Tannhäuser

von Richard Wagner
Deutsche Oper
Regie: Kirsten Harms, Dirigent: Donald Runnicles
Chöre: William Spaulding, Chor der DO, Extrachor der DO, Orchester der DO und Statisterie der DO

Abgesang auf die Moral des Mittelalters

An der Deutschen Oper hat sich mit dem alten Jahr auch eine zunächst heftig kritisierte und dann zu ihrem Ende hin -dank anderer Besetzung – doch noch wohlwollend betrachtete Oper verabschiedet, mit deren Inszenierung sich nicht nur die scheidende Intendantin Kirsten Harms schwergetan hat. An Richard Wagners Tannhäuser deuteln und basteln und grübeln Jahr für Jahr neu die Regisseure herum, wohl einerseits in dem Bestreben, eine permanent zeitaktuelle und ganz besonders ausgeflippte Inszenierung aufzubereiten, an denen zwar keiner mehr seine Freude haben, die aber jedermann treffen soll. Warum, bleibt meistens unklar, zumal man sich heute über die einstigen Pole – Leidenschaft zum ewig Weiblichen an sich und Liebe und Treue zur minniglich-reinen verehrten Frauwe – kaum noch aufzuregen vermag.

Für Richard Wagner war Tannhäuser zunächst nur ein geächteter Held aus Volksepen, Dichtung und Märchen bis er die Geschichte des Sängerkrieges als glänzendes Sujet für eine Operndichtung entdeckte und bestimmte Züge und Sehnsüchte in seinem eigenen Leben wieder fand. Heimat, romantische Lebens- und Liebessehnsucht, Gefühle, die er selbst in der schönen Landschaft Thüringens erlebte, goss er genial in eine neue musikalische Form; auch der Konflikt zwischen der Einhaltung gesellschaftlicher Normen und dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit dürfte dem individuellen Anspruch des Künstlers entgegengekommen sein. Ein zeitloses Kunstwerk also, das diese Pole in wunderbarster Harmonik aufeinander prallen lässt.

Wobei ihm der neue Orchesterchef, Donald Runnicles, ein kongruenter Interpret war und mit dem energiegeladenen Peter Seiffert als Kämpfernatur und der hingebungsvollen Petra Maria Schnitzer ein dramatisch ausagierendes Paar als Tannhäuser und Venus/Elisabeth zur Seite standen. Frau Schnitzer überzeugte an diesem Abend die Zuschauer als verzweifelte und verführerisch werbende Liebesgöttin ebenso wie als Elisabeth, die anrührende, in den unerbittlichen gesellschaftlichen Banden gehaltene Liebende. Zärtlich, vergebungsbereit, entsagend, ganz dem Rollenklischee der alten Welt entsprechend; eine keusche und verzichtende Frau, der nicht nur der Geliebte in seinem rasenden erotischen Wahn, sondern vor allem die sie umgebende ritterrüstungsbewehrte und abwehrende Männerwelt den Untergang bereiten.
Für die Partie des Wolfram von Eschenbach (Markus Brück)) sprang kurzfristig Christoph Pohl ein, der einen energischen Part bot und mit kräftiger Stimmfront als Verfechter der hehren Minne ein tiefes Moral- und Gewaltpotential präsentierte.

