Sein oder Nichtsein
nach Ernst Lubitsch
Deutsches Theater
Regie: Rafael Sanchez (Leiter des theaters neumarkt in Zürich)
Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Ursula Leuenberger
Musik: Knut Jensen, Video Christoph Menzi
Dramaturgie: Claus Caesar
Sie spielten um ihr Leben
Erstaunlich, wie ein solch heikles Thema der deutschen Geschichte derart locker, subtil, spannungsreich und mit Chuzpe jemals verfilmt werden konnte: denn schließlich überfällt uns auch heute noch und wahrscheinlich noch Generationen lang das Grauen angesichts der Unmenschlichkeit, mit der die jedem autoritären Regime hörigen Untertanen ihrem “Führer” gehorchen. In diesem Thriller geht es, wie man seit Ernst Lubitsch Verfilmung (USA 1942) weiß und seit der vielfachen Bühnenbearbeitung unter dem Titel “Noch ist Polen nicht verloren”, um ein gewieftes Schauspielerensemble, dass in Posen, kurz vor Beginn des zweiten Weltkrieges, den Widerstand gegen die Deutschen Nationalsozialisten auf offener Bühne für jedermann einsichtig zur Schau trägt, den Führer verulkt, seine Schergen verhöhnt. Aber leider sind die Gestapo-Männer dann doch nicht ganz so einfältig wie sie von der Truppe in einem Spiel dargestellt werden, und als sich die tödliche Schlinge um einige Verdächtige der Widerständler zieht, müssen sich die Schauspieler auf ein riskantes Spiel zwischen Bühne und Wirklichkeit einlassen. “Sein oder Nichtsein” – das ist nicht nur der große, ständig zum Scheitern verurteilte Monolog des Schauspielchefs Josef Tura, sondern das ist die existenzielle Frage dieser Gruppe.
Liebe, Verwicklung, Verwechslung, gewiefte Spione, echte und falsche, sowie dumme und gefährliche Nazischergen tragen zur Verwirrung in einem durchweg auf Tempo inszenierten Schauspiel bei, das Rafael Sanchez geschickt an der Leine hält. Die Bühne kann durch hebbare Stellwände schnell verändert werden, entweder führt sie uns auf die Bühne selbst als Aktionsort der Schauspieler, dann in das ärmliche kleine Zimmer des in Ungnade gefallenen Schauspielerpaares Maria und Josef (!) Tura- oder in das dunkle Büro der Gestapo, wo Jörg Gudzuhn als hinterhältiger Offizier die Gestapo karikiert und sich der zarte Moritz Grove, der übrigens in den Kammerspielen zur Zeit einen erschütternden Woyzeck spielt, entweder als steifer Adjutant oder als Pimpf den gehorsam-übereifrigen Befehlsempfänger mimt.
Doch alles kulminiert natürlich mit dem Witz, der Situationskomik, dem schnellen Pointenabtausch, der eine solch unverhohlen offene Persiflage auf das Hitlerregime überhaupt erst erträglich macht. Und es mag nach dem Bekenntnis von Ernst Lubitsch durchaus sein, dass der damals in Amerika lebende Regisseur diesen Film niemals gedreht gebracht hätte, wenn das Ausmaß der Nazi-Gräuel bekannt gewesen wären. Es mag sein, dass Freunde des Deutschen Theaters, die auf Inszenierungen und Bühneneindrücke von Regisseuren wie Gosch, Kriegenburg, Gotscheff, Thalheimer, Kimmig, Stemann, u.ä. abonniert sind, in dieser mit Witz und Schrecken gewürzten illusionistischen Vorstellung über Zivilcourage hier die tragische Ernsthaftigkeit des Sujets vermissen, – zumal es ja leider wirklich an dümmlichen Naziklischees nicht mangelt – sondern es als politisch “unkorrekte” Unterhaltung verwerfen. (Ein Vergleich mit Heidi Kabel, der großen Volksschauspielerin des Hamburger Ohnesorg-Theaters, den eine Zuschauerin empört zog, ist aber hier völlig fehl am Platze). Denn es stellt sich doch die Frage, ob man das anspruchsvolle Boulevard, das politische Unterhaltungsstück, das mit Humor und Tiefsinn komponiert ist, so schnell in die Kategorie der zur Zeit ja verfemten Freude am und im Theater abschieben oder- wie das Deutsche Theater es jetzt anbietet – als Alternative und Bereicherung eines umfangreichen Repertoires einem hierfür offenen Publikum anbieten sollte.
Zumal es mit der neuen Intendanz auch hervorragende neue Mitglieder bekommen hat, die natürlich – wie alles Neue – ein anderes Flair in die bereits leicht dramaturgisch verkrustete Inszenierungspraxis bringen: Das sind explizit in diesem Stück: die mit anmutiger Selbstverständlichkeit als erste Dame der Truppe klug agierende Maren Eggert als Maria Tura und die ihr zur Seite stehende Gabriele Heinz als treue Garderobiere Anna, die für ihre vergötterte Herrin auch schon mal die Kupplerin abgibt. Unschlagbar in physischer Elastizität und einfallsreicher Eloquenz, in blitzschnellem Aktionismus ist Bernd Moss als Josef Tura. Ingo Hülsmann geriert sich als alerter Spion, der auch noch als Leiche die Gabe besitzt, mit Eleganz eine Zigarette zum Munde zu führen; Michael Gerber darf nach den vielen stummen Rollen als Lanzenträger in der Truppe endlich den berühmten Monolog des Shylock sprechen, als es in letzter Minute auf der Bühne und in ihrer aller Leben um den großen Coup geht, in dem Jürgen Huth den Führer mimt, der sich selbst zur Lachfigur macht; Harald Baumgartner hat als Kopf der Truppe nicht nur die richtigen Regieeinfälle, sondern am Ende auch den letzten Trick parat. Christoph Franken stellt sich als ein neuer, gemütlicher Typ von Liebhaber vor (der allerdings, wie man im “Woyzeck” mit Erschütterung wahrnimmt, als Tambourmajor durchaus auch den Brutalo mimen kann). A.C.