, springt und lauscht und überall zur Stelle ist, macht deutlich, wie sehr wir stets von dieser Art blutsaugendem Ungeziefer umgeben sind; und wenn der kluge Subalterne Firmin sich mit seiner Stellung zufrieden gibt, niemandem im Wege steht und gewissenhaft seine Arbeit verrichtet, so dürfte er eigentlich unbeschadet seinen Weg gehen – doch weit gefehlt. Auch der Gutmütige, der Gutgläubige, der Menschenfreund wird irgendwann dem Karrieristen unheimlich und bedrohlich – weil er dessen uneigennütziges Tun nicht nachvollziehen kann.  Und der Minister? Er ist hier wohl der integren Sorte Politiker zuzuordnen, der allerdings von jeder Menschenkenntnis unbefleckt, seinen Weg nach oben wer weiß wie gefunden hat. Am Wegesrand zertreten bleibt der arme Verwandte aus der Provinz zurück, der den wahren Charakter des Parasiten kennt; ebenso der zur Seite gemobbte Mitarbeiter, der sich dann doch zu rächen versteht, allerdings nun auch mittels den nur noch Erfolg versprechenden Mitteln der Intrige. Hätte er eine andre Wahl gehabt? Die beiden Frauenrollen sind total veralbert: die blonde Tochter, die den Schillerschen Romantikschmarren “An der Quelle saß der Knabe”  mit schrägen Tönen karikiert und die mannstolle Großmutter werden als köstliche Schmankerl dieser Inszenierung serviert.

 Der später geadelte Friedrich von Schiller hatte eigentlich den Auftrag des Weimarer Herzogs, die Komödie des französischen Dichters Louis Benoit Picard(1769-1828) für das Hoftheater ins Deutsche zu übersetzen; doch so wie einst der junge Mozart den reifen Salieri mit seinem genialen Temperament in die Schranken wies, so konnte auch Schiller nicht anders, als die bescheidene Vorlage des Franzosen umzuschreiben, indem er das Versmaß in Prosa verwandelte und seine eigenen kritischen Beobachtungen und Erfahrungen zu diesem Thema taufrisch mit spielerischer Eleganz niederschrieb und mit der Uraufführung im Jahr 1803 sein Publikum restlos begeisterte. Mit dieser reizvollen Inszenierung, die trotz der immensen Kürzungen zuweilen noch ein wenig langatmig daherkommt, und die dann plötzlich purzelbaumartig zu Ende geht, zeigt das Berliner Ensemble, wie sich Zeiten theatralisch geschickt miteinander verbinden lassen – zur Zeitlosigkeit. A.C.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


− 1 = eins