Die Ehe der Maria Braun

nach Rainer Werner Fassbinder (1945-1982)
Schaubühne  am  Lehniner Platz, 2009

Eine Produktion der Münchner Kammerspiele
Drehbuch: Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich, Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Ulrike Gutbriod
Dramaturgie: Julia Lochte, Musik: Nils Ostendorf, Video: Sebastian Dupouley, Lichteffekte: Max Keller

mit: Jean-Pierre Cornu, Brigitte Hobmeier, Hans Kremer, Bernd Moss, Steven Scharf

 

Ein Frauenschicksal im Nachkriegs-Deutschland

Der Versprecher liegt nahe: anstelle von “Maria” Braun  “Eva” Braun zu assoziieren – und dem trägt der Auftakt zu Fassbinders einst legendärem Film am Anfang auch Rechnung. Die Ostermeier-Bearbeitung beginnt mit zwei unerträglichen Briefvorträgen der Gefährtin Hitlers, Eva Braun, an ihren “Adolflein”, wobei zwei der zunächst im reich möblierten Ambiente der 50iger Jahre herumstehenden Männer in Frauenkleidern an das Mikro treten, während auf der Rückwand Videos von BDM-Mädchen, begeisterten Volksmassen und Bombeneinschlägen flackern. Glücklicherweise ist dieser Schmarrn sehr bald am Ende, und das Spiel um Kriegerwitwen, Besatzer-Liebschaften und energische Aufbaujahre der jungen Bundesrepublik beginnt: mit einem Bombenalarm während der Vermählung von Maria und Hermann.

Blitzschnell wechseln die Männer während des Spiels ihre Identitäten und Kleider, sind Mutter, Freundin, Sekretärin, Notarin oder Liebhaber, Ehemann, Arzt, Soldat, Kellner, Anwalt, Buchhalter und Richter. Als zeitlose Prototypen füllen sie den Lebensraum der Maria Braun, einer scheinbar emanzipierten Frau in den dynamischen Aufbaujahren der Bundesrepublik. Brigitte Hobmeier bleibt als Einzige ihrer Rolle treu und füllt sie mit zunehmender Gefühlsdistanz, realistischer Härte und Zielstrebigkeit. Zunächst als naive, frisch verliebte und kurz verheiratete junge Frau, die sich, ihrer lasziven Reize wohl bewusst, als Barfrau durch die Trümmerjahre schlägt und sich mit einem Soldaten der US-Besatzung liiert, ihn “lieb hat” und ein Kind von ihm erwartet. Als ihr tot geglaubter Ehemann plötzlich aus dem Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und sie mit dem Liebhaber in flagranti sieht, tötet Maria den Soldaten, ohne zu zögern, ohne zu überlegen. Eine Schlüsselszene, die die zwiespältige Persönlichkeit der Maria verwirrend zu entlarven scheint. Hermann, vom Krieg  gezeichnet, ohne Perspektive, seelisch zerstört, nimmt die Schuld auf sich und wird wieder auf unbestimmte Zeit gefangen sein. 

Maria weiß, dass sie hübsch und klug ist und bringt einen älteren Geschäftsmann mit erotischer Finesse dazu, sie in seiner Firma als persönliche Assistentin zu beschäftigen. Sie vermag sehr wohl Körper und Beruf zu trennen, doch wird sie später einen hohen Preis für ihre jahrelange Gefühlsabstinenz bezahlen. Brigitte Hobmeier zeigt diese Maria als eine Frau, deren äußerliche Kälte und Überlegenheit nicht nur dem Überleben ihrer innerlichen Treue zu Hermann dient, sondern auch ihr Selbstbewusstsein spiegelt, mit dem sie ihre berufliche Entwicklung vorantreibt. Der Wohlstand soll das Fundament für ihr späteres gemeinsamen Leben sein. Dass sie die Rechnung ohne die Männer gemacht hat, blind noch immer für die alten und erneuerten Machtverhältnisse, wird ihr Schicksal sein.

Der Aufbau der Firma erfolgt, wie Fassbinder es damals sah, in eben jenen Mechanismen der Marktwirtschaft, wie sie seither selbstverständlich sind und deren Ausuferung im neuen Jahrtausend  das damalige Stück geradewegs zu einer märchenhaften Version macht. Natürlich bedarf es Kalkül, Voraussicht, Durchstehvermögen und Konsequenz, um Altes zu den Akten zu legen und – Wagemut, um Zukunftsvisionen zu verwirklichen. All das bringt die junge Maria mit, und Birgit Hobmeier darf und kann als diese Nuancen mit Ehrgeiz und kaufmännischem Kalkül ausspielen, wobei man nicht einen Moment an ihrer inneren Flammenglut zu Hermann zweifelt. Sicherheit ist nach dem Kriegstrauma und der Leere in ihrer Familie jetzt inmitten einer sich verwirklichenden neuen Gesellschaft ihr Ziel, das sie ehrlich und klug angeht. Jean Pierre Cornus als wohlhabender Textilhändler Karl Oswald ist sich seiner Rolle in dieser Liaison schmerzhaft bewusst, denn Maria hat ihn kühl und sachlich als Ehemann zurückgewiesen. Oswald, der nur noch wenige Jahre zu leben hat, weiß dies für sich in einem Deal, der Hermann reich machen und Maria vernichten wird, gewissenlos zu nutzen.

Es gibt bis zum bitteren und großartig symbolisierten Ende herrlich groteske Szenen, die ein hochkarätiges Schauspielerteam auf die Bühne zaubern: Ob es der mittlerweile in Berlin am Deutschen Theater hervorstechende Bernd Moss ist, der quicklebendig zwischen ernsthaften und komödiantischen Figuren hin- und her springt, oder Hans Kremer und Steven Scharf, die in grober Maskerade feinste darstellerische Nuancen mit herrlicher Süffisanz abgeben! Man fragt sich nur, warum dieses bereits 2007 in München vom Berliner Schaubühnen-Intendanten inszenierte Stück erst im November 2009 in Berlin Einzug hält und das müde Theaterrepertoire auffrischt, denn die Vorstellungen sind stark frequentiert! A.C.

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