Man mag mit der zwischen Märchenwelt und Realität schwebenden Inszenierung zufrieden sein oder nicht, das bleibt letztendlich doch Interpretationssache. Zumindest aber sollte man auch im Rückblick die einzigartige Einfühlungsgabe von Frau Harms sowie ihren Sinn für die Dramatik, die sich hinter der scheinbar nur süßlichen Romantik verbirgt, an-erkennen. Sie hat nun einmal als weibliche Intendantin und Regisseurin gänzlich andere Akzente gesetzt als es ihre männlichen Kollegen taten – übrigens war auch bei ihnen die Berliner! Kritik selten zufrieden.
Im Tannhäuser assoziiert die Regisseurin sehr logisch und klar das “ewig Weibliche” als langmähnig gelockte und kurvenreiche Venus, die sich in ihrer Vervielfachung aus dem Erdinnern nach oben erhebt. Wie Botticellis geheimnisvoll faszinierende Venus, so werden sie geboren, zahlreich und stets von neuem das Begehren und das kurzweilige Glück der berauschenden Leidenschaft verkörpernd. Der einsame Ritter Tannhäuser fällt während seiner ruhelosen Wanderschaft einfach so vom Himmel in den Venusberg hinein, wo sich ihm sanfte schöne Arme entgegenstrecken und so bald nicht wieder freigeben werden. So könnte er sein Leben ja glückselig in aller Lust bis zum Ende führen, aber eine andere Sehnsucht bricht in ihm auf: Heimweh nach der Welt, nach Luft und Himmel, Wald und Menschen treibt ihn dann doch eines Tages fort von der sanften Lagerstatt der Geliebten zurück an die heimische Wartburg, wo die wackeren Ritter zum Sängerfest zusammengetroffen sind und dem Heimkehrer einen triumphalen Empfang bereiten – schließlich ist er der Primus inter pares. Nun aber kommt Elisabeth, die Treue, Teure, die lange Zeit geduldig auf diesen Mann  gewartet und auf seine Liebe gehofft hat, ins Spiel und entfacht ein vernichtendes Feuer in dem Heimkehrer.

Leider vermasselt der große Antiheld nun die weitere Zukunft einer trauten Zweisamkeit mit dem braven Weib am Herd. Aber vielleicht ist auch gerade dies der tiefere Sinn: das friedfertig bürgerliche häusliche Glück könnte wohl ein rastloser, fahrender Held, der die Freiheit in all ihren Zügen genossen hat, diese nicht so mir nichts dir nichts mit einer rigiden Gesellschaftsordnung eintauschen.  Und Zugeständnisse, wie Tannhäuser sie in einem neuen Szenario der Liebe zwischen Mann und Frau entwirft, wird ihm das Mittelalter (und folgende Zeiten ebenso wenig) nicht machen. Beim Sängerstreit schwärmt Tannhäuser blind vor Leidenschaft  – nun für Elisabeth – von der von Venus gegebenen Leidenschaft und beleidigt damit die Prüderie weltlicher und geistlicher Macht. Ein wütender Streit hebt an zwischen dem mächtigen Landgraf (Elisabeths Vater), und Kristinn Sigmundsson läßt keinen Zweifel daran, wer hier das Sagen hat. Als weiterer Verfechter des Edlen und Reinen verficht Clemens Bieber als Walther von der Vogelweide die platonische Rolle des Minnesängers wahr und entfacht einen wütenden Streit. Ende der Geschichte.
Tannhäuser muss sich einer Pilgergruppe anschließen und beim Papst um Vergeben seiner Sünden bitten. Elisabeth wartet, derweil ihr Herz bricht und übernimmt als barmherzige Samariterin noch eine letzte Pflege der aus Rom heimgekehrten verwundeten Pilger. Tannhäuser, dem der Papst die Absolution verweigerte ( wie könnte er auch anders in dieser festen Ordnung, derer ein jeder Teil für seine Interessen bedarf), kehrt zurück und damit auch in den Venusberg, nachdem er nun ein geächteter Außenseiter ist. Als zuletzt noch ein Wunder geschieht, das ihm göttliche Vergebung verheißt, ist es zu spät, den alten Weg zu gehen. Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Wagner wird es in anderen Opern immer wieder zum Klingen bringen.

Und das alles in leiser, zarter, dann wieder voller und toller Musikeskapaden, es säuselt und zärtelt, schwillt und dröhnt im Orchestergraben, dass die Seelenpein und Liebeslust aller durch den Raum rauscht Es ist Musik für jedermann, weil jedermanns Innerstes  anspricht. Aber so sollte man es auch belassen. Die Bühne diene als Darstellung  dekorativer Symbolik, die Sänger und die Musik aber sollten, alles beherrschend, über dem Schauspiel agieren. A.C.

 

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