Ewig Jung,B
von Erik Gedeon
Renaissance Theater, seit 2012
Regie: Erik Gedeon,Bühne: Frank Herzog, Kostüme: Dagmar Fabisch
Garantie für einen kurzweiligen Abend
Intendant Horst Filohn hat mit seiner Strategie, gut gemischte kleine Ensembles mit publikumswirksamen Stücken ins Haus zu bitten, eine glückliche Hand: Nicht nur, dass der ewig glühende Disput um reinweiße Bildnisse als “Kunst” die Freundschaft dreier gestandener Männer ins Wanken und das Publikum mit nicht endender Begeisterung ins Theater bringt, auch mit dem Dauerbrenner “Ewig Jung” hat er ein witziges, geistreiches und in guter Mischung auch rührendes Songdrama auf die kleine, aber durchaus zweckentsprechende Bühne gebracht. Seit Monaten als Stück der Saison auf dem Programmplan, fasziniert und erheitert das Gerangel der sieben steinalten Schauspieler, die im Jahr 2050 sowohl ihre Kollegen als auch eine Menge Intendanten (an der Rückwand der Bühnensalons portraitiert!), ihr altes Theater und nicht zuletzt sich selbst überlebt haben.
Nun ist Theater auf dem Theater ja stets ein Garant für einen erfolgreichen Coup. Dass sich die herbe Problematik um die schwer zu akzeptierenden und noch schwerer zu ertragenden Leiden des Alters und des Alterns so frisch und fröhlich darstellen läßt, liegt hier sowohl an dem humorvollen Skript von Erik Gedeon als auch an seiner, bis auf wenige Längen, herzerfrischenden Inszenierung – und natürlich an dem grundlegenden Thema: der Aufmischung alter Erinnerungen, der glückseligen Reminiszenz an die “wilden 68er”, als man verfilzte Moralzöpfe abschnitt, gegen den Vietnamkrieg protestierte, sich bekiffte, was das Zeug hergab, gleichzeitig mit Flugblättern, Sitzblockaden und Protestsongs ein neues Lebensgefühl und vor allem die eigene Großartigkeit bekannt gab. Geblieben sind vor allem die Songs – Ohrwürmer bis heute -, die rockig und fetzig Lust und Leid in wundervollen musikalischen Arrangements beschreiben!
Und wie diese kleine, von einem langen Leben aufgezehrte und gezeichnete Gemeinschaft aufzublühen vermag, ihre schlackernden, verkrüppelten Gliedmaßen wieder auf die Reihe und das Gedächtnis für einige Zeit in Schwung bringt, noch einmal ein Anflug von Lebendigkeit in die bleichen, verzerrten, müden Mienen zurückkehrt, die Lust an kleinen Bösartigkeiten und später Erotik erwacht, das ist schon eine rabenschwarz-fröhlich gelungene Theatermixtur. Keine Handlung im eigentlichen Sinne, sieht man von der rosig gesunden Betreuerin (Angelika Milster als Schwester Angelika) ab, die ihre senilen Schäfchen (Timo Dierkes versteht es denn auch als bartvermummter “Schäfer”, Rock- und Jazzsänger ganz hervorragend zu blöken!) mit harmlosen Liedchen füttern und schläfrig machen möchte. Als Todesengel und Diva in schwarzer Robe lehrt sie uns das wahre Gruseln; ihre Botschaft ist zynisch verpackt in einer barockverzierten Arier, die lediglich die Worte “Sterben, Tod und Grab” in feinste Koloraturen aufsplittet! Und während Guntbert Warns als sprachversehrter Pianist seine alten steifen Finger zunehmend mit neuer Elastizität über die Tastatur flitzen läßt, erheben sich die Damen und Herren zunehmend agil von ihren verschlissenen Sesseln und zeigen mit Chuzpe, dass alles an ihnen hinfällig ist, nur eines nicht: ihre Stimme und ihre musikalische Erinnerung. Auch Bruchstücke einstiger Rollenparts leben im Laufe der Revue wieder auf, vermengen sich aufs köstliche miteinander und servieren Tchechow’s und Shakespeare’s Werke in sehr viel weniger als hundert Minuten! (s. Vagantenbühne!)
Und immer, wenn man glaubt, nun haben die Alten ihre Reserven aufgebraucht, dann kommt ein neuer Gag dahergepurzelt, gehen die grauen Panter grollend aufeinander los oder verlieren sich alte Zaubertricks in lächerlicher Peinlichkeit. Ein neuer evergreen schaltet sich dazwischen und animiert das Publikum, begeistert den Rhythmus aufnehmen, während sich die Künstler zu tollen Improvisationen hinreißen lassen! Im “wirklichen” Leben kennen wir die Darsteller ja als äußerst frisch und agil, und ihre skurrile Wandlung ins Siechentum ist auch schon eine beachtliche Leistung der Maskenbildnerin! Und so präsentiert sich die köstliche Anika Mauer als erstklassige Sängerin und Komödiantin, Katharine Mehrling, unlängst bundesweit gefeiert als Edith Piaf, lümmelt sich hier als lüsternde Greisin im Fuchspelz wunderbar ordinär, während Harry Ermer seine langen Gliedmaßen mit solch artistischer Eleganz herumschleudert, dass man wirklich um seine Knochen fürchtet, und Dieter Landuris die Kraftlosigkeit des gebeugten Greisenkörpers mit ungebrochenem Kampfgeist und einem strahlenden Gebiss beiseite lächelt!
Der alte Joan Baez-Hit “We shall overcome” beendet zwar jedes Mal die Vorstellung, aber nicht die wohl an allen Abenden geweckten Erinnerungen und die – ganz nebenbei – bestätigte Einsicht, dass “ewige Jugend” wohl genauso wenig erstrebenswert ist wie ein Methusalem’sches Alter. A.C.