Die Kunst der Komödie, OL
von Eduardo De Filippo, 1900 geb.in Neapel, 1984 gest. in Rom
Staatstheater Oldenburg, Premiere 8.März 2025
Regie und Übersetzung: Peter Haller, Dramaturgie: Elisabeth Kirschbaumer, Bühne und Kostüme: Anna Brandstätter, Musik: Matthias Mohr, Choreografie: Helen Wendt, Licht: Philipp Sonnhoff
mit: Kammerschauspieler Thomas Birklich als Oreste Campese, Theaterdirektor; Hagen Bähr als De Caro, Präfekt; Anna Seeberger als Giacoma Franci, Kabinettssekretärin; Matthias Kleinert als Padre Salvati, Priester; Paulina Hobratschk als Lucia Petrella, Lehrerin, Christian Epp/Simon Fischer als Gerolamo Pica, Apotheker
“Keine Zeit für Mäzchen”
Ein wunderliches, aber durch ebenso effektvolles wie zweckmäßiges Arrangement aus aufgetürmten Pappkisten in jeder Größe und mit aparten Tür- und Schubladen, aus denen und durch die die Schauspieler ein- und ausschlüpfen und sich auch zuweilen unauffindbare Akten verbergen, werden die nächsten 90 Minuten nicht nur ein verstörendes Bild der sozialen Verhältnisse einer Gemeinde im Umfeld Neapels offenbaren, sondern auch den neuen Präfekten und seine Kabinettssekretärin total aus der Fassung bringen.
Das Büro des Präfekten De Caro, der mit zunehmendem Chaos auch seine Souveränität und Nerven verlieren wird, verwaltet verlässlich die wie eine Biene umherschwirrende aparte Sekretärin Giocoma Franci, die ihn vorsichtig auf seine künftigen Aufgaben vorzubereiten versucht. Eine gute Büroallianz, dieses Paar, möchte man meinen, das sich den zu erwartenden Widrigkeiten einer aufmüpfigen Gemeinde wacker entgegenstellen muss. Hagen Bähr, schon im Vorteil durch seine einschüchternde stattliche Figur und noch unverbrauchte Energie als neuer Chef der Gemeinde, richtet sich bereits auf die aufgelisteten Besucherinnen und Besucher ein…doch die sind schneller da als er glaubt, weil jäh ein Mann hereinplatzt, mit dem keiner gerechnet hatte: Und der sich vorstellt als Oreste Campese, Theaterdirektor einer acht Personen zählenden Theatertruppe, die ihr Domizil kürzlich durch einen Brand verloren hat.
Da steht er nun: Theaterdirektor Campese, wichtig und gewichtig räsonierend, warum es für das Theater weder gute Regisseure noch gute neue Stücke mehr gibt, die Raum für Phantasie und eigene Vorstellungen lassen. Zudem mangele es an Geld und Räumlichkeiten, an Verständnis für den Enthusiasmus, die Leidenschaft, die Hingabe, für den Verzicht und die Aufopferung, die ein Schauspieler einbringen müsse, um seinem Auftrag und sich selbst treu bleiben zu können,
Elend und Not des neuen wie alten Theaters in guten wie in schlechten Zeiten, stets auf Geld und Gunst seiner Gönner angewiesen… Doch damit läuft der Herr Theaterdirektor bei dem Präfekten nur offene Türen ein. Obschon sich die beiden recht gut verstehen, endet die Begegnung doch leider mit einem Rauswurf, womit keiner wirklich gerechnet, geschweige, es denn beabsichtig hatte. Aber als der nun doch schon leicht gestresste Präfekt die Einladung zur abendlichen Veranstaltung „Blick durch 15 Türen“ etwas höhnisch ablehnt, vielleicht doch gar zu offensichtlich seine Abneigung zeigend, da kommt der Theaterdirektor zur Sache und klagt an:
Und das ist jetzt nicht mehr Oreste Campese, sondern De Filippo in eigener Person, in der Tarnkappe des Schauspielers: Man bedenke, es war die Zeit von Mussolini, des Faschismus, in dem Wort und Tat bespitzelt, geahndet und bestraft wurden, wenn man nicht auf der Hut war. Und De Filippo wollte nicht emigrieren, sondern Theater spielen, die Wahrheit sagen durch das Wort auf der Bühne, verpackt in komödiantisches Ambiente, die Wirklichkeit im Wechselspiel.
Aber hier, im Spiel, fliegt der Direktor natürlich hochkant raus, kehrt immer wieder durch eine der Schubfachtüren zurück, redet weiter, unaufhörlich, gerät in Rage und verspricht dem Präfekten „der keine Zeit für Mäzchen hat“, dass seine Schauspieler die Wirklichkeit zeigen als Spiegel des Lebens voller Verantwortung und Wahrhaftigkeit. Mit der Behaglichkeit und Gemütlichkeit sei es vorbei.
Doch leider hat Campese die Liste mit den Anmeldungen eingesteckt, Und was jetzt? Chef und Sekretärin sind auch nicht dumm: und sie vermuten nun, dass der wütende Theatermann seine Schauspieler in den Rollen der Bittsteller stecken und ihnen auf den Hals schicken wird. Aha. Einverständnis, Komplott, auch hier. Man wird sie sich anhören und Bescheid wissen. Also, die Nächste ist schon da: Die Ärztin der Gemeinde; ihrer erschütternden Rede-und Darstellungskunst folgen die beinahe verzweifelt entrückte Lehrerin, der unglaublich weltliche und hilflose Priester, der verkannte Apotheker: Sie alle platzen nacheinander durch die Luken der Büroschränke, um ihre Show vor dem Präfekten ergreifend abziehen. Und als das ganze Theater dann noch eine Leiche beschert, ist man völlig konfus. Alle Rollen sind individuell und mit komödiantischem Augenzwinkern so gut gestaltet, dass eine Auflösung wirklich schwer ist…! A.C.
Spiel im Spiel trägt immer gut zur Heiterkeit und Verwirrung bei, doch der 1900 in Neapel geborene Eduardo de Filippo, bis zum 14.Lebensjahr im Ensemble der Schauspielertruppe seines Vaters, wusste genau wovon er schrieb, und wie er schreiben musste: Über die himmelschreienden sozialen Verhältnisse nicht nur in Neapel – und das ganze Elend mit Humor auf der Bühne zuanzuprangen , so dass niemandem Gefahr drohen konnte. Er musste also alles gut in eine Art Farce verpacken, in eine Komödie, die die Zuschauer und gleichermaßen die staatlichen Aufpasser in derartige Verwirrung stürzten, dass hernach erst einmal ein großes Reflektieren erforderte. Und wenn die Präfektur einst darauf kam, wie bösartig das alles eigentlich gewesen war, dann hatte sich die Truppe schon wieder weiter entfernt, jenseits der behördlichen Zuständigkeit und außer Reichweite der Carabiniere.
Nachdem De Filippo mit einer eigenen Truppe und seinen Geschwistern das Trio „Teatro Umoristico i De Filippo“ gegründet und große Erfolge erzielt hatte, verhalf ihm auch zur Freundschaft mit Luigi Pirandello, von dem er sicher einige handwerkliche Finessen erlernte. Er legte jedoch immer größeren Wert auf die Durchleuchtung der sozialen Missstände der einfachen Menschen in seinem Land .Seine sozialkritische Haltung war natürlich extrem gefährlich, und er musste höllisch aufpassen, die Angriffe auf die Regierung geschickt zu verstecken wie in dieser Komödie. Nach dem Krieg konnte de Filippo sich sowohl im künstlerischen Bereich entfalten wie auch erfolgreich politisch engagieren, zunächst an der Universität in Rom, wo er Dramaturgie und moderne Theaterliteratur lehrte und dann als Senator auf Lebenszeit im Bereich der Resozialisierung von straffälligen Jugendlichen